Kleine Bahn, grosser Coup: Toppt der rote Zug den Spot mit Roger Federer?

Bis jetzt galt Roger Federer als das Mass aller Dinge, wenn es darum ging, die Schweiz als Sehnsuchtsort weltweit zu vermarkten. Der Kurzstreifen, den das Schweizer Tenniswunder mitten in der Pandemie mit Hollywood-Altmeister Robert De Niro drehte, erbrachte 100 Millionen Views auf Youtube. Das Dream-Doppel mit Anne Hathaway – unter anderem bekannt aus «The Devil Wears Prada» – ein Jahr später sahen sich allein in den ersten sechs Wochen mehr als 102 Millionen Menschen an. Doch nun bekommt die Tennis-Hollywood-Combo Konkurrenz. Und zwar von einem Zug. Genauer: Von einem fast zwei Kilometer langen Zug-Combo der Rhätischen Bahn. Am Samstag rollte die aus hundert Wagen bestehende Kombination über die Albulastrecke – ein Paradestück Schweizer Ingenieurskunst und Weltkulturerbe. Am Montag danach ist Simon Rageth, Pressesprecher der Rhätischen in Chur, noch immer damit beschäftigt, all die Zeitungsartikel und TV-Reportagen zu sichten, welche die Bündner Schmalspurbahn mit ihrer Aktion ausgelöst hat. Millionen Kontakte in Indien, China, USA und Europa «India Times», «Washington Post», «Seattle Times», chinesische TV-Stationen oder – etwas weniger weit weg – «Frankfurter Allgemeine Zeitung», «Augsburger Allgemeine», die österreichische «Kronen Zeitung» oder der italienische «Corriere della Sera»: Sie alle berichteten darüber, wie der 1990 Meter lange und 2990 Tonnen schwere Zug die 25 Kilometer zwischen Alvaneu und Filisur mit ihren 22 Tunnels und 48 Brücken meisterte. Auch die Nachrichtenagenturen waren dabei, von der Deutschen Presse-Agentur (DPA) über die französische AFP bis zur Schweizer SDA/Keystone. Der rote Zug rollte nicht nur durch den Albula, er erreichte auch Märkte, auf welche die Schweizer Touristikerinnen und Touristiker ihre Hoffnungen setzen. Das sind: Deutschland, Grossbritannien und Frankreich in Europa sowie Nordamerika, China, Indien, Südkorea und die Golfstaaten. «Dieser Zug schrieb Geschichte», titelte geradezu euphorisch die deutsche «Bild». Beim «Spiegel» konnte man lesen: «Ein fast zwei Kilometer langer Zug, eine malerische Strecke und fantastisches Wetter: Mit diesen Zutaten hat die Rhätische Bahn in der Schweiz Eisenbahngeschichte geschrieben.» Der amerikanische TV-Sender CNN zitierte RhB-Direktor Renato Fasciati mit den Worten: «Die Schweiz ist ein Eisenbahnland wie kein anderes. Dieses Jahr feiern wir 175 Jahre Bahn in der Schweiz. Mit diesem Event wollen wir mit unseren Partnern eine Pionierleistung vollbringen, die es so noch nie gab.» Zur Erinnerung: CNN zählt zu den bedeutendsten Fernsehstationen der Welt. Der Sender erreichte 2020 fast 2 Milliarden Menschen in mehr als 200 Ländern. So viel Aufmerksamkeit wie Prinz Charles Der rote Zug überrollte alles. Bei Swiss-Image, der Bildagentur, welche die Bilder für die RhB aufgeschaltet hat, war der Server am Wochenende teilweise down. Zu viele Zugriffe. Einen solchen Kommunikationserfolg gebe es nur alle paar Jahrzehnte einmal, schreibt Geschäftsführer Andy Mettler seinen Auftraggebern bei der RhB. Und: So viel Aufmerksamkeit habe der Kanton Graubünden international wohl nicht mehr auf sich gezogen, seit Charles – der damals noch Prinz und noch nicht König war – 1988 in Klosters von einer Lawine verschüttet wurde. Das Unglück hielt die internationale Presse damals während Monaten auf Trab. Beim Medienpartner «Blick TV», der den Megaevent in den Bündner Bergen am Samstag live streamte, waren zeitweise so viele Zuschauer und Zuschauerinnen online wie zuvor nur bei der Lockdown-Pressekonferenz des Bundesrats im Frühling 2020. No risk, no fun «Überwältigend», «unglaublich» und «unbezahlbar» sei das alles, sagt Simon Rageth. Natürlich habe man bei der Rhätischen Bahn gehofft, dass die Zeitungen weltweit auf den Zug aufspringen würden, «doch ein solches Medienecho hätten wir uns in unseren kühnsten Träumen nicht träumen lassen». Mit 40 bis 50 Journalisten und Journalistinnen vor Ort habe gerechnet, am Schluss seien es 120 gewesen. Dabei sei man sich gar nicht so sicher gewesen, ob die Sache mit dem Rekordversuch klappen würde. «Wir haben das intern sehr kritisch reflektiert.» Schliesslich gebe es jedes Jahr Hunderte von Versuchen, ins Guiness-Buch der Rekorde zu kommen. Zudem sei bis zum Schluss nicht ganz sicher gewesen, ob das Ganze technisch funktioniere und der Zug die Strecke auch tatsächlich schaffe. «Ein Wackelkontakt bei der Kommunikation zwischen den Lokomotivführern – und der Zug hätte keinen Wank mehr gemacht, und wir wären ziemlich dumm dagestanden», sagt der RhB-Sprecher. Anne Hathaway klickt besser als Robert de Niro Die Latte lag hoch, sehr hoch. Als Schweiz Tourismus im Frühling 2021 das Video «No Drama» mit dem Star-Doppel Roger Federer/Robert de Niro ins Netz stellte, entwickelte sich der Werbespot zur veritablen Klickgranate: Nicht weniger als 53 Millionen Zugriffe wurden innert eines Jahres auf dem Portal Youtube verzeichnet. Klar also, dass Wirz-Werber Livio Dainese etwas nervös war, als es ein Jahr später galt, den Erfolg zu wiederholen. Aber es zeigte sich: Das Doppel Roger Federer/Anne Hathaway performte sogar noch viel besser. Mehr dazu lesen Sie hier. Auch bei Graubünden Ferien geht man davon aus, dass das Echo beispiellos sein dürfte. Dabei ist man sich hier grosse Reichweiten gewohnt. «The Great Escape», eine Kampagne, bei der ein sympathischer Bergler per Schaltung aus dem Zürcher Hauptbahnhof Gäste aus aller Welt direkt ins Bündner Bergdorf Vrin einlud, erreichte weltweit rund 80 Millionen potenzielle Gäste. Beim roten Zug dürften es noch mehr sein, sagt Direktor Martin Vincenz. Die Bilder vom roten Zug, der sich bei stahlblauen Himmel durch die herbstliche Landschaft schlängelt, gingen um die Welt. Was aber bringt das den Touristikern und Touristikerinnen konkret? Das sei bei einer Marketingmassnahme immer schwierig zu sagen, sagt Markus Berger von Schweiz Tourismus. Sicher sei: Mit der Aktion sei es gelungen, die Schweiz als Bahnland zu positionieren und das Reisebegehren zu wecken. Federer am Zug Klar ist: Der rote Zug ist eine Steilvorlage für Schweiz Tourismus. Hier arbeitet man nämlich daran, die Schweiz stärker als Destination für Bahnreisende aus aller Welt zu positionieren. Die Grand Train Tour, so der Name des Angebots, gibt es zwar schon seit der Saison 2015/2016. Damit können ausländische Gäste, je nach Wahl, für 3, 4, 6, 8 oder 15 Tage mit dem Zug durch die Schweiz touren, Panoramastrecken wie der Glacier-Express oder eben die Albulalinie mit Platzreservierung inklusive. Das Standardangebot, die «Originaltour», dauert 8 Tage und kostet 389 Franken in der zweiten Klasse und 617 Franken in der ersten. Das Ganze ist eine Art Generalabonnement für ausländische Gäste auf Zeit. Die Grand Train Tour sei auf Anregung der Gäste entstanden und habe sich in den vergangenen Jahren sehr gut etabliert, sagt Markus Berger. Nächstes Jahr soll die Tour durch das Eisenbahnland Schweiz mit einer breit angelegten Kampagne noch mehr Schub bekommen. Auch Tennisaltmeister Roger Federer wird wieder dabei sein. Im Spot mit Publikumsliebling Anne Hatheway ging es um die Grand Tour of Switzerland, die automobile Vorgängerversion der Grand Train Tour. Welcher Hollywoodstar ihn diesmal auf seiner Reise durch die Schweiz begleiten wird, ist noch offen. Ebenso, ob es den Stars gelingen wird, den roten Zug wieder einzuholen.

Kleine Bahn, grosser Coup: Toppt der rote Zug den Spot mit Roger Federer?

Kleine Bahn, grosser Coup: Rekordzug ist touristisches Gold