Probleme mit Lieferketten: Das sind die Folgen für Schweizer Unternehmen

Schon während Corona gerieten Lieferketten weltweit ins Stocken. Der Krieg in der Ukraine verschärft die Lieferengpässe zusätzlich. Ein Ende der trüben Wirtschaftsaussichten ist nicht absehbar. Das Konjunkturbarometer der Konjunkturforschungsstelle KOF zeigt wegen der sinkenden Auslandsnachfrage und des verarbeitenden Gewerbes nach unten. Banken, Versicherungen, das Baugewerbe und die Elektroindustrie stagnieren bestenfalls. Und für die Holz- und Papierindustrie sowie für die Nahrungs- und Genussmittelhersteller sieht es düster aus. Akuter Materialmangel in der Schweiz Der Materialmangel in der Schweizer Industrie ist akut. So akut, dass zum Beispiel der Lifthersteller Schindler bereits im Frühjahr berichtete, höhere Materialkosten und Störungen in der Lieferkette seien spürbar. Unlängst publizierten Dätwyler, V-Zug, Rieter und Autoneum erste Gewinnwarnungen aufgrund von Lieferengpässen. Insbesondere bei kritischen Rohstoffen im Einkauf wird es eng. Und werden Güter knapp, steigen auch die Preise. Das bedeutet also nicht nur Lieferprobleme, sondern auch weitere empfindliche Preissteigerungen bis hin zum Endkonsumenten und zur Endkonsumentin, auf die die höheren Produktionskosten überwälzt werden. Komponenten aus dem Ausland Im Vordergrund stehen in der Schweiz derzeit Industrieunternehmen, die Rohstoffe, technische oder elektronische Komponenten aus dem Ausland beziehen, wie etwa Energie, Metalle, chemische Produkte, Halbleiter oder Maschinenteile. Das dänische Beratungsunternehmen Implement Consulting hat dazu in einer internationalen Studie untersucht, welche Produkte und Sektoren in europäischen Ländern besonders von den Störungen betroffen sind. 5000 Produkte importieren wir aus Ländern ausserhalb der EU Das Ergebnis für die Schweiz: Rund 5000 Produkte importieren wir aus Ländern ausserhalb der EU. Davon sind 160 potenziell sensible Produkte, wie Rohstoffe, pharmazeutische Wirkstoffe und Industriegüter. Also Produkte, die unbedingt für die eigene Produktion benötigt werden, kaum substituierbar sind und von ganz wenigen oder gar nur von einem Unternehmen global produziert werden. Rund 40 dieser Produkte werden auch nur in einer Weltregion hergestellt. Dementsprechend hoch ist die lokale Konzentration von Waren und Rohstoffen bei der Beschaffung. Das macht es für die Schweiz schwierig, ihre Importe auf andere Länder zu diversifizieren. 25 der 40 kritisch importabhängigen Produkte – das sind fast zwei Drittel – entfallen auf Chemikalien und Pharmazeutika, darunter pharmazeutische Wirkstoffe und gesundheitsbezogene Produkte. Auch Produkte für die Armee kommen aus Drittländern Der Kern dieser 25 kritischen Importprodukte für die Schweizer Wirtschaft besteht aus 15 höchst importabhängigen Produkten und umfasst Rohstoffe und Zwischenprodukte, die für die Schweizer Hersteller unverzichtbar sind: unedle Metalle und Zwischenprodukte daraus, Maschinen und elektronische Erzeugnisse, Kunststoff und Gummi, Edelmetalle, mineralische Erzeugnisse, Holz – sowie: Transportmittel. Immerhin 94 Prozent des Wertes kritisch importabhängiger Verkehrsmittelprodukte werden aus Drittländern importiert. Dazu gehören auch Produkte für die Armee und damit für die nationale Sicherheit. Die Schweiz hat weder eine Automobil- noch eine Flugzeugproduktion. Anders gesagt: Hängt es bei VW und stockt die Produktion bei Lockheed Martin, dann gibt es Autos und Kampfjets für die Schweiz entweder später oder gar nicht. Und die Schweizer Zulieferer an diese Firmen machen auch weniger Geschäft. Fünf Industriemächten ausgeliefert Geografisch zeigt sich folgendes Bild: Von fünf Ländern ausserhalb der EU ist die Schweiz besonders abhängig. Es sind dies die USA, Grossbritannien, China, Indien und Japan. Lockdowns in China, mangelnde Hafenkapazitäten an der Westküste der USA, Zollhindernisse in England nach dem Brexit und kilometerlange LKW-Staus, gesperrte Wasser- und Lufttransportwege infolge des Russland-Ukraine-Kriegs – die grössten Industriemächte stöhnen unter den erschwerten Lieferbedingungen. Und in den vergangenen Monaten hat sich die Lage nicht verbessert. Auch nicht für die Schweiz. Ein prominentes Beispiel dafür ist laut dem Verband Interpharma die Arzneimittelindustrie – sowohl in der Herstellung als auch für die Konsumentinnen und Patienten. In der Schweiz mangelt es gemäss Angaben des Bundes an Antidepressiva, Antiepileptika, Antibiotika und Herz-Kreislauf-Arzneien. Bei gewissen starken Schmerzmitteln lebt die Schweiz momentan von den Reserven. Es sind nicht genügend orale Opioide verfügbar, meldete das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) kürzlich. China und Indien: Apotheken der Welt China und Indien sind heute die Apotheken der Welt. Schätzungen zufolge stammen 80 bis 90 Prozent der Wirkstoffe und Ausgangsmaterialien von Medikamenten von Herstellern in diesen beiden Ländern. Die Herstellungsprozesse sind über die Kontinente hinweg segmentiert, vom Grundstoff über die Abfüllung bis hin zur Etikettierung. Die Rückverlagerung der Produktion in die Schweiz oder nach Europa gilt deshalb als ein notwendiges Übel, um die Versorgungssicherheit bei Medikamenten und der Pharmaindustrie sicherzustellen. Prognosen zeigen, dass in den nächsten Jahren erhebliche Teile der weltweiten Produktion durch sogenanntes Re- und Nearshoring verlagert werden könnten. Was aber die Produkte – dann aus Ländern mit höheren Löhnen und Produktionskosten – nach der Rückverlagerung wiederum verteuert. Auch geht die «Rückholaktion» nicht so flott, wie man sich das vielleicht vorstellen möchte. Sie kostet Geld, der Bau von Fabriken dauert viele Monate bis Jahre. Und es fehlt an gut ausgebildeten Fachkräften. Nicht nur über dem Teich und jenseits des Pazifiks hat die Schweizer Industrie massive Abhängigkeiten: Bei 13 von 34 Produkten handelt es sich um kritische Waren aus der EU. Wobei gleichzeitig weltweit die globalen Wertschöpfungsketten schlanker werden, um Lagerkosten zu reduzieren und Just-in-time-Lieferungen zu ermöglichen. Kommt in der äusserst knapp organisierten und kalkulierten Lieferkette Sand ins Getriebe, dann stehen nicht nur am anderen Ende der Welt, sondern auch in Europa und in der Schweiz die Bänder still. Wie in Deutschland, so auch in der Schweiz Was auf die Schweiz zukommt, lässt sich mit etwas Vorlaufzeit an der deutschen Wirtschaft ablesen. Deutschland ist der wichtigste Exportmarkt der Schweiz und ihrer Industrien, die zahlreiche Zuliefer- und Halbfertigprodukte ins Nachbarland liefern. Die Automobilzulieferer gehören im Hinblick auf Umsatz und Jobs zu den grössten Zulieferbranchen der Schweiz. Gleichzeitig werden von einer ebenfalls hoch spezialisierten Industrie in Deutschland Waren in der Schweiz benötigt, um im Inland die Produkte für den Export herzustellen. In einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer IHK in Deutschland vermeldeten im März 84 Prozent der deutschen Industriebetriebe Störungen in der Lieferkette und Logistik. Prompt waren in der Schweiz gemäss dem Branchenverband Swissmem die Umsätze im ersten Quartal 2022 wegen der Lieferkettenprobleme nur um 4 Prozent höher, obwohl die Volumina der Auftragseingänge um ein Viertel höher waren als vor der Pandemie. Maue Konjunkturaussichten Mehr als zwei Drittel der betroffenen Unternehmen bauen nun als Reaktion auf die Lieferengpässe Lager auf, was aber zu einer zusätzlichen Verknappung führt. Dementsprechend mau sind die Konjunkturaussichten laut der Schweizer Konjunkturforschungsstelle KOF. Dessen Konjunkturbarometer sank im Vormonat erneut und steht nun bei 96,9 Punkten. Im Juni 2021 waren es noch 123,8 Punkte. Was die Lage so düster macht, ist der Umstand, dass das Binnenland Schweiz als Herstellerland derart abhängig ist, dass Tausende produzierende Firmen kaum etwas dagegen tun können.

Probleme mit Lieferketten: Das sind die Folgen für Schweizer Unternehmen

Lieferketten-Probleme: Das droht jetzt der Schweizer Industrie