Mehr Innovation: Die Schweizer Matratzenhersteller sind aufgewacht

Matratzen sind ein Multi-Milliarden-Business. Schliesslich verbringen wir 40 Prozent unseres Lebens im Bett und schlafen auf einer Matratze. Die Covid-19-Pandemie hat uns durch Homeoffice oder Krankheit nochmals näher an das unspektakuläre, aber alltägliche Produkt gebracht. Doch wie auch in anderen Branchen hat der Online-Handel die Traditionshäuser, die ihre Matratzen vorwiegend in Schaufenstern anpreisen, auf den Kopf gestellt. Der grösste Matratzeneinzelhändler der Welt – Mattress Firm – wurde 2016 für 3,8 Milliarden Dollar von Steinhoff gekauft. Seither musste das Unternehmen Hunderte von Läden schliessen. Dieser Rückgang hat den Weg für Matratzenhersteller frei gemacht, die direkt über einen Online-Shop an die Kunden verkaufen. Zu den bekanntesten Namen dieser «Disruptoren» gehört Casper, Emma oder Sleep Number. Fokus auf das Thema Schlaf Einige dieser Startups sind an die Börse gegangen und konnten Millionen von Investorengeldern anziehen. Bereits 2014 etablierte Casper das Bett-in-einer-Box-System auch ausserhalb der USA. Das Unternehmen weist eine Marktkapitalisierung von 200 Millionen Dollar auf. Laut einer Analyse der Bank Mirabaud hat die Pandemie den Menschen das Thema Schlaf wieder nähergebracht. Sie hätten sich wieder vermehrt Gedanken um ihr Schlafwohlbefinden gemacht und die Suche nach der optimalen Matratze steht dafür im Vordergrund. Die Matratzenindustrie hat sich in den letzten Jahren markant verändert. Schweizer Traditionsunternehmen wie Happy oder Bico schienen davon lange Zeit unbeeindruckt und haben ihre Matratzen weiterhin in ihren Läden oder im Retail angeboten. Es schien so, als hätten sie den Online-Vertrieb ihrer Matratzen «verschlafen». Pre-used-Matratzen Der Schweizer Matratzenhersteller Happy, bekannt vom Werbeslogan «I wett i hett es happy Bett», setzt inzwischen auf Nachhaltigkeit. Sozusagen neue Matratzen, die nach einem Probeschlafen zurückgegeben werden, bereitet der Hersteller professionell auf und gibt sie unter dem Label «happy second life» in den Handel zurück. Bisher wurden die meisten Matratzen – aus nachvollziehbaren Gründen – nach dem Probeliegen entsorgt. Nun werden diese Retouren von Fachpersonen getestet und geprüft sowie einer Aufbereitung unterzogen. Die Hülle wird in der Wäscherei gereinigt und «gemäss höchsten Hygiene- und Sauberkeitsstandards» erhitzt, wie der Matratzenhersteller über sein Angebot schreibt. Happy springt damit auf die «Secondhand»-Welle auf, die in der Fashion-Industrie ebenfalls ein starker Trend ist. Nun also auch bei Matratzen. Diese seien zwar nach der Reinigung nicht mehr perfekt, aber funktionell und «hygienisch einwandfrei». Happy wolle das Thema Nachhaltigkeit mit den Pre-used-Matratzen «ehrlich und nachvollziehbar» präsentieren. Der Preis für die Matratzen wird dementsprechend auch angepasst. Die wenigen, aber grossen Player auf dem Matratzenmarkt verfolgen seit Jahrzehnten dieselbe Strategie: den Vertrieb von Matratzen an Kaufhäuser und Möbelgeschäfte. Daher war es wenig überraschend, dass in den letzten Jahren Matratzen zunehmend online und eben auch günstiger eingekauft wurden. Der Online-Verkauf von Matratzen sei nahezu «explodiert», schreibt Mirabaud in der Analyse. Im Jahr 2018 wurden 45 Prozent aller Matratzenverkäufe übers Internet getätigt. Vielversprechender Markt Die Pandemie hat dem keinen Abbruch getan. Im Gegenteil: Laut den neusten Zahlen konnte die Bettwarenindustrie zwischen 2020 und 2021 um rund 30 Prozent zulegen, die Umsätze stiegen um fast 9 Prozent. Menschen achten zunehmend auf ihre Schlafqualität und suchen die Gründe für Schlafmangel in Matratzen. Während der Pandemie hätten laut Mirabaud rund 70 Prozent aller Matratzenkäufer im Internet bestellt. Sei es wegen des Preises, sei es aus Zeitmangel, in ein stationäres Geschäft zu gehen. Inzwischen gibt es weltweit rund 175 Online-Matratzenhändler. Darunter neue Player wie Leesa, Nectar Sleep oder Purple. Der weltweite Matratzenmarkt wird derzeit auf etwa 81 Milliarden Dollar geschätzt, wobei allein der amerikanische Markt ein Volumen von rund 17,3 Milliarden Dollar aufweist. Bis im Jahre 2028 soll der weltweite Markt um rund 5 Prozent zulegen. Wie kommt die Matratze ins Haus? Etwa 40 Prozent der Millennials würden es bevorzugen, eine Matratze in einer Box zu kaufen, die direkt zu ihnen nach Hause geliefert wird. Entscheidend dabei: die Geld-zurück-Garantie. Diese gilt in der Regel bis zu hundert Tage und soll den Kundinnen und Kunden Zeit verschaffen, das Produkt zu testen. Am wichtigsten sei aber der Preis. Dieses Bedürfnis hat die Schweizer Firma Bico, die seit sechzig Jahren Betten herstellt, erkannt. Wie auch Happy gehört Bico zur schwedischen Hilding-Anders-Gruppe. Die beiden Matratzenhersteller fungieren seit rund zehn Jahren unter einem gemeinsamen Dach. Hauptsitz der Hilding Anders Switzerland AG ist Schänis SG. Bico, die als Birchler & Co. von Unternehmensgründer Meinrad Birchler startete, möchte es mit einem neuen Angebot direkt mit den Online-Händlern aufnehmen. Bico rühmt sich damit, «ein Online-Verkaufskonzept mit Markenprodukten» auf den Markt zu bringen. Sprich: Bico möchte vor allem mit Schweizer Qualität gegenüber Anbietern wie Casper oder Emma punkten. Im Mittelpunkt steht dabei die Linie Basics by Bico, die aus vier Matratzen, zwei Einlegerahmen und einem Boxspringbett besteht. Die Linie ist zwar auch im stationären Handel verfügbar, Bico setzt aber auf den Online-Handel. Auch beim Preis will der Hersteller aus Schänis mit den ausländischen Konkurrenten mithalten können. Die Matratzen sind günstiger als andere im Sortiment. Dass es mit dem Preis allein nicht getan ist, zeigt Casper auf. Dort werden die Matratzen in Schachteln geliefert, die einfach in die Wohnung transportierbar sind. Das Startup betreibt aber auch einen Chatbot für Menschen, die nicht schlafen können. Beliebt bei jungen Käufern sind Boxspringbetten, die man bei der Unterfederung verstellen kann. Schweizer Matratzenhersteller haben nun erkannt, dass sie sich nicht nur durch die allseits gerühmte Schweizer Qualität unterscheiden können, sondern auch das Thema «Schlaf» aufnehmen müssen. Die Kommunikation geht dabei weg von der Matratze hin zu gutem Schlaf, also dem Wohlbefinden des Kunden, der Kundin.