Die Sekretärin bringt die amerikanische Flagge in Sicherheit. Das Büro wird umgebaut, überall stehen leere Regale, es wird ausgeräumt. Es soll ein frischer Wind durch die Räume der «Swiss-American Chamber of Commerce» wehen, «es braucht», sagt der neue Chef, Martin Naville, «wieder mal einen Farbanstrich und neue Teppiche».

Einen frischen Anstrich könnte auch das Image jener Beziehung brauchen, für die Naville hier am Talacker in Zürich als Verbindungsmann arbeitet, die wirtschaftliche Beziehung zu den USA. «Nein, es herrscht kein Anti-Amerikanismus», wehrt er entsprechende Fragen sofort ab, aber einen «negativen Trend» in der Bewertung des Partners jenseits des Atlantiks muss er doch feststellen. «Die USA sind momentan nicht so sexy», bedauert er und kann nicht verstehen, wie die hiesige Presse zum Beispiel mit den Präsidentschaftswahlen umgegangen ist, und dass die Boulevardzeitung «Blick» schreiben kann, «62 Mio Amerikaner spinnen». «Sorry», sagt er, «aber es war eine demokratische Wahl und ein klarer Sieg.»

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Naville steht mit einem Bein in Amerika, mit dem andern in Zürich. Wenn irgendwo in den dynamischen Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern ein Sandkorn das Getriebe zum Kreischen bringt, hören es die Mitglieder der Kammer, und Naville versucht, es gemeinsam mit ihnen zu entfernen. Momentanes Hauptthema: Es braucht ein Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und den USA. «Wir haben Freihandelsabkommen mit Tunesien, mit Südafrika, aber mit unserem zweitwichtigsten Handelspartner haben wir das noch nicht», sagt er, und doppelt nach, «das ist ja absurd.»

«Wir verkaufen uns schlecht»

Ein Freihandelsabkommen bedeutet nicht nur keine Zölle, sondern auch massive Vereinfachungen im Handel und bei Investitionen, in Deklarationsfragen, Sicherheits- und Visa-Fragen, oder beim Austausch von Experten. «Die USA sind die Lokomotive der Weltwirtschaft», sagt Naville, «wir Schweizer sind die sechstgrössten Investoren in den USA, umgekehrt ist die Schweiz die viertwichtigste Destination für amerikanische Auslandsinvestitionen. Wir sind also auch für die Amerikaner jemand Wichtiger, aber mir scheint, wir sind viel zu bescheiden, verkaufen uns zu schlecht. Wann war zum letzten Mal ein Bundesrat Gast beim amerikanischen Präsidenten? 20 Jahre sind es mindestens her.»

Martin Naville redet schnell, leise, deutlich, und vor allem engagiert. Die gegenwärtigen Verstimmungen zwischen Schweizern und Amerikanern deutet er als klassische Missverständnisse. «Jede Seite arbeitet nur mit dem halben Datensatz», sagt er. «Wir glauben, wir verstehen einander, weil wir denken, die Amerikaner seien so wie wir. Sie sehen ja gleich aus wie wir, haben im Grunde dieselbe Kultur und Vergangenheit, das Visible ist sehr ähnlich. Und nun glauben wir, dass sie auch gleich funktionieren wie wir, aber das täuscht.»

Würden wir mit dem ganzen Datensatz arbeiten, so Navilles Analyse, dann würden wir Europäer verstehen, dass der Amerikaner einen ganz anderen Bezug zur Nation hat, zur Heimat, zur Freiheit, und seit dem 11. September einen ganz anderen Bezug zur Sicherheit. «Wer ist denn damals nach USA ausgewandert?», fragt er. «Es waren Verzweifelte, Hungernde, Leute, die sich nach Freiheit sehnten und glaubten, there must be a better way. Und die Amerikaner sind Nachfahren dieser Leute, die die Kraft aufbrachten auszuwandern, die sich im Fremden bewährt und es geschafft haben. Und wir hier? Sind die Nachfahren jener Leute, die geblieben sind. Wir sind ganz andere Typen.»

Das Verständnis für den Andern, das Suchen nach der Antwort auf die Frage «warum denkt er so», scheint Martin Naville schon von seiner Herkunft her gegeben zu sein.

Als Spross einer weit verzweigten Familie mit Wurzeln in der Westschweiz, aber auch in der Deutschschweiz, ist Martin Naville in Genf bilingue aufgewachsen, spricht heute noch mit seinen Eltern französisch, ebenfalls mit seinen Kindern, mit seiner deutschen Ehefrau allerdings Hochdeutsch, mit der Umgebung in Zürich wiederum akzentfreies Schweizerdeutsch und mit den Partnern in den USA natürlich perfektes Amerikanisch.

Das Zwei-, Drei-, Viersprachige, das Wechseln zwischen den Sprachen und Kulturen schafft eine Fähigkeit, zwischen den Standpunkten zu wechseln. «Klar», sagt Martin Naville, «gehört Vermitteln zu meinem Job hier, aber mit Vermitteln allein erreicht man kein Ziel. Man muss herausfinden, wo die Partner aneinander vorbeireden, wo sie ihre Meinungen auf inkompletten Gedankengängen aufbauen, und dann muss man gezielt informieren und die Faktenlage massiv verbessern.»

Martin Naville spricht aus Erfahrung. Dreimal war er im Laufe seiner Karriere in den USA tätig, einmal als junger Student in Missouri, wo er am Columbia College als «Associate of Arts» abschloss, dann bei JP Morgan als junger Banker in New York und später bei der Boston Consulting Group wieder in New York, wo er zum Partner und Direktor befördert wurde, bevor er dann 1995 wieder zurück nach Zürich geholt wurde. Die knapp drei Jahre in New York haben ihn tief beeindruckt. «Wir haben in Greenwich Village gewohnt», erzählt er, «einem Viertel voller Künstler und verschiedener Kulturen, Businesses, Läden, einem Dorf mitten in Manhattan.»

Wo Kulturen aufeinander prallen, ist Naville im Element. «Diese Stadt ist ein Melting Pot; wer etwas erreichen will, kommt hierher, alles entwickelt sich sehr schnell, auch beruflich.» Naville wäre gerne länger in diesem dynamischen Umfeld geblieben, wenn sein Unternehmen ihn nicht zurück nach Zürich geholt hätte.

Chef vom Zoo Zürich

Seither ist Amerika eine seiner Faszinationen, und als CEO der Handelskammer ist er täglich mit ihr konfrontiert. Eine andere Begeisterung ist ihm erst vor ein paar Jahren zugeflogen, als ihn Bekannte motivierten, sich im Zürcher Zoo zu engagieren. «Zoo ist etwas Lässiges», freut er sich spontan, wenn er daran denkt, dass er heute als Verwaltungsratspräsident der «Zoo Zürich AG» ein gesundes und dynamisches Unternehmen führen kann, mit dem er bei seinen Söhnen im Alter von sieben und zehn Jahren grossen Eindruck schindet. «Da sehen sie konkret, was der Vater macht.» Auf die unter der Leitung seines Vorgängers Rolf Balsiger gebaute neue «Masoala-Halle» zum Beispiel ist er unglaublich stolz. «Stolz bin ich, weil hier etwas durch und durch Amerikanisches passiert ist: Es hätte für Balsiger und die Zoo-Leitung 50 gute Gründe gegeben, sie nicht zu bauen. Das Team hat aber die 50 positiven Gründe gesehen und hat es trotzdem gemacht.»

Eigentlich passt auch dieses Zoo-Engagement perfekt ins Vermittler-Portefeuille des Martin Naville. Den Leuten Tiere näher bringen, die Faktenlage massiv verbessern. «Die Menschen schützen nur, was sie kennen und lieben», sagt er und versteht sich hier durchaus als Tierschützer. «Natürlich höre ich oft, Zoos seien nicht in der Lage, Tiere artgerecht zu halten. Aber erstens tun wir im Zoo sehr viel zum Wohl der Tiere, und zweitens ist man ja auch nicht sicher, wie viele Tiere in der freien Natur so genannt artgerecht leben. Viele verhungern, erfrieren, werden gefressen. Man darf das nicht so puristisch sehen.»

Die Dinge von verschiedenen Seiten betrachten, Vorurteile durch Faktenkenntnis abbauen, sich von harten Positionen lösen und Wege suchen, die für beide Partner akzeptabel sind. Auch im Verhältnis zwischen der Schweiz und den USA wird Martin Naville die Arbeit nicht so schnell ausgehen.

Ein Herz für Tiere: Steckbrief

Name: Martin Naville

Funktion: CEO, Swiss-American Chamber of Commerce

Geburtsdatum: 6. März 1959

Wohnort: Küsnacht ZH

Familie: Verheiratet, zwei Kinder

Karriere

1985 Morgan Guarantee Trust, Zürich und New York

1988 The Boston Consulting Group, München, Zürich, New York: Consultant, Manager, Partner, Direktor

2004 CEO, Swiss-American Chamber of Commerce, Verwaltungsratspräsident Zoo Zürich AGFirma

Swiss-American Chamber of Commerce: Der 1963 gegründete Verband mit rund 2400 Mitgliedern, meist Firmen, stellt sich sowohl Schweizer Firmen in den USA wie auch US-Firmen in der Schweiz als Problemlöser zur Verfügung. Das Budget beträgt rund 2 Mio Fr., gespeist aus zwei Dritteln Mitgliederbeiträgen und einem Drittel Sponsoring ohne öffentliche Beiträge. Die Kammer organisiert in allen Landesteilen Vorträge und Events zu möglichen Problemen zwischen den USA und der Schweiz, von Visa-Fragen über Geldwäscherei bis zum Umgang mit Geschworenengerichten.