Nach Bier und Kaffee: Wie Glace zum Lifestyle-Produkt wurde

An den langen Warteschlangen erkennt man sie am besten. Die Gelaterias di Berna. Drei Standorte betreiben die Berner Glacefabrikanten mittlerweile in Zürich – sie sind die vermutlich bekanntesten der neuen Eis-Macher in der Stadt. In den letzten Jahren sind Dutzende davon aufgegangen. Es ist auch in den anderen Schweizer Städten nicht zu übersehen: Neue Glaceproduzenten sind am Werk, von Genf bis Romanshorn. Wie Bier oder Kaffee ist auch Speiseeis zur Spezialität geworden. Kleine, lokale Hersteller mischen aus Wasser, Zucker, Milch ein Lifestyle-Produkt. Und lassen so ein Land, welches vor zwanzig Jahren nicht viel mehr Aromen als Vanille, Erdbeer und Schokolade kannte, neue Geschmäcker entdecken. Grüntee, Brownie oder Whiskey etwa. Lokal, natürlich, artisanal «Wir erleben eine Bewegung weg von der Industrieware hin zu natürlichen, regionalen Produkten ohne Zusatzstoffe», sagt Hansmartin Amrein, der mit seiner Frau und den drei Brüdern in Bern und Zürich die Gelaterias di Berna betreibt. Auch der Verband Schweizerischer Glaceproduzenten hat den Trend mitbekommen, und begrüsst ihn sogar. «Wir freuen uns, wenn die Schweizer mehr Glace essen. Artisanale Hersteller sind für uns keine Bedrohung», sagt Glacesuisse-Geschäftsführerin Karola Krell, welche Branchen-Grössen wie Emmi, Unilever, Midor (Migros) oder Froneri (Nestlé Joint Venture) vertritt. «Gelaterias bringen neue Ideen in den Markt. Doch auch wir sind innovativer geworden und folgen der Nachfrage nach natürlichen und gesunden Snacks durch Portionsanpassungen und den Verzicht auf künstliche Zusatzstoffe», sagt Karola Krell. «Der Markt ist am Wachsen» Tatsächlich machen Gelaterias immer noch nur einen kleinen Teil des Glacekuchens aus, die grossen Schweizer Anbieter konnten letztes Jahr trotz der Pandemie sogar etwas mehr Eis verkaufen, 44 Millionen Liter, um genau zu sein (plus 2 Prozent). Die Situation ist ähnlich wie beim Bier, wo trotz den vielen neuen Mikrobrauereien immer noch internationale Konzerne wie Carlsberg und Heineken das Geschäft dominieren. «Der Markt ist am Wachsen», sagt Gastroberater Peter Herzog von der Zürcher Beratungsfirma HC Hospitality Consulting. «Und das schafft Platz für kleine Anbieter, die lokal, artisanal und mit natürlichen Zutaten arbeiten.» Der Boom kommt für Herzog nicht überraschend, mit Glace könne man und frau durchaus Geld verdienen. «Eine Eismaschine kostet wenige hundert Franken. Und eine Person kann literweise Glace herstellen. Es ist ein Volumengeschäft.» Als Mieter seien die neuen Glacemacher ebenfalls attraktiv, glaubt Herzog. «Sie ziehen viel Publikum an, machen viel Umsatz auf wenig Fläche und haben attraktive Öffnungszeiten – spätestens um 20.00 Uhr ist in der Regel Schluss.» «Wir verdienen genug» Ist Glacemachen wirklich lukrativ? Obwohl einige Anbieter kleine Portionen schon für 3.50 Franken offerieren? «Eine Familie soll sich die abendliche Glace bei uns noch leisten können. Aber wir verdienen genug», sagt Hansmartin Amrein von der Gelateria di Berna. «Wir müssen allerdings in sieben, acht Monaten genug einspielen, um unsere 25 Vollzeit-Angestellten das ganze Jahr beschäftigen zu können. Unsere Geschäfte sind auch nicht an teuren Lagen, wir gehen in die Quartiere. Einen Laden an der Europaallee beim Hauptbahnhof Zürich könnten wir uns niemals leisten.» Ähnlich tönt es in Olten: «Um als kleiner Hersteller über mehrere Jahre profitabel zu sein, braucht es schon etwas Geschick», sagt Florian Stähli, einer der Gründer des Glaceunternehmens «Kalte Lust». «Wir sind extrem abhängig vom Wetter und von der Saison.» Anders als etwa in Skandinavien wird Glace in der Schweiz immer noch vor allem in den warmen Monaten genossen. Das gilt natürlich besonders für das Eis der kleinen Hersteller: Ihre Cornets und Kugeln werden vor allem draussen gegessen, auf der Strasse, im Park oder im Freibad. Aber auch für die Konzerne ist Glace in der Schweiz vor allem ein Saisongeschäft – obwohl die Glacesuisse-Hersteller ihre Produkte auch in Supermärkten und Restaurants absetzen. «Die Schweiz ist noch keine echte Glacenation. Wir essen Glace vor allem dann, wenn die Sonne scheint. Andere Länder sind uns da schon weit voraus», glaubt Karola Krell von Glacesuisse. Wirds kalt, rentierts nicht mehr «Wir versuchen in Olten und Zürich jedes Jahr, die Glacesaison zu verlängern. Aber bis jetzt machten wir immer die gleiche Erfahrung: Sobald die Temperaturen tief sind, rentiert das Angebot nicht mehr. Spätestens ab Ende Oktober stellen wir das ganze Sortiment auf Suppen um», sagt Florian Stähli von der «Kalten Lust».

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