Fast 35% legte der Aktienkurs des Hörgeräteproduzenten Phonak seit Jahresbeginn zu. Manch ein Investor reibt sich erstaunt die Augen gilt doch das Geschäft mit den Hörschäden nicht als Anlegerliebling par excellence, und noch Ende 2005 wurde die Aktie da und dort als zu teuer beurteilt. Mitte März 2006 schlug Phonak den Höchstwert der Aktie, datierend von Ende 2000.

Innerhalb der boomenden Med-Tech-Branche hinken die Wachstumsraten der Hörgerätehersteller hinter den Orthopädie-, Wirbelsäulen- und Dentalproduzenten her. Warum eigentlich? «Hörgeräte gelten in der Bevölkerung immer noch als Stigma», erklärt Sibylle Bischofberger, Analystin bei der Bank Leu. Von 100 Einwohnern haben zehn einen Hörschaden. Und davon benutzen nur 20 bis 40% ein Hörgerät. Durchschnittlich wird sieben Jahre gewartet, bis man sich ein Hörgerät besorgt.

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Junge sind wichtige Kunden

Trotz der Stigmatisierung führen verschiedene Trends zu steigenden Wachstumsraten pro Jahr rund 6 bis 8%. Auf der Angebotsseite sieht Patrick Laager, Analyst bei der Bank Vontobel, den Hauptgrund in der positiven Preisentwicklung und der hohen Innovationskraft. «Die Preise im Hörgerätemarkt erhöhen sich jährlich um rund 1 bis 1,5%», so Laager. Gewichtig sind aber auch die Nachfragetreiber.

Zum einen ist da die demografische Entwicklung: Das Alter der Weltbevölkerung steigt. Und der häufigste Hörschaden, nämlich 75% aller Fälle, ist und bleibt die Altersschwerhörigkeit. Auch der wachsende Wohlstand sorgt dafür, dass sich mehr Menschen ein Hörgerät überhaupt leisten können. Ein wichtiger Treiber sind indes je länger, je mehr die Jugendlichen: Durch die erhöhte Lärmaussetzung (Disco, Verkehr usw.) steigen auch bei ihnen die Hörschäden. Sie haben weniger Berührungsängste mit den Geräten als die Älteren. Hörgerätehersteller bemühen sich darum, die Stigmatisierung der Hörhilfen durch ästhetisch ansprechende Lösungen und immer kleinere Geräte zu mindern. An der Branchenkonferenz in Minneapolis, der American Academy of Audiologie (AAA), waren vor zwei Wochen demnach auch die so genannten «open fitting devices», d.h. sehr kleine Hörgeräte, die hinter dem Ohr platziert werden, das Hauptthema. Aufsehen erregt hat Phonak mit der Ankündigung von zwei neuen Produkten, «Verve» und «MicroPower». Sie kommen 2006 auf den Markt.

CEOdrückt aufs Gaspedal

Bischofberger ist begeistert: «Die neuen Produkte sind sehr überzeugend. Verve ist ein kleiner Quantensprung.» Tatsächlich hat der Markt ein derartiges Gerät bisher nicht gesehen. Es ist selbst lernend, teilt dem Patienten mit, wenn etwa neue Batterien benötigt werden, und es steht eine 24-Stunden-Hotline zur Verfügung. Ob der Markt auf ein derartiges Luxusmodell gewartet hat, wird sich zeigen.

Seit CEO Valentin Chapero am Steuer sitzt, drückt er aufs Gaspedal. Die Margen haben sich verbessert, die Marktanteile sind signifikant von 15 auf momentan 19% gestiegen. Zudem produziert das Unternehmen in hoher Kadenz neue Produkte, deren Mix mit tiefen, mittleren und hohen Preisen ausgeglichener wurde. Nach den erfreulichen Halbjahreszahlen hat das Unternehmen seine Vorgabe für das Geschäftsjahr 2005 nach oben revidiert. Investoren haben Vorfreude auf den 1. Juni: Es werden starke Jahreszahlen erwartet, und es wird auf sehr gute Zielvorgaben gehofft. Obwohl die Aktie bereits stark gestiegen ist, scheint noch Potenzial im Kurs zu stecken obwohl die Bewertung mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis 2006 von 24 stattlich ist.

Unbestrittener Marktführer in der Hörgeräteindustrie ist Siemens mit rund 23% Marktanteil. Das Unternehmen gibt keine Auskunft darüber, wie viel Prozent des Umsatzes auf die entsprechende Abteilung fällt. Experten schätzen den Anteil auf unter 1%. Die Hörgeräteindustrie ist überschaubar: 90% des Marktes machen fünf Unternehmen aus. Die Nummer zwei vor Phonak ist die dänische William Demant mit etwa 21% Marktanteil. Mit «Oticon Delta» hat das Unternehmen ein auf die Babyboomer-Generation zugeschnittenes Designprodukt in der Pipeline. Grundsätzlich steht das Unternehmen auf einer finanziell soliden Basis und steckte nie in einer Krise wie Phonak. Die Credit Suisse hält jedoch das Potenzial für positive Überraschungen für beschränkt und setzte die Aktie deshalb auf «underperform». William Demant machte vor kurzem auf das Konsolidierungspotenzial in der Hörgerätebranche aufmerksam und betonte ihre Absicht, als Akquisitor aufzutreten. Als potenzielles Ziel gilt die GN Resound, die Tochter der dänischen GN Store North und Nummer vier der Industrie.

Tipp

In den letzten Tagen zeigte der Phonak-Kurs Ermüdungserscheinungen. Wenn die angekündigten Produkte die Erwartungen erfüllen, hat die Aktie aber mittelfristig weiteres Potenzial. Ob der dänische Konkurrent William Demant auch mit positiven Überraschungen aufwarten kann, wird sich zeigen müssen. Siemens ist zwar Marktleader, der Umsatzanteil der Hörgeräte macht im Konzern nur etwa 1% aus.