Klimaklage gegen Zementhersteller: Holcim muss um sein grünes Image fürchten

Der Friedensrichter in Zug vermittelt und urteilt über Streitfälle aus der Nachbarschaft. Anfang Oktober wird er sich mit einem etwas weiter entfernten Schauplatz befassen: mit der Insel Pari in Indonesien. Vier Bewohnerinnen und Bewohner des kleinen Eilands bei der Hauptstadt Jakarta klagen gegen den Zementkonzern Holcim, der seinen Konzernsitz in Zug hat. Pari ist durch den Klimawandel bedroht. Und die Inselbewohnerinnen und Inselbewohner lasten die schleichende Katastrophe dem Zementkonzern an. Für die Schweiz ist es eine Premiere: Erstmals wird ein Konzern wegen seiner Rolle beim Klimawandel vor Gericht belangt. Und für Holcim ist es eine Gefahr: Der kleine Rechtsfall könnte eine Welle von Klimaklagen ins Rollen bringen und Holcims Bild in der Öffentlichkeit beflecken. Der Zementhersteller Holcim gibt sich umweltbewusst Denn der weltgrösste Zementhersteller verleiht sich unter CEO Jan Jenisch gerade ein grünes Image: Bis 2050 will der Baustoffgigant kein Kohlenstoffdioxid mehr ausstossen. Dieses Oberziel schmückt er mit einem bunten Strauss ökologischer Massnahmen: Holcim sammelt Plastik im Meer, versenkt CO2 im Boden, lanciert einen klimaschonend gefertigten Zement. Und hat sich dem UNO-Ziel verpflichtet, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Ohnehin soll der graue Baustoff für Holcim an Bedeutung verlieren, das Unternehmen setzt auf andere Geschäfte, etwa Haustechnik. Dutzende Zementwerke weltweit hat Chef Jan Jenisch in den letzten Jahren verkauft, auch die indonesische Tochter ging 2019 an neue Besitzer. Klimabewusste Unternehmen? Das sind die Green Champions 2022 Das neue Ranking der klimabewussten Firmen der Schweiz zeigt, welches Unternehmen am meisten CO2 eingespart hat. Zement bleibt Holcims wichtigstes Geschäft Noch ist die Zementherstellung allerdings der mit Abstand wichtigste Umsatzbringer – und ein sehr profitables Geschäft zugleich. Deshalb bleibt es für Holcim ein Kunststück, als ökologischer Musterknabe zu gelten. Die Werke des Konzerngiganten stossen jährlich Abertausende von Tonnen CO2 aus, und nur schon bei der Produktion 1 Tonne Zement entweichen über 500 Kilogramm des Klimagases. Die Zementindustrie heizt massgeblich das Klima auf. Und Holcim ist die Nummer eins in der Branche. Deswegen ist Holcim auch zur Zielscheibe des Hilfswerks Heks und der anderen Organisationen geworden, welche die Klage der vier Indonesierinnen und Indonesier aufgegleist haben. Die Klage wird mit einer Studie untermauert Die Logik hinter der Klage: Holcim gehöre zu den grössten Verursachern von CO2-Emissionen in der Konzernwelt. Und trage darum eine Verantwortung gegenüber den grössten Opfern des Klimawandels. Eine vom Heks finanzierte US-Studie rechnet die Klimasünden Holcims vor: So habe der Zementkonzern und seine Vorgängerunternehmen seit 1950 mehr als doppelt so viel CO2-Verschmutzung verursacht wie die Schweiz – über 7 Milliarden Tonnen CO2 insgesamt. «In der Schweiz betreten die Klägerinnen und Kläger mit diesem Verfahren Neuland», sagt Heks-Sprecher Lorenz Kummer. Es ist die erste Klimaklage, die sich gegen ein Unternehmen richtet. Die erste Schweizer Klimaklage ist es aber nicht: Die «Klimaseniorinnen» versuchen, den Bundesrat auf dem Rechtsweg zu einem stärkeren Effort für den Klimaschutz zu zwingen, bislang erfolglos. Nach der Niederlage vor Bundesgericht ist der Fall jetzt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hängig. Shell wird vor Gericht zum Klimaschutz gezwungen Weltweit gebe es bereits rund 2000 Klimaklagen, schätzt Sebastian Heselhaus, Rechtsprofessor an der Universität Luzern. 500 davon sind allein letztes Jahr dazugekommen. Für Aufsehen sorgte vor allem das Urteil gegen Shell in den Niederlanden: Die Richterinnen und Richter verurteilten den Ölgiganten letztes Jahr dazu, seinen CO2-Ausstoss bis 2030 um 45 Prozent gegenüber 2019 zu senken, Shell hat gegen das Urteil Beschwerde eingelegt. Mit einem solchen spektakulären Urteil in der Schweiz ist nicht zu rechnen, «Holcim hat sehr gute Karten», sagt Professor Heselhaus, «es gilt gleich mehrere Hürden im Zivilrecht zu überspringen.» Ein Beispiel, vereinfacht ausgedrückt: Kann Holcim über eine Sorgfaltspflicht für den Klimawandel verantwortlich gemacht werden, der ja die Allgemeinheit betrifft? Und wieso wird nur Holcim belangt und nicht andere grosse CO2-Emittenten auch? Holcim soll stärkere Klimaziele beschliessen Ob es überhaupt zu einem Prozess kommt, ist noch offen. Nächste Woche wird sich der Friedensrichter in Zug erstmals mit dem Fall befassen. Wenn keine Einigung zustande kommt, können die Klägerinnen und Kläger ans Regionalgericht gelangen. Holcim nahm auf Anfrage bislang nicht Stellung. Der Konzern wird sich hüten, auf einen Vergleich einzugehen – und diese Prognose ist nicht gewagt. Denn sonst werden dieser einen Klage wohl weitere folgen. Dabei tönen die Forderungen aus Indonesien bescheiden. Die vier Inselbewohnerinnen und -bewohner verlangen je 3500 Franken – als Entschädigung für die Folgen des Klimawandels und um sich gegen weitere Schäden zu wappnen. Etwas kostspieliger käme Holcim die dritte Forderung zu stehen: Der Konzern soll seine CO2-Emissionen bis 2030 um 43 Prozent senken – um so viel muss die Menschheit die Klimaverschmutzung laut UNO reduzieren, damit sich die Erde nicht über 1,5 Grad erhitzt. Holcim verspricht bislang lediglich, bis Ende des Jahrzehnts den CO2-Ausstoss je Tonne produzierten Zement zu senken – es ist ein schwammiges Ziel, denn Holcim kann es auch über eine höhere Zementproduktion erreichen. Eine Parallele in der Rechtsprechung: Tabakklagen Auch wenn diese erste zivilrechtliche Schweizer Klimaklage scheitern sollte – die internationale Rechtsprechung zeigt sich für Klimaklagen gegen Unternehmen immer offener. Rechtsprofessor Sebastian Heselhaus sieht Parallelen zu den Klagen gegen Tabakkonzerne, bei denen die Zigarettenhersteller im Laufe der Jahre immer stärker vor Gericht unter Druck kamen und zu Milliarden-Dollar-Strafen verurteilt wurden. Die Rechtsprechung in der Schweiz entwickle sich nur langsam, sagt Sebastian Heselhaus, «die Schweiz wird von der internationalen Entwicklung aber nicht unberührt bleiben». Auch Schweizer Konzerne müssen damit rechnen, dass ihre Klimabilanz für die Justiz zum Thema wird. Ein erster Vorgeschmack dieser Entwicklung wird der Zementkonzern Holcim in Zug erhalten.

Klimaklage gegen Zementhersteller: Holcim muss um sein grünes Image fürchten

Eine Klimaklage bedroht das grüne Image von Holcim