Der Umsatz: im Plus. Die Marktanteile: wachsend. Das Wort «nachhaltig»: blitzt aus jedem Textbaustein. Also alles wie gehabt am Schaulaufen der Migros-Jahreszahlen? Nein. Langjährigen Beobachtern fiel im Migros-Kreml am Limmatplatz etwas auf, das sie so noch nie erlebt hatten: Jörg Zulauf machte keine Sprüche.

Der Finanzchef, der jahrelang als eine Art Financial-Stand-up-Comedian über die Rampe kam, hielt sich dieses Jahr humorfrei an Rückstellungsveränderungen, Wertminderungen und Expansionskosten. Auch Zulaufs Kollegen aus den Ressorts Marketing, Industrie und Handel scherzten nicht coram publico. Weil sie schon gar nicht aufgeboten worden waren.  

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Plötzlich wird der Gewinn bei Migros Thema

So bot sich ein Bild, wie man es von börsenkotierten Firmen kennt: Der CEO und der Finanzchef bei der nüchternen Zahlenbeichte. Dass Fabrice Zumbrunnen einen Gewinneinbruch um einen Viertel rapportieren musste, war dabei das eine. Das andere: Wie sehr der neue Chef überhaupt vom Gewinn spricht.

Früher definierte sich der orange Riese vor allem über Umsatz und Marktanteile. Oder wie viel man wieder in Klubschulen und in Kultur gesteckt hatte. Der Gewinn war, etwa in der Ära von Zumbrunnens Vorgänger Herbert Bolliger, etwas, das eher zufällig abfiel. Mal hundert Millionen mehr, mal hundert Millionen weniger – easy.  Zumbrunnen aber, sekundiert vom grimmig dreinblickenden Finanzer, sieht das entschieden anders: «Niemand kann mit diesem Gewinn zufrieden sein. Der Gewinn muss steigen.»

Das ist starker Tobak. Und tout Migrosland reibt sich Augen und Ohren: Spricht da wirklich der Obmann einer Genossenschaft, die nicht gewinnorientiert ist und das gerne immer wieder herausstreicht? Natürlich wurden der Finanzchef und sein oberster Kapitän am Migros-Zahltag nicht müde zu betonen, wie «kerngesund» die Firma sei. Doch darauf folgte: Die Migros hat sich operativ verschlechtert. Die Migros überprüft ihre Kosten. Logisch also, dass der M-Schlachtruf lautet: Mehr Effizienz! Mehr Effektivität!

Glück für Fabrice Zumbrunnen

Selbst gestandene Medizinmänner können da nur konstatieren: Der Patient ist kerngesund. Und muss sofort in den Operationssaal. Migros-Insider hingegen konstatieren: Dass die Zahlen schlecht sind, ist das grösste Glück des Fabrice Zumbrunnen. Sie legitimieren ein Fitnessprogramm. Sein zweitgrösstes Glück: Dass just am Tag seines ersten grossen Auftritts bekannt wurde, dass Online-Aggressor Amazon mit der Schweizer Post einen Vertrag zur Abwicklung von Importen abgeschlossen hat. Kommen die Amerikaner wirklich volle Pulle  in die Schweiz, dann wird das ein um einiges härteres Kommando als jenes von Aldi und Lidl.

Ein Migros-Gewinn, der  aus der unteren Bandbreite der definierten zwei bis vier Prozent hinausfällt, ein neuer aggressiver Konkurrent – das signalisiert: Eingriffe nötig. Was die beste Legitimation ist für den neuen Chef, unbequeme Fragen zu stellen. Abläufe zu überprüfen. Doppelspurigkeiten in der Zentrale auszumerzen. Und, in der Folge: harte Entscheide zu treffen.

Wie und wo er genau das Skalpell ansetzen wird, sagte Zumbrunnen noch nicht. Sollten aber unschöne Einschnitte bekannt werden – die ersten werden auf Sommer 2018 erwartet – kann der neue Chef nicht mehr auf erodierende Gewinne pochen. Dann muss Zumbrunnen zeigen, wie er harte Entscheidungen migrosverträglich umsetzt und kommuniziert. Bis jetzt gab sich der neue Migros-Chef herzlich und hart. Bald wird er hart und herzlich sein müssen.

Andreas Güntert
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