Rückblende ins Jahr 1988: Hätte ein Journalist damals folgenden Kommentar verbreitet, wäre er mit Sicherheit mitleidig belächelt worden: «Die Rückkehr der deutschen Uhrenfabrikanten in die Uhrenszene verdient sowohl einen Glückwunsch wie besondere Aufmerksamkeit. Und sie ist nach ihrem echten Stellenwert zu würdigen: Angezeigt ist weder Euphorie noch die hier und da zu beobachtende ironische Süffisanz. Die Schweizer Uhrenhersteller sollten das Signal voll und ganz beherzigen, im Bewusstsein, dass ererbte Pfründe vergänglich und einst erworbene Lorbeeren ein gefährliches Beruhigungsmittel sind... »

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Als diese Zeilen tatsächlich in der Schweiz erschienen, schrieb man das Jahr 1995. Da sahen die Fabrikanten im Land der Eidgenossen definitiv ein wenig alt aus. Bei der damaligen Wahl zur «Uhr des Jahres» errang die legendäre Lange 1 von A. Lange & Söhne den Spitzenplatz. Seither ist die Glashütter Nobelmanufaktur mehrfach in die internationale Hall of Fame eingezogen.

Ein Blick zurück ganz ohne heiligen Zorn

Von solchen Meriten hätte der Uhrmacher Ferdinand Adolph Lange 1845 nicht einmal zu träumen gewagt. Dem Philanthropen war die immense Arbeitslosigkeit im sächsischen Glashütte nicht nur zu Ohren gekommen, sondern auch ein echter Dorn im Fleisch. Deshalb richtete er mehrere Petitionen an den sächsischen Staat. Seine Bitte: Ein rückzahlbares Darlehen, damit er im abgelegenen Tal des Flüsschens Müglitz 15 Jugendliche zu Uhrmachern ausbilden konnte.

Am 31. Mai 1845 unterzeichnete F.A. Lange einen entsprechenden Vertrag. Obwohl er sich über alle Massen engagierte, drohte das ambitionierte Unternehmen mehrfach zu scheitern. Zum einen mangelte es an qualifiziertem Personal und anderseits immer wieder an Geld. Daher investierte Lange sein ganzes persönliches Vermögen sowie das seiner Frau. Letzten Endes machte sich der Einsatz bezahlt. Als F. A. Lange 1875 im Alter von nur 60 Jahren starb, hinterliess er einen florierenden Betrieb mit rund 100 Mitarbeitern.

Die Gemeinde Glashütte verdankt dem Pionier und langjährigen Bürgermeister ihre Entwicklung zum Mekka der deutschen Feinuhrmacherei. Immerhin entstanden unter seiner Ägide zahlreiche Ateliers für Uhren und Uhrenbestandteile. Das internationale Renommee von A. Lange & Söhne, deren herausragende Zeitmesser Bände füllen, erreichte allerdings keine davon.

Werkzeuge wurden nach Russland verschleppt

100 Jahre nach der Firmengründung, am 8. Mai 1945, wüteten russische Kampfflugzeuge über Glashütte. Der Ort erlitt schwerste Schäden. Was an brauchbaren Maschinen und Werkzeugen übrig blieb, demontierten russische Truppen, um es gen Osten zu schaffen. Gleichwohl gab es schon 1946 erste Nachkriegs-Uhren Glashütter Provenienz. Am 1. Juli 1951 kam es zur Gründung des volkseigenen Betriebs (VEB) Glashütter Uhrenbetriebe GUB, in dem alle Aktivitäten von A. Lange & Söhne und der anderen dortigen Uhrenmarken aufgingen.

Dieses Firmen-Sammelsurium produzierte fortan einen sozialistischen Massen-Einheitsbrei fernab überlieferter Top-Standards. In der Uhrenwelt lebte der Name Glashütte von seiner glorreichen Vergangenheit. Für Feines und Exklusives war knapp 50 Jahre lang die Schweiz zuständig.

Nach dem Fall der Mauer herrschte erneut Katerstimmung in Glashütte. Für anspruchslose, in Millionenauflage gefertigte Billiguhren gab es auf westlichen Märkten schlichtweg keinen Platz. Und die Rückkehr zur Tradition mechanischer Präzisionsuhren verlangte nur wenige, dafür aber hoch qualifizierte Mitarbeitende. Kurzum: Glashütte geriet zum Sanierungsfall.

A. Lange & Söhne: Vergangenheit mit Mannesmann

Natürlich dauerte es nicht lange, bis westlicher Untermehrgeist das Müglitz-Tal erreichte. Von Harmonie bei der Wiederbelegung einer Glashütter Uhr-Kultur konnte anfangs freilich nicht die Rede sein. Speziell um die Traditionsnamen sowie die Signatur «Glashütte» entspannen sich heftige Grabenkämpfe.

Walter Lange, Ur-Enkel des Begründers der sächsischen Uhrenindustrie, hatte sich bereits in den 1960er Jahren um eine Renaissance des traditionsreichen Familienunternehmens bemüht. Vergebens, wie die Geschichte zeigt. Für Ende 1989 weisen die Chroniken erste Kontakte zum mächtigen VDO/ Mannesmann-Konzern aus, der mit seinen Nobelmarken IWC und Jaeger-LeCoultre im Uhrenbusiness bereits kräftig mitmischte. Insbesondere das Engagement von Günter Blümlein, dem 2001 verstorbenen Leiter der Uhrendivision, führten 1991 zur Gründung der Lange Uhren GmbH, an der Walter Lange mit 10 und VDO/Mannesmann mit 90% beteiligt waren.

1996 gelangte das Traditionsunternehmen unter das Dach der Mannesmann-Holding LMH (Les Manufactures Horlogères), welche die Beteiligung der Familie Lange jedoch nicht tangierte. Die Firmenphilosophie hatten Günter Blümlein und Walter Lange vom ersten Moment festgezurrt: Mehr oder minder komplizierte Uhrwerke, made in Glashütte, unter Einbeziehung überlieferter Konstruktions- und Gestaltungsmerkmale. Dazu gehörten die Glashütter Dreiviertelplatine und verschraubte Chatons für verschiedene Lagersteine, eingebaut ausschliesslich in Gehäuse aus Edelmetall. Beste Beweise für die Renaissance des von Kennern hoch geschätzten Glashütter Geistes sind u.a. die legendäre Lange 1 mit revolutionärem Grossdatum, das längst ausverkaufte Tourbillon pour le merit mit Kette und Schnecke, der DatoGraph oder der ausgesprochen innovative Double Split des Jahres 2004. Hierbei handelt es sich um den weltweit ersten Chronographen mit doppeltem Schleppzeiger für Sekunden und Minuten, zudem ausgestattet mit einer neuen Unruhspirale, die wie einst schon in Glashütte entsteht.

Glashütte Original: Erst die Franzosen, jetzt Swatch

100 m entfernt von Lange & Söhne liegt der GUB. Hier erhielt zunächst die Deutsche Treuhand das Sagen, welche das sozialistische Erbe auftragsgemäss abzuwickeln hatte. Mit dem Einstieg des Rohwerkefabrikanten France Ebauches schien sich das Blatt Anfang 1993 zum Positiven zu wenden. Doch die Ernüchterung liess nicht lange auf sich warten. Den ebenfalls sanierungsbedürftigen Franzosen fehlte nicht nur ein schlüssiges Überlebenskonzept, sondern auch das nötige Geld. Die Hoffnung, den Standort Besancon auf Glashütter Kosten retten zu können, zerschlug sich in Windeseile.

Bereits im Juni 1993 endete das kurze Gastspiel. Die Treuhand musste sich nach neuen Eigentümern umsehen. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte der Betrieb von einstmals 2000 Mitarbeitenden gerade noch deren 70. Bis Oktober 1994 blieb alles im Ungewissen. 38 Bewerber, darunter Interessenten aus Japan, Hongkong und der Schweiz, wollten den GUB. Nach zähen Verhandlungen schloss die Treuhand einen Übernahmevertrag mit fränkischen Investoren, darunter dem Unternehmer Heinz W. Pfeifer, ab. Der orientierte sich verständlicherweise an dem, was Nachbar Lange bereits erfolgreich praktizierte: Tradierte Glashütter Manufakturarbeit auf hohem Niveau, eigene Uhrwerke und überlieferte Komplikationen eingeschlossen. Der Erfolg gab ihm Recht. Aus dem zwischenzeitlich aufwendig renovierten und zur gläsernen Uhrenfabrik mutierten Gebäude an der Altenberger Strasse 1 kommen nicht nur eigene Basiswerke, sondern auch «fliegende» Tourbillons, der weltweit erste mechanische Count-Down-Chronograph mit Tonsignal und 2004 der erste Automatik-Chronograph Glashütter Provenienz, PanoMaticChrono genannt. Die Fertigungstiefe bei den Uhrwerken beträgt mehr als 90%. Auf den Zifferblättern der Uhren finden sich vorwiegend die Namen Glashütte Original und Union.

Die heutigen Besitzer: Eine zweite Heimat gefunden

Die im Haupttext zitierten Sorgen der Schweizer Luxusuhren-Industrie mit der mächtig aufstrebenden sächsischen Konkurrenz sind mittlerweile nur noch die halben. Ende 1998 übernahm die schweizerische Aureus Private Equity die Mehrheit am Glashütter Uhrenbetrieb. Im Oktober 2000 wurde er Mitglied der Bieler Swatch Group.

Bei Lange & Söhne haben seit Juli 2000 ebenfalls die Eidgenossen das Sagen. Nach einem gut 2 Mrd Euro schweren Mega-Deal übernahm Richemont SA, zu der unter anderem Cartier, Piaget, Vacheron Constantin, Jaeger-LeCoultre, Panerai, IWC sowie Baume & Mercier gehören, die LMH und damit die traditionsreichste der Glashütter Uhrenmanufakturen. (glb)