So antwortet die Gastrobranche auf die Pandemie

Andreas Güntert
Marcel Speiser Handelszeitung
Von Andreas Güntert und Marcel Speiser
am 29.12.2020 - 14:11 Uhr

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Und wieder müssen Restaurants und Beizen schliessen. Nun sucht die Gastronomie nach neuen Wegen, um unsere Esstische zu erreichen.

Und wieder einmal sind die Restaurants im ganzen Land geschlossen. Bis Ende Januar ist nichts mit gepflegtem Auswärtsessen in einem stimmungsvollen Ambiente mit Freunden oder Familie.

Die Gastronomie war schon immer eine anspruchsvolle Branche mit hohen Fixkosten und – trotz saftigen Preisen – bescheidenen Margen. Nachhaltigen Erfolg hat nur, wer das Publikum über Jahre mit hoher Qualität, gelebter Gastfreundschaft und einem guten Gespür für Trends begeistern kann – und das können längst nicht alle Gastronomen, wie wir alle aus eigener Erfahrung wissen.

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In kaum einem Wirtschaftszweig gibt es deshalb mehr Pleiten als in der Gastrobranche. Aber umgekehrt führt die Gastronomie auch die Liste der Neugründungen regelmässig an. Der Grund ist einfach: Die Menschen geniessen es seit Jahrhunderten, zusammen mit anderen zu speisen.

Die soziale Seite des Essens

Weil das nicht bloss der Nahrungsaufnahme dient, sondern ein gemeinschaftliches Erlebnis ist – egal ob beim Business-Lunch oder beim Apéro mit Freunden, immer geht es um mehr als um die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse. Es geht um soziale Interaktion.

Doch genau die ist in den letzten Monaten zu einem Problem geworden, zu einem sehr ernsthaften Gesundheitsproblem. Entsprechend haben die Behörden in der Schweiz und anderswo so viel Einfluss auf das Geschäft der Gastronomie genommen wie nie zuvor.

Kurz: Corona hat die Branche auf den Kopf gestellt. Um zu überleben, müssen Gastronomen sicherstellen, dass sie Zugang finden zu unseren Esstischen daheim. Wenn wir nicht zu ihnen kommen (dürfen), müssen sie zu uns kommen. Jedenfalls mit ihren Produkten – den fertig gekochten Mahlzeiten.

Doch das – die Verlagerung der Beiz in unsere Esszimmer respektive die Verschiebung der Betriebskantine in unsere Homeoffices – verlangt nach neuen Geschäftsmodellen – mit neuen Chancen, aber auch neuen Risiken für die Restaurateure.

Das Jahr der Essenslieferdienste 

Wie wichtig Delivery mittlerweile ist, wissen hiesige Anleger spätestens seit Spätsommer 2020. Damals wurde der deutsche Essenslieferdienst Delivery Hero in den deutschen Börsen-Leitindex DAX aufgenommen. Das Unternehmen ist in rund vierzig Ländern aktiv und schreibt einen Umsatz von über 1,2 Milliarden Euro. Das sind ziemlich viele Pizzen.

Wer Delivery Hero schon länger auf dem Zettel hatte, verfolgte Ende 2019 gespannt, wie die Berliner Firma eine Übernahme in einem Feld tätigte, das damals wohl erst Profis ein Begriff war: «Ghost Kitchens».

Delivery Hero schluckte damals die ebenfalls in Berlin domizilierte Honest Food Company, die Küchen betreibt, in welchen ausschliesslich Essen für Lieferdienste gekocht wird.

Woraus sich auch das etwas spezielle Naming der Firmengattung herleitet: Weil das Unternehmen zwar brutzelt, brät und kocht, aber am anderen Ende der Wertschöpfungskette keine Restaurants betreibt, sondern die Mahlzeiten direkt zum Kunden nach Hause verfrachtet, ergibt sich der Terminus «Geisterküche».

Ghost Kitchens optimieren Fixkosten

Der Vorteil für die Betreiber solcher Ghost oder Dark Kitchens: Weil der Standort für die Produktion von Mahlzeiten nicht von grösster Wichtigkeit ist, sparen die Betreiber die Kosten für Restaurants an teuren Lagen. Kommt dazu: Weil man im Betrieb nicht auf Laufkundschaft angewiesen ist, können Personaleinsätze besser getimt werden, was sich als weitere Optimierung der Kostenseite zeigt.

Als Schweizer Pionier im bisher noch schwach bespielten Firmen-Genre der Ghost Kitchens gilt das Luzerner Unternehmen Tavolago, welches zur Schifffahrtsgesellschaft des Vierwaldstättersees (SGV) gehört.

Podcast Tipp

Nicht erst seit Corona boomen Food-Lieferdienste. Wie ändert sich die Gastro-Welt? Antworten hören Sie im Podcast «HZ Insights».

Die Binnenreeder haben mit der Tavolago-Geisterküche namens Luzis seit Ende Oktober eines der spannendsten Schweizer Geisterküchen-Konzepte am Start: In einer Luzerner Eishalle produziert eine Zentralküche Mahlzeiten für die Heimlieferung. Ausgeliefert werden die Speisen via spezialisierte Dienste wie Uber Eats und Smood.

Weitere Geisterküchen anderer Player sind in Basel, Bern und Zürich hinzugekommen. Fachleute zweifeln nicht daran, dass bei diesem Gastroformat noch einiges an Wachstum drinliegt. In einer Zeit, die eben von Lockdowns, Homeoffice und geringeren Frequenzen überlagert ist, wird so der kostspielige Faktor Restaurant aus der Futterkette entfernt. Das Essen gelangt von der Küche direkt zum Konsumenten nach Hause.

Die Mittelstation fällt weg

Mode-Analysten fühlen sich dabei ans Zalando-Modell erinnert: Auch hier wurde die Mittelstation – der stationäre Laden – ausgeschaltet. Der Kunde holt quasi die Laden-Garderobe zu sich nach Hause.

So ist es auch bei den Endkonsumenten der Geisterküchen: Hier kommen Rösti, Burger und Currywurst ohne den Umweg übers Restaurant direkt von der Profiküche zum Gast nach Hause.

Was Geisterküchen ebenfalls ermöglichen, sind rein virtuelle Restaurants. Sie verfügen über keine Lokale, sondern existieren nur virtuell: auf den digitalen Menükarten von Anbietern wie Uber Eats.

Gemäss Christine Schäfer vom GDI Gottlieb Duttweiler Institute in Rüschlikon ZH verfügt der US-Disruptor über mehrere tausend virtuelle Beizen rund um den Globus, die meisten davon in den USA.

Virtuelle Küchen als neue Disruptor

Ein Beispiel ist Sushiyaa in Dallas, wie im «European Food Trends Report» des GDI nachzulesen ist: Die kleine Sushi-Kette betreibt fünf physische Restaurants unter dem Namen Sushiyaa.

Doch in ihren Küchen werden auch Gerichte für zwei Dutzend virtuelle Restaurants wie Bento Box, Poke Station oder Mandu Dumpling House zubereitet, die ganz andere Gerichte anbieten und nur bei Uber Eats erhältlich sind.

Eine weitere Form der virtuellen Küche umfasst die Lizenzierung bestehender Restaurantrezepte und Menükarten in einem virtuellen Modell. Das Startup-Konzept Good Uncle nutzt dies, um im Segment der Universitätsverpflegung zu bestehen.

Good Uncle bietet qualitativ hochwertige Fertiggerichte zu unterschiedlichen Preisen. Sie werden mit der eigenen Lieferflotte im Drop-off-Verfahren geliefert. Interessant ist dieses Modell durchaus auch für Sterne-Restaurants: Sie könnten gemeinsam ein entsprechendes Lizenzierungsmodell ausarbeiten und gemeinsam eine Geisterküche betreiben.

Ähnlich wie Good Uncle operiert auch der chinesische Anbieter Yun Ban Bao, von dem sich etwa Kantinenbetreiber etwas abschauen könnten: Er liefert vorbestellte Menüs zu definierten Abstellorten – etwa den Empfangsräumen von Unternehmen.