Multiple Sklerose (MS) zerstört die Nervenhüllen. Mit schwer wiegenden Folgen für rund 2,5 Mio Menschen, die von der Krankheit betroffen sind. Eine Heilung ist nicht möglich, doch lässt sich der Verlauf in vielen Fällen mit Interferon-Präparaten mildern. Eine Interferon-Kur kostet die Krankenkassen in der Schweiz je nach Medikament zwischen 22000 und 33000 Fr. pro Patient und Jahr. Drei Firmen teilen sich den globalen Kuchen für MS-Interferone: Schering (Betaferon/Betaseron, 1,1 Mrd Dollar), Biogen (Avonex, 1,5 Mrd Dollar) und Serono (Rebif, 1,3 Mrd Dollar).

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Die Milliardenumsätze bedeuten allerdings ein erhebliches Klumpenrisiko. Seronos Zukunft beispielsweise steht und fällt mit Rebif, das rund die Hälfte des Konzernumsatzes generiert. Aus diesem Grund dürfte es den Unternehmen nicht ungelegen kommen, dass zum Teil auch Patienten teures Interferon erhalten, die gar nicht darauf ansprechen.

Gemäss Studien bilden sich je nach Medikament bei 5 bis 44% der Interferon-Patienten so genannte Neutralizing Antibodies (NAB), welche die Wirkung der Präparate reduzieren oder gänzlich unterbinden. Der Nachweis von NAB ist zwar komplex. Doch ohne Test merkt man oft erst nach Jahren, dass die kostspielige Behandlung zu wenig greift. Sogar das Auftreten neuer Krankheitsschübe ist kein sicheres Indiz, denn Interferone können ja bloss eine Verzögerung bewirken. Neuerdings kann diesem Diagnose-Missstand allerdings mit einem zweistufigen Testverfahren abgeholfen werden: «Es hat sich gezeigt, dass Patienten mit NAB immer auch so genannte Binding Antibodies (BAB) entwickeln. «Ein BAB-Test kostet bloss 50 Fr.», erklärt Thomas Hafen von der Basler Diagnostika-Firma Bühlmann AG, die ein solches Test-Tool entwickelt hat. Die aufwendige NAB-Abklärung lasse sich somit auf die BAB-positive Patientengruppe beschränken, meint Hafen.

Genau dieses zweistufige Vorgehen forderte kürzlich auch die European Federation of Neurological Societies (EFNS) in einem Beitrag im renommierten «European Journal of Neurology». Bereits mit Erfolg wird der Bühlmann-Test an den Hôpitaux Universitaires de Genève (HUG) angewendet. Wie HUG-Neurologe Michel Chofflon bestätigt, sind Tests auf der Basis von BAB punkto Verlässlichkeit und Reproduzierbarkeit in jeder Hinsicht befriedigend: «Der Nachweis von BAB bestärkt uns bei jenen Patienten, die ungenügend auf die Behandlung ansprechen, in der Vermutung eines Aktivitätsverlusts des Interferons.»

Angetan von den neuen Tests sind auch die Krankenkassen: «Der medizinische Fortschritt muss genutzt werden, um nutzlose und teure Therapien zu vermeiden. Im Fall der Interferon-Antikörper begrüssen wir es, wenn entsprechende Tests in die Therapie integriert werden», erklärt Santésuisse-Sprecher Peter Marbet.

Allerdings ist es in der Praxis umstritten, beim Entscheid über eine Therapiefortsetzung ausschliesslich auf Antikörper-Tests abzustellen, da ein Teil der MS-Patienten nach einiger Zeit wieder vom NAB-positiven zum NAB-negativen Status zurückwechselt. Deshalb wird vorderhand der Nachweis von Antikörpern von den meisten Neurologen nur dann zum Anlass eines Abbruchs der Interferontherapie genommen, wenn gleichzeitig auch der klinische Verlauf klar auf die Unwirksamkeit der Behandlung hinweist. Michel Chofflon: «Betroffen sind derzeit zirka 3% der Patienten.»

Serono will Konsequenzen ziehen

Auch beim Interferon-Hersteller Serono weist man darauf hin, dass die Auswirkungen von NAB nach wie vor unklar seien: «Verschiedene klinische Versuche haben zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen geführt, es gibt keinen Konsens», unterstreicht PR-Direktorin Bénédicte Bogh. Entsprechend sollen Behandlungsentscheide weiterhin allein auf klinischer Grundlage getroffen werden, so Bogh.

Ganz anders sehen das die EFNS-Experten. Sie fordern unisono die generelle Einstellung der Interferon-Therapie bei Patienten mit wiederholt positiven NAB-Messungen. Dies könnte den Prozentsatz der Therapieabbrüche vervielfachen. Zugleich dürfte die Nachfrage nach Interferon-Alternativen wie Copaxon (Aventis/Teva) oder Tyabri von Biogen Idec steigen («siehe Nachgefragt»).

Schon jetzt bahnt sich eine Verschiebung innerhalb der Interferon-Verschreibung an: «Nicht alle Interferone rufen in gleichem Mass NAB hervor. Am wenigsten problematisch ist Avonex von Biogen», kommentiert Bühlmann-Experte Thomas Hafen. Serono hat bereits eine Rebif-Version mit geringerer Antikörperbildung in Aussicht gestellt.

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Nachgefragt: Hans Peter Hasler, Chef des Biogen Idec International Headquarters: «Die Tests verbreiten sich rasch»

Biogen Idec ist Marktführerin im 5 Mrd Dollar schweren MS-Markt. Falls die Behörden diesen Sommer grünes Licht für das hoch wirksame Medikament Tysabri geben, dürfte sich der Vorsprung auf die Konkurrenz stark vergrössern. Der Sitz für das internationale Geschäft von Biotech ist in Zug.

Es gibt zuverlässige Testmethoden, um die Wirkung von Interferonen bei Multiple Sklerose zu überprüfen. Macht sich Biogen Idec für diese Diagnostika stark?

Hans Peter Hasler: Wir empfehlen diese Tests, seit es sie gibt, denn für die Patienten sind sie sehr sinnvoll. Letzten Studien zufolge bilden sich bei unserem MS-Medikament Avonex nur bei 2 bis 5% der Patienten Antikörper. Die Tests verbreiten sich rasch. In Skandinavien etwa gibt es Ärzte, die alle Patienten testen und die Therapie konsequent umstellen, wenn sich Antikörper bilden.

Wie stark werden die Interferon-Tests Avonex helfen?

Hasler: Es hängt davon ab, was die verschiedenen Verschreiber davon halten. Aber wir diskutieren die Studienresultate von Avonex natürlich schon seit geraumer Zeit mit den Ärzten und sind deshalb seit zwei Jahren Marktführer in Europa. Vor diesem Hintergrund glaube ich nicht, dass die Tests die Avonex-Umsätze stark heben werden.

Aber sie würden Tysabri helfen. Die Gesundheitsbehörden werden Tysabri wohl bei besonders schnell verlaufende MS-Formen einsetzen wollen oder wenn Interferone nichts nützen. Je schneller man das feststellt, desto rascher die Verbreitung von Tysabri.

Hasler: Ja, aber das Umsatzpotenzial ist ohnehin gross. Wir gehen davon aus, dass pro Jahr weltweit bis zu 40000 neue Patienten mit MS diagnostiziert werden, dass heute 180000 Patienten unzufrieden sind mit ihrer Therapie und weitere 100000 so unzufrieden sind, dass sie die Medikamente abgesetzt haben. Das hat nicht nur mit der Wirksamkeit von Interferonen zu tun, sondern auch mit ihren Nebenwirkungen.

Nach einer positiven Empfehlung der vorberatenden Kommission, dürfte die EU ihren Entscheid über die Zulassung von Tysabri diesen Sommer fällen. Wann könnten Sie Tysabri frühestens lancieren?

Hasler: Wir rechnen Ende Juni, Anfang Juli mit dem Entscheid. In gewissen Ländern, wo man keine Vergütung beantragen muss, werden wir sehr schnell auf dem Markt sein. In Deutschland könnten wir theoretisch im Juli im Handel sein. Es dürfte sechs bis zwölf Monate dauern, bis wir in allen europäischen Ländern auf dem Markt sind.

Wann rechnen Ihre Kollegen in den USA mit der Markteinführung?

Hasler: In Amerika ist der Zeitrahmen sehr ähnlich. Nach den sehr positiven Voten für Tysabri rechnen wir per Ende Juni mit der Zulassung. Es wäre sicher noch dieses Jahr auf dem Markt.

Tysabri ist fast doppelt so wirksam wie Interferone. Befürchten Sie eine Kannibalisierung von Avonex?

Hasler: Nein, gar nicht. Avonex wird sehr früh eingesetzt. Höher dosierte Interferone haben wir ja nicht. Deshalb rechnen wir damit, dass Patienten eher von den Interferonen unserer Konkurrenten auf Tysabri umsteigen.

Sie, aber auch Firmen wie Novartis oder Serono, arbeiten an MS-Medikamenten, die geschluckt werden können. Wie wirksam sind diese?

Hasler: Ihre Wirksamkeit wird wohl vergleichbar sein mit den Interferonen. Es ist sicher gut, Alternativen zu Interferon-Therapien zu haben. Es gibt viele Patienten, die froh wären, wenn sie nicht injizieren müssten.