Die Gänge sind voll von Kisten. Möbelmänner wuseln herum, und es herrscht eine Atmosphäre wie im Bienenhaus, bevor die Königin mit ihrem Volk ausschwärmt. Martin Wittwer, CEO der TUI Suisse, empfängt uns trotzdem, «etwas übernächtigt», wie er sagt, aber die Ruhe selbst. Die Firma zügelt.

Er selbst hat gestern bis in den Morgen hinein sein Büro aufgeräumt, hat die Unterlagen sortiert und Abfall entsorgt. «Seit ich vor sechs Jahren hier angefangen habe», erzählt er, «nahm ich mir nie die Zeit, die Schränke meiner Vorgänger auszuräumen. Ich war gekommen, um den Turnaround zu erreichen, nicht um mich gemütlich einzurichten.»

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Den Umschwung hat er mit seinem Team mittlerweile geschafft, jetzt kommt dieser Umzug. «Es war eine seltsame Nacht», erzählt er, «mir sind die letzten Jahre durch die Hände gegangen. Dabei habe ich mich noch mal erinnert, was in dieser Zeit alles passiert ist. Aber die Geschichte ist jetzt Abfall.»

«Wir machen einen Neuanfang»

Der Betrieb des Reiseveranstalters TUI Suisse läuft derweil unter Volllast weiter. Am Freitag Abend hört man am alten Ort auf, am Montag Morgen sucht man am neuen Ort seinen Arbeitsplatz. «Dieser Move», sagt Martin Wittwer, «tut der ganzen Firma gut.» Nicht nur, weil der neue Standort bessere Arbeitsbedingungen bietet und günstiger ist, sondern weil damit ein Zeichen gesetzt ist: «Die Wirren der vergangenen Jahre sind vorbei, jetzt macht TUI Suisse einen Aufbruch, einen Neuanfang.»

TUI Suisse hat eine lange Geburt hinter sich. Die Schweizer Reisebranche durchlief in den 90er Jahren eine stürmische Phase von Fusionen. Zuerst spannten die Reiseunternehmen Imholz und Jelmoli zusammen und gründeten eine Holding. Dann kamen 1997 Vögele Reisen und TUI hinzu. Zusammen wollten sie als ITV (Imholz, TUI, Vögele) den nationalen Leadern Kuoni und Hotelplan eine gleichstarke Konkurrenz entgegenstellen. Aber Kuoni und Hotelplan erklärten den deutschen Besitzern des Schweizer Unternehmens den Boykott. Sie erhielten auf den Flugzeugen keine Plätze mehr und verbannten die Angebote von ITV aus den eigenen Reisebüros.

Jeder kämpfte gegen jeden

Die ITV selbst war ein zusammengewürfeltes Unternehmen mit verschiedenen Kulturen, ohne stabile Struktur und mit vier verschiedenen IT-Systemen. Kein Wunder, wirkte der Boykott der Mitbewerber verheerend, Umsatz und Ertrag sanken in den Keller, bis Kuoni am Ende scheinbar die Hand zur Rettung und Versöhnung und zu einem Joint Venture bot.

Martin Wittwer war damals von Kuoni zu TUI geschickt worden, um den deutschen Eindringling zu führen. «Ich erinnere mich noch gut», erzählt er, «ich war gerade in London, als mich mein Chef anrief und fragte, ob ich nächste Woche als CEO zu TUI wechseln wolle. Wie lange habe ich Zeit für den Entscheid, fragte ich, und die Antwort war: Eine Nacht.» Als Wittwer den Job übernahm, war ihm nicht bewusst, dass das Unternehmen ziemlich ausgehungert war. «Der Boykott war wohl vom Tisch, aber wir hatten ein Unternehmenskonglomerat, und jeder kämpfte gegen jeden, wir arbeiteten nach unterschiedlichen Prozessen, hatten keine gemeinsame Kultur, keine gemeinsame Informatik und zu viele, aber zu wenig profilierte Marken.» Wittwer kämpfte verbissen, denn genau in dieser Phase schrumpfte der Reisemarkt massiv. Die Folgen des Terrorismus (9/11), des Irak-Krieges, von Sars und anderen Schockwellen machten den Reiseunternehmen schwer zu schaffen. Aber dank den jährlichen Kostensenkungsprogrammen verbesserte sich der Ertrag trotz sinkendem Umsatz laufend. 2004 entschloss sich Kuoni aus strategischen Gründen, den Minderheitsanteil von 49% an TUI Suisse an die TUI AG (Hannover) zu verkaufen. Martin Wittwer hätte wieder wechseln können. In eine andere Karrierephase. Job erledigt.

Aber Wittwer blieb bei TUI. «Lasst uns jetzt mal alleine arbeiten», sagte er seinen Leuten, «mittlerweile funktionieren wir, und wir haben eine echte Chance.» Das war vor zwei Jahren, seither gehts bergauf. «Seither fühlen wir uns befreit, die Fesseln sind weg, jetzt kommen wir in Fahrt.»

Tempo Teufel durchgezogen

Ein wenig schimmert schon der Stolz durch, wenn er nach dieser Nacht des Aufräumens zusammenfassen kann: «Wir haben es geschafft. Wir haben nicht aufgegeben, obwohl man uns keine Chance mehr gegeben hat, wir haben unsere Leute bei der Stange gehalten, haben neue Strategien definiert und immer Tempo Teufel durchgezogen.» Ziel erreicht, Zahlen schwarz.

Dabei hätte man diesem Martin Wittwer so etwas kaum zugetraut, wenn man ihm als jungem Mann über den Weg gelaufen wäre. Er stammt aus einer Lehrerfamilie, Vorfahren Lehrer, Geschwister Lehrer. Er selber wollte etwas anderes machen und absolvierte eine KV-Lehre im Stahlhandel. Aber das Büroleben war nicht sein Ding, er liebte das Abenteuer draussen in der Natur, absolvierte die militärische Ausbildung bis zum Offizier und arbeitete zwischenzeitlich als Surf-Lehrer, genoss Sonne, Meer und Strand. Er führte ein lockeres Leben, bis er eines Sommers auf Sardinien in einem Hotel arbeitete, das so schlecht funktionierte, dass sich Martin Wittwer herausgefordert sah, das Haus auf Vordermann zu bringen.

So lernte er den Tourismus von einer anderen Seite kennen. Der Funke hatte gezündet, es folgte die Tourismusfachschule und dann eine steile Karriere bei Kuoni. «Ich hatte das Glück», sagt Martin Wittwer, «dass ich immer auf Leute stiess, die einander helfen und selber bereit sind, jede Chance zu packen.» Und das ist es, was ihn an der Arbeit reizt: «Probleme lösen und kreativ sein, Leute zusammenzubringen, ihnen genügend Handlungsspielraum geben und dann kämpfen, durchhalten, am Ziel dranbleiben.» Hart am Wind wie beim Surfen.

Den Spass am Sport hat sich Martin Wittwer die ganze Karriere hindurch erhalten. Wenn er mit seiner Frau und den beiden Kindern in die Ferien fährt, bucht er im hauseigenen Robinson Club, und er packt auch sonst die Gelegenheiten, durch die Berge zu biken, über den Schnee zu brettern oder sich im Tennis mit einem Gegner zu messen. Im Sport erkennt er seine Philosophie des Führens. «Ich spiele gerne mit Leuten, die sich voll hingeben», sagt Martin Wittwer. «Man erkennt schnell, ob einer Willen hat, wie er bei einem Rückschlag reagiert oder in der Krise. Kann einer kämpfen? Bleibt er fair? Kann er verlieren? Schiebt er Fehler auf andere, nimmt er sie auf sich? Nimmt er Risiken auf sich?»

Leute mit eigener Zielsetzung

Er macht zwar mit Bewerbern keine Assessments auf dem Sportplatz, aber wie im Sport geht er die Dinge auch im Unternehmen an: «Ich schätze Leute im Team, die sich selber Ziele setzen können», sagt er, «Leute, die sich ihren Entfaltungsraum selber definieren. Sie mögen sich aneinander reiben, aber sie sollen dasselbe Ziel haben.»

Und das Ziel ist klar: Jetzt wird mal dieser wichtige Schritt getan in ein neues Zuhause. Dann geht es darum, die schwarzen Zahlen zu konsolidieren, auszubauen, die neuen Ideen sauber umzusetzen, neue Produkte und neue Ansätze zu lancieren. «Wir geben jetzt richtig Gas», sagt Wittwer, «und zwar in einem Moment, in dem der Markt wächst und die Kunden ihr Verhalten zum Beispiel wegen Internet ändern.» Die Konkurrenz scheint den neuen Mut der Crew und die Gefahr, die für sie davon ausgeht, zu spüren. TUI wird im Flugsektor durch die Mitbewerber neuerdings nämlich wieder boykottiert.

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Steckbrief: 250 000 Kundinnen und Kunden pro Jahr

Name: Martin Wittwer

Funktion: CEO/VR TUI Suisse Ltd

Geboren: 20.9.1961

Wohnort: Wollerau

Familie: Verheiratet, zwei Kinder

Karriere

- 1985 Verkaufschef Helvetic Tours, Kuoni

- 1986 Gründung, Lancierung Twen Club, Kuoni

- 1991 Leiter Werbung/Marketing, Kuoni

- 1997 Mitglied der Geschäftsleitung, Kuoni

- 1999 CEO TUI Suisse Ltd, ZürichFirma

TUI Suisse ist ein Unternehmen des grössten europäischen Reiseunternehmens TUI AG (World of TUI) und beschäftigt in der Schweiz rund 550 Reisefachleute. Sie betreuen pro Jahr über 250 000 Kunden. Zu den Marken gehören Imholz, Flex Travel, Vögele Reisen, 1-2-Fly und Spinout SportTours. Exklusiv in der Schweiz vertreibt TUI Suisse die Angebote der Clubmarken von Robinson Club und Magic Life Club. Das Vertriebsnetz umfasst 70 Filialen, die unter den Namen Imholz, Vögele Reisen, Kipfer Reisen, Häfliger Reisen oder in der Romandie als TUI Agence de voyages auftreten.