Über SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher (50) mit ihren Gesichtsmasken lacht heute niemand mehr. Im Gegenteil: Ihr neuster Coup mit selbstimportierten Hygienemasken für Coiffeusen und Coiffeure wird ihr wohl Tausende neue Wählerstimmen bescheren.

Erst belächelt, dann verstummt, ist auch die Kritik an strengeren Vorsichtsmassnahmen, die in Martullos Unternehmen, der Ems-Chemie in Domat/Ems GR, schon Wochen vor dem Lockdown Mitte März eingeführt wurden. Dazu gehören etwa rote Markierungen auf den Tischen der Werkskantine – nur hier darf gegessen werden.

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Doch es gibt auch Corona-Vorschriften, mit denen die Ems-Chefin übers Ziel hinausschiesst und sich im arbeitsrechtlichen Graubereich bewegt.

Eine Gruppe von Ems-Angestellten, denen Martullo-Blocher zu weit geht, wendete sich an BLICK. Per Brief, mit internen Formularen, Weisungen und Aushängen, aber anonym. Sie wollten ihren Namen aus Angst, den Job zu verlieren, nicht öffentlich machen, schreiben sie.

Die Echtheit der vorliegenden Dokumente und Weisungen, die an Personalverantwortliche aller Standorte der Ems-Gruppe in der Schweiz gingen und an den Anschlagbrettern hängen, stellt das Unternehmen nicht in Abrede.

Knackpunkt Offenlegung Ferienpläne

Manche der aufgeführten «Missstände», wie es im Brief heisst, lassen sich entkräften. So darf der Arbeitgeber das Tragen von Schutzmasken anordnen, wenn er sie den Mitarbeitenden zur Verfügung stellt. Und er darf einen Corona-Test fordern, wenn ein Angestellter aus einer Risikoregion wieder an die Arbeit zurückkehrt.

Zu weit geht Ems laut Arbeitsrechtlern jedoch bei der Kontrolle von privaten Auslandsaufenthalten. Hier geht es im Kern um die Ferienanträge, welche die Angestellten mittels Formular bei ihren Vorgesetzten einreichen müssen. Das Antragsformular, es liegt BLICK vor, ist kürzlich überarbeitet worden und enthält eine neue Spalte. Im Gegensatz zurzeit vor Corona verlangt die Ems-Führung jetzt die zusätzliche Angabe von Ort und Land, in denen Ferien geplant sind. Zum Beispiel: Lenzerheide GR, Schweiz, oder Sizilien, Italien.

Darf der Arbeitgeber, in diesem Fall Ems, die Angabe des Ferienorts und -landes einfordern?

Amt für Arbeit kennt keine ähnlichen Fälle

Das Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Graubünden (KIGA) weiss nichts von dieser Praxis. «Wir hatten keine Kenntnis von diesem Fall und wissen auch nicht, ob es weitere gibt», sagt KIGA-Amtsleiter Paul Schwendener (65).

Ems gehe zu weit, sagt Jurist und Arbeitsrecht-Experte Thomas Geiser (67). «Die Arbeitgeberin darf diese Offenlegung nicht verlangen.» Entsprechend könne der Arbeitnehmer auch etwas gänzlich Falsches angeben, ohne dass sich daraus negative Konsequenzen für ihn ergäben.

«Die Offenlegung wurde gestützt auf die Informationspflicht der Mitarbeiter/innen bei Reisen in Risikogebiete und -länder verlangt», heisst es in einer Stellungnahme von Ems an BLICK. Das Unternehmen bestätigt, dass das Antragsformular aufgrund der Corona-Krise eingeführt wurde. Damit wolle die Ems-Gruppe ihrer Fürsorgepflicht und rechtlichen Verpflichtungen nachkommen, die Gesundheit der Angestellten zu schützen, heisst es weiter.

Und wie steht es mit dem Verbot privater Reisen und Freizeitaufenthalte in besonders von Corona betroffene Länder wie Italien? «Keine Reisen in betroffene Gebiete», steht explizit in einer Ems-Weisung von März an die Angestellten, die BLICK ebenfalls vorliegt. «Selbstverständlich kann die Arbeitgeberin den Arbeitnehmern Reisen in bestimmte Gebiete nicht einfach so verbieten», sagt Experte Geiser.

Ems sieht sich im Recht

Bei der Weisung zu den Privatreisen und Freizeitaufenthalten dämpft Ems ab: Es seien «dringende Empfehlungen», die rechtlich zulässig seien und verhinderten, dass Angestellte nach ihrer Rückkehr «der Arbeit fernbleiben müssen». Ems nennt dazu als Stichwort Quarantäne. Das Unternehmen will offensichtlich nicht, dass Angestellte nach den Ferien zuerst ein paar Tage oder Wochen in Quarantäne müssen – und womöglich weniger produktiv sind.

Empfehlungen sind sinnvoll, Verbote gehen zu weit, fasst Arbeitsrechtler Geiser zusammen. Und eines sei klar und gelte für alle Unternehmen: «Das Recht darf man nicht beugen, auch nicht in schwierigen Zeiten.»

Dieser Artikel wurde zuerst im Wirtschaftsressort des «Blick» veröffentlicht.