Die Diskrepanz könnte grösser nicht sein: In der Schweiz müssen pro Jahr rund 15000 KMU ihre Nachfolge regeln. Gemäss UBS-Studien haben aber nur gerade 18% der Unternehmer, bei denen in den nächs-ten fünf Jahren ein Stabwechsel fällig ist, diesen bereits im Detail geregelt. Ein Fünftel hat sich immerhin bereits für eine Nachfolgeregelung entschieden, aber ohne konkrete Massnahmen einzuleiten. Für den Rest gilt: Nach mir die Sintflut.

Das ist bedenklich – immerhin beschäftigen KMU das Gros der schweizerischen Arbeitnehmer. Dazu kommt, dass gemäss verschiedenen Untersuchungen rund die Hälfte der Nachfolgefälle nicht einmal zum erwarteten Zeitpunkt und kontrolliert über die Bühne geht, sondern sich durch unvorhergesehene Schicksalsschläge ereignet und jeweils nichts vorgekehrt ist. Dabei könnten die plötzlichen Lücken in der Kontinuität eines KMU-Managements mit einem Crash-Plan geschlossen werden.

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«Kochbuch» für KMU

Tausenden von Unternehmen drohen wegen dieser Vernachlässigung der Konkurs oder der Verkauf unter ihrem Wert und der Verlust von Arbeitsplätzen – einer der Beweggründe für Leonhard Fopp, Präsident der Schweizerischen Vereinigung der Management Berater, Asco, den ersten Governance-Guide für KMU zu konzipieren. Der Führer richtet sich im Gegensatz zu den Corporate-Governance-Richtlinien der Economiesuisse nicht an Publikumsgesellschaften, sondern ist ein Standardwerk für die Nachfolgeregelung in KMU. Damit wird eine Lücke geschlossen.

Zwischen Publikumsgesellschaften und Familienunternehmen gibt es bedeutende Unterschiede bei der Nachfolgeregelung. Der Leitfaden wurde zusammen mit Experten und Praktikern konzipiert. Die Schlussfolgerungen für die Nachfolge in Familienunternehmen und privaten Gesellschaften mit einem eingeschränkten Gesellschafterkreis sind in eine Art «Kochbuch» eingeflossen, welches das Prädikat «sofort praktisch anwendbar» verdient.

«Wir haben, was einige Unternehmen bereits in der Froschpers-pektive erleben, aus der Vogelpers-pektive systematisiert und zusammengestellt», sagt Fopp über sich und Mit-Autor Tis Prager. Zu Beginn stand die Beobachtung, dass es unter den Unternehmern vier Gruppen gibt: Die Unterlasser, die Zauderer, die Sesselkleber zwar voll guten Willens, aber unfähig zum Loslassen und jene, welche die Nachfolge aktiv mitgestalten. Diese sind in der Minderzahl.

Was wird denen konkret geraten, die das Nachfolgeproblem Jahr für Jahr vor sich herschieben? Denn ein oft gehörtes Argument, um sich noch nicht mit diesem schwierigen Thema zu befassen, nennt Peter Schmid, Partner von PricewaterhouseCoopers (PwC): «Wieso soll ich etwas ändern, uns geht es ja gut.»

Gegen diese Haltung wollen Fopp und Prager angehen. Eine gut gegliederte Checklist zwingt zunächst einmal dazu, sich über den Handlungsbedarf ein Bild zu machen. «Zuerst sollte die Ausgangslage geklärt werden», fordern die Autoren: Was will die Familie erreichen? Will man den Unternehmenswert oder das Familienvermögen steigern? Wer soll in welcher Phase am Unternehmen beteiligt sein? Wie steht man zur Mitwirkung Externer? Wer soll von der Entwicklung des Unternehmenswertes profitieren? Wie hoch soll der Eigenfinanzierungsgrad sein und welche Dividendenpolitik wird bevorzugt? – für viele Fragen wie diese muss zuerst ein Konsens gefunden werden.

Anschliessend gilt es, das Instrumentarium festzulegen, mit dem man die definierten Ziele erreichen will. Dazu gehören etwa die Festlegung, wie die Familienversammlung organisiert sein soll, oder Fragen der Informationspolitik und der Nachfolgeregelung. Dazu gehört auch die Ausarbeitung eines Crash-Plans.

Die Autoren lassen es aber nicht bei Ratschlägen bewenden. Es gibt eine knallharte Kontrollliste mit konkreten Vorgaben. Sie ist mit einem Zeithorizont und Zuständigkeits-Rubriken versehen im Stil von «Zu erstellen bis ...» bis «Erledigt» und jeweils Platz für den Namen desjenigen, der für dieses Puzzleteil im gesamten Nachfolge-Regelungs-Paket zuständig ist. Alle Massnahmen und Vorkehrungen zusammen erfassen die Gesamtheit der in Gang zu setzenden Mechanismen zur Entscheidfindung in Familien-Unternehmen.

Prince-Charles-Syndrom

Letztlich dient das Buch vor allem dazu, die Folgen missglückter Wachablösungen zu verhindern. Fachleute wie Professor André Menzl von der HSG sprechen von einem Domino-Effekt, weil das Unternehmen in einen grossen Leistungsverbund aus Mitarbeitern, Kunden und Konkurrenten eingebunden ist. Wird die Nachfolgeregelung immer herausgeschoben, wirkt sich das auf alle Beteiligten aus: Im Betrieb wird das Klima belastet, und potenzielle Nachfolger leiden oft unter dem sogenannten Prince-Charles-Syndrom: Dem Frust über das ständige Stehen in der Warteschlaufe.

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Zwei Beispiele für erfolgreiche Stabsübergaben

Zu denen, die einen geordneten Rückzug gemacht haben, gehören Fredy

Lienhard von Lista und Otto Ineichen mit Ottos. Beide haben verschiedene Modelle gewählt und würden wieder so vorgehen.

Lienhard ist durch den Tod seines Vaters noch während des Studiums über Nacht an die Spitze des Büromöbelunternehmens gekommen. «Das hat mich geprägt. Ich habe schon früh meine Familie, meine Mitarbeitenden und Externe mit dem Gedanken meiner eigenen Nachfolge konfrontiert. Ich habe eine kontrollierte, geplante Ablösung vorbereitet, als sie noch nicht zur Diskussion stand», nennt er als eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Abnabelung. Er habe – ebenfalls schon früh – nicht nur über die Firma, sondern auch über sich selber nachgedacht und sei zum Schluss gekommen, das Unternehmen aufzusplitten. Ein Teil ging an die Beteiligungsgesellschaft Capvis, einen Teil – Lis-ta Office – behielt er selber. So bekam er mehr «Luft» und war doch nicht weg vom Fenster und konnte sich Optionen offen halten: Sich ganz zurückziehen oder, falls eines seiner Kinder einmal einsteigen will, die Türen offen halten.

Anders Otto Ineichen. Er zog sich ganz aus dem Geschäft zurück, weil sein Sohn Marc gerade das richtige Alter hatte. «Ich konnte erst nach ein paar Monaten gut damit leben», gestand er einmal. Jetzt setzt er sich mit einer unglaublichen Vehemenz für die KMU ein. «Ein KMU zu leiten ist einfach nicht sexy, weil der gesellschaftliche Status von KMU in der Öffentlichkeit zu wenig hoch ist. Hier muss man ansetzen. KMU-Nachfolger findet man, wenn man ihnen aufzeigt, wie faszinierend Unternehmertum in einem solchen Betrieb sein kann.»

Eine geglückte und gut kommunizierte Nachfolgeregelung sei für alle Beteiligten ein positives Signal – für die Familie, die Lieferanten und die Kunden. Sein besonderer Tipp: Nur ein Familienmitglied an die Spitze hieven, das qualifiziert ist, nicht einfach wegen seiner Familienbande.

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Fakten: Desinteressierte Kinder

KMU

In der Schweiz gibt es rund 300000 Unternehmen. 99% davon sind KMU. Sie beschäftigen etwa zwei Drittel aller Arbeitnehmenden. Je nach Schätzung steht bei 50000 bis 70000 Firmen in den nächsten fünf Jahren ein Generationenwechsel an. Gemäss ZKB scheitert ein Viertel aller Bemühungen um eine Nachfolgeregelung. Einer PWC-Studie zufolge ist für dieses Scheitern in 52% mangelndes Interesse der Kinder schuld, in ungefähr der Hälfte der Fälle fehlen die finanziellen Mittel für eine Übernahme. In 16% der gescheiterten Nachfolgeregelungen sind die Kinder nicht geeignet. In gleich vielen Fällen sind gar keine Kinder vorhanden oder zu jung. 60% der Befragten gaben an, noch keine Planungsschritte unternommen zu haben.