Wie der Flughafen Zürich in der Nähe von Delhi einen Mega-Airport baut

Die Luft ist dunstig, die Sonne vor lauter Smog nur ein milchiger Fleck. Ein Ochse zieht ein Gespann, hinten sind ein paar einfache Backsteinhäuschen. Zwischendurch trotten ein paar Kühe die Kiesstrasse entlang, ab und zu fährt ein staubbedeckter Lastwagen vorbei. Niemandsland irgendwo im riesigen Indien. Ausgerechnet auf diesem staubigen Ackerland sollen in rund drei Jahren schon Boeing 777 und Airbus A300 landen. Willkommen auf der Baustelle des Noida International Airport. Hier hat einer das Sagen: Christoph Schnellmann, dessen Familie aus dem Zürcher Weinland rund um den Flughafen Zürich stammt. Jetzt arbeitet der 44-Jährige selbst für den Flughafen Zürich und soll hier einen sogenannten Greenfield-Airport bauen, weil dieser wörtlich auf der grünen Wiese entsteht. Ein stolzes Vorhaben der Schweizer auf dem indischen Subkontinent und kaum vorstellbar mitten auf der grünen Wiese. Schnellmann zeigt Verständnis für das Erstaunen, hat aber einen klaren Plan: «Wir werden in den nächsten Wochen Verträge mit zwei Totalunternehmen aus Indien unterzeichnen. Schon bald werden hier Tausende Bauarbeiter und schwere Bagger auffahren.» Der Flughafenmanager kennt Indien sehr gut. Er war schon an dem Projekt des Unternehmens in der südindischen Millionenmetropole Bangalore beteiligt. Der Flughafen Zürich hatte dort im Jahr 2001 mit Partnern ebenfalls einen neuen Flughafen aus dem Boden gestampft. Mittlerweile hat sich das Unternehmen aber aus der Millionenmetropole zurückgezogen und seine Anteile mit Gewinn verkauft. Expansion in Schwellenländer Der Neubau des Noida International Airport ist zurzeit das bedeutendste Auslandprojekt der Flughafen Zürich AG. Das Unternehmen aus Kloten investiert rund 750 Millionen Franken in den indischen Flughafen nahe Delhi und hat eine Konzession des indischen Bundesstaats Uttar Pradesh für vierzig Jahre Betrieb erhalten. Warum braucht Zürich diese Auslandabenteuer? Das Engagement in Indien sei für den Flughafen Zürich ein logischer Schritt, erklärt Schnellmann. Das börsenkotierte Unternehmen verzeichnete 2019 einen Umsatz von 1,21 Milliarden Franken. Weil es im Inland aber kaum mehr wachsen kann, sucht es deshalb seit dem Jahr 2000 Projekte in anderen Ländern. Damit sollen langfristig neue Ertragsquellen erschlossen werden, indem die Kompetenzen und die Erfahrung am Heimatflughafen exportiert werden. «Die Auslandtätigkeiten des Flughafens Zürich sind Teil der Strategie. Der Flugverkehr in Indien wächst massiv, rund 15 Prozent pro Jahr», sagt Schnellmann. Mit dem steigenden Wohlstand würden immer mehr Inderinnen und Inder ins Flugzeug steigen. Dieser Wohlstand ist zu sehen, als wir von der Wiese zurück ins Stadtzentrum von Noida fahren. Mitten im Businesshub Genauso so unbekannt wie der Name der Stadt – Noida, mit rund einer Million Einwohnern und Einwohnerinnen – ist deren Erscheinungsbild. Moderne Hochhäuser, gläserne Einkaufszentren und eine Hochbahn säumen die Strassen. Dieser Anblick passt so gar nicht in das gängige Bild von Indien, das viele in Europa haben. Anstatt Tuk-Tuks und bunte Lastwagen kreuzen sich hier BMW und Mercedes auf den Strassen. An den Fassaden der Skyscrapers prangen westliche Firmennamen wie HSBC, Microsoft oder KPMG. Die Kluft zwischen Stadt und Land, Armut und Reichtum, Aufbruch und Rückständigkeit wird an wenigen Orten in Indien so deutlich wie in Noida. In der Nacht tummeln sich Banker und IT-Expertinnen in den Bars im Erdgeschoss der Shoppingmalls, ein Whiskey Sour kostet 12 Franken. Obwohl die meisten noch nie von Noida gehört haben und sie als graue Vorstadt der Megametropole Delhi abtun, boomt die Gegend. Schnellmann schwärmt von den Möglichkeiten: «In Noida schiessen Hochhäuser wie Pilze aus dem Boden, fast täglich siedeln sich neue, internationale Weltmarktführer hier an. Der Flughafen Delhi ist zudem an seine Kapazitätsgrenze gestossen – ein einziger Flughafen für eine 25-Millionen-Metropole ist zu wenig», sagt Schnellmann. Mitten in dieser glänzenden und vielversprechenden Welt, in einem Glaskomplex mit Starbucks-Café, Apple Store und Valet Parking, hat sich die Tochtergesellschaft der Flughafen Zürich AG eingemietet. Das Büro hat Sitzecken und Couchs, flexible Desks mit Laptops, in einer Ecke eine Küche mit Kaffeemaschine, gläserne Sitzungszimmer und viele mobile Wände, die mit Plänen bestückt sind. Ein Büro, wie man es überall auf der Welt sieht. Noch sind wegen der Pandemie wenige Mitarbeitende vor Ort. Der Eyecatcher auf der Etage steht gleich neben dem Eingang: ein grosses Holzmodell des künftigen Flughafens mit liebevollen Details. Kleine Jets auf der Landebahn, Taxistände mit winzigen bemalten Autos, ein viereckiges Terminal, Start und Landebahn. Der Flughafen soll «Schweizer Effizienz» und «indische Gastfreundschaft» ausstrahlen. Eine Autobahn sei vorhanden, dazu komme ein Metroanschluss. Dieser wird vom Zentrum Noidas bis zum Flughafen ausgebaut. «Ähnlich wie das 10er-Tram in Zürich, auch wenn die Dimensionen total anders sind», erklärt Schnellmann. Und lacht dabei. Schrittweiser Ausbau Das Projekt des Flughafens Zürich soll in vier Phasen umgesetzt werden: Mit einem ersten Terminal sollen rund 12 Millionen Fluggäste jährlich abgewickelt werden können. In der zweiten Phase, mit einem zweiten Terminal, der sozusagen den ersten «spiegelt», bis zu 30 Millionen Fluggäste. In den weiteren Ausbauphasen kann die Kapazität auf 50 und schliesslich 70 Millionen Passagiere erweitert werden. Vergleicht man diese Zahlen mit 2019 – also bevor der Flugverkehr wegen der Pandemie zusammengebrochen ist –, würde der Flughafen in Noida nach der vierten Phase so viele Passagiere wie der Flughafen Frankfurt befördern. Der Flughafen in Kloten verzeichnete vor der Pandemie rund 30 Millionen Passagiere jährlich. «Wir gehen davon aus, dass das Verkehrsaufkommen in den nächsten Jahren wächst. Deshalb haben wir die Option, den Flughafen auf ein Volumen von 70 Millionen Passagiere auszubauen», sagt Schnellmann. Er will sich aber noch nicht konkret zum Timing äussern und wartet erst mal ab, wie stark der Flugverkehr sein wird. Betrieben wird der Noida International Airport von der Yamuna International Airport Private Limited, die eigens für die Entwicklung dieses «Greenfield-Flughafenprojekts» gegründet wurde. Sie ist eine indirekte Tochtergesellschaft der Zurich Airport International AG, die wiederum eine 100-prozentige Tochtergesellschaft des Flughafens Zürich ist.Die Struktur der Flughafen Zürich AG Die Flughafen Zürich AG hat zwei bedeutende Aktionäre: Der Kanton Zürich ist mit 33,33 Prozent beteiligt, die Stadt Zürich mit 5 Prozent. Es gibt keine weiteren Aktionäre, die mit einer Beteiligung von mehr als 3 Prozent mit stimmberechtigten Aktien im Aktienregister eingetragen sind. Der Eintrag mit Stimmrecht ist auf 5 Prozent des Aktienkapitals beschränkt, wobei die Limite sowohl für Einzelaktionärinnen als auch für verbundene Gruppen gilt. Im Jahre 2021 verzeichnete die Flughafen Zürich AG 1915 Mitarbeitende. Davon sind rund 1500 in der Schweiz beschäftigt, 330 in Lateinamerika und 51 in Asien. Gemäss dem Geschäftsbericht von 2021 wird die Flughafen Zürich AG bis Ende 2024 in den Standort Noida 750 Millionen Franken investiert haben. Wie viel das Unternehmen bis jetzt in ihre Auslandprojekte investiert hat, nennt es nicht im Detail. Nur so viel verrät die Medienstelle: «Nach Abschluss der ersten Phase des Grossprojekts Noida International Airport in Indien wird die Flughafen Zürich AG zusammen mit den lateinamerikanischen Flughäfen etwa 1 Milliarde Franken im Ausland investiert halten. Das entspricht rund 20 Prozent der Vermögenswerte. Flughafen-Zürich-Grossprojekt in Indien: Weitere Umsiedlungen geplant Weitere 3800 Familien müssen für das Grossbauprojekt der Flughafen Zürich AG nahe Delhi umgesiedelt werden. Prestigeprojekt der Regierung Modi Nicht nur am Hauptsitz in Kloten blickt man gespannt auf das Projekt in Indien, auch in der dortigen Politik ist das Interesse gross. So kam der indische Premierminister Narendra Modi beim Spatenstich am 25. November 2021 höchstpersönlich vorbei. Modi rühmt sich gerne mit Infrastrukturprojekten – und besonders gerne mit dem modernen Businesshub Noida, weitab von Slums und maroden Städten. «Der Flughafen ist ein Prestigeprojekt der Regierung. Das erleichtert die Zusammenarbeit mit den Behörden», sagt Schnellmann. Man sei zwar nicht immer gleicher Meinung, so etwa beim Thema Strassenführung, «aber letztlich wollen alle, dass der Flughafen baldmöglichst realisiert wird». Die Entwicklung der Infrastruktur, das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von neuen Stellen stehen bei der Regierung von Narendra Modi ganz oben auf der Agenda. Schnellmann überrascht das nicht: «Wir stellen eine Infrastruktur zur Verfügung, die das Land und die Hauptstadt brauchen. Der Flughafen wird die Region stärken und trägt zur wirtschaftlichen Entwicklung bei. Wir werden mehrere tausend Arbeitsplätze direkt und weitere tausend indirekt schaffen.» Das Thema Landrecht ist ein heisses Eisen in Indien Doch so sehr das Projekt für den Flughafen Zürich und die indische Regierung Sinn macht: Schnellmann kämpft auch mit Widerstand. Der Flughafen kommt mitten in einer Landwirtschaftszone zu liegen. Noch immer lebt die grosse Mehrheit der Inderinnen und Inder von der Landwirtschaft – zwischen 600 und 800 Millionen Menschen. Für den Flughafenbau mussten zahlreiche Bauern und Bäuerinnen ihr Land abtreten, Tausende Familien wurden umgesiedelt. Das Thema Landrecht ist in Indien ein heisses Eisen und wird in der Politik immer wieder zum Zünglein an der Waage. In den letzten Jahren haben indische Bauern und Bäuerinnen unzählige Flächen für solche Projekte hergegeben, Hunderttausende von Menschen wurden landesweit umgesiedelt. So auch beim Flughafen in Noida. Der Zürcher Flughafenplaner Schnellmann erklärt: «Es sind rund 10’000 Menschen von Umsiedlungen betroffen, rund 3000 Familien haben direkt auf den 1300 Hektaren des künftigen Flughafens gewohnt.» Der Bundesstaat Uttar Pradesh habe einen rechtsgültigen Landerwerbsprozess durchgeführt, der im vergangenen Jahr abgeschlossen wurde. Bereits jetzt will der Bundesstaat aber weiteres Land erwerben, für den Fall, dass die Flughafenkapazität sogar über 70 Millionen Passagiere steigen soll. Als Teil des Prozesses seien Landbesitzer und Familien entschädigt worden. Die «Handelszeitung» berichtete bereits im vergangenen Oktober darüber, dass weitere 3800 Familien umgesiedelt werden müssen. Auch in den indischen Medien ist der Flughafen Noida ein Dauerthema. So berichtete die «Times of India» Ende letzten Jahres über die Entwicklungen und hielt fest, dass noch mehr Familien verschoben würden, wenn die zweite Bauphase starten sollte. Insgesamt sind gemäss der «Times of India» rund 16’000 Menschen betroffen. Dabei fordern die umplatzierten Familien höhere Entschädigungen, ungefähr 115 Franken pro Quadratmeter. Der Bundesstaat von Uttar Pradesh hat im Gegenzug 52 Hektaren Land erworben, welches den Umgesiedelten zur Verfügung gestellt werden soll, wie der indische «Financial Express» berichtet. Geld allein hilft nicht Trotzdem fordern Bäuerinnen und Bauern bei Demonstrationen immer wieder mehr Geld für ihr Land sowie Entschädigungen. Besonders betroffen sind solche, die über wenig Land verfügen. Sie erhalten zwar auf einen Schlag eine Stange Geld, welches sie aber oft zu schnell ausgeben. Viele sind auch wegen mangelnder Bildung vom vermeintlichen Geldsegen überfordert. Die enteigneten Bauern und Bäuerinnen können danach keine Arbeit mehr finden, weil sie nur über Kenntnisse in der Landwirtschaft verfügen. Das treibt die sie in die Armut. Der Flughafen Zürich distanziert sich von dieser Thematik: «Die Verantwortlichkeit für den Kauf des Landes, für die Kompensation der Landbesitzerinnen und Landbesitzer sowie für deren Umsiedlung liegt allein bei der Regierung von Uttar Pradesh. Wir sind nur Betreiberin des Flughafens.» Schnellmann sagt, der Flughafen bringe neue Jobs und fördere das Wachstum der Region. Der Landkauf sei nach einem transparenten Prozess mit Möglichkeiten der Einsprache und entsprechenden Verhandlungen verlaufen. Auf der Website schreibt der Flughafen Zürich: «Die Entschädigung der Familien entspricht den staatlich etablierten Prozessen in Indien und fällt unter den ‹Right to Fair Compensation and Transparency in Land Acquisition, Rehabilitation and Resettlement Act›. Hierbei werden die meisten Familien für ihr Land in bar entschädigt und erhalten das Angebot für eine neue Unterkunft.»Flughafen Zürich verkauft Beteiligung in Indien Seit 2001 ist der Flughafen Zürich am Airport von Bangalore beteiligt. Nun wollen sich die Schweizer in Südindien verabschieden. Ein Käufer für ihr Aktienpaket ist bereits gefunden. Privatisierung als Chance Ähnlich wie im Fall des Flughafens Berlin Brandenburg liegt der Flughafen Noida im angrenzenden Bundesstaat zu Delhi, in Uttar Pradesh. Die Behörden dieses Bundesstaats müssen die Erlaubnisse erteilen, auch wenn die Hauptstadt selbst ebenfalls stark vom Flughafen profitieren soll. Trotz dem Fakt, dass die Mühlen der Bürokratie in Indien eher langsam mahlen, ist Berlin Brandenburg weit weg. Jetzt, da sich die Airline-Branche von einer ihrer grössten Krisen erholt, drückt Schnellmann aufs Tempo. Die Regierung spielt ihm in die Hände und plant bereits weitere Landkäufe, um den Ausbau des Flughafens zeitnah angehen zu können. Neben dem Flugbetrieb soll der Flughafen auch kommerziell genutzt werden, sagt Schnellmann. Man sei im Gespräch mit mehreren Hotelbetreibern, aber auch mit Food- und Beverage-Partnern. Dazu sei man auf der Suche nach Partnern für Luftfracht und Logistik. «Es geht nicht nur um den Passagierverkehr. Die Luftfracht ist in Indien ein grosses Thema, besonders in dieser Region.» In Noida sei eine der grössten Samsung-Fabriken, dazu würden Agrarprodukte in der näheren Umgebung erzeugt. «Das Potenzial für Cargo ist gross», sagt Schnellmann. Die Privatisierung von Flughäfen hat sich in Indien seit Anfang der 2000er Jahre stark entwickelt. Bangalore war der erste Greenfield-Flughafen im neuen Konzessionsmodell. Die meisten Flughäfen sind aber noch immer im Besitz der Airports Authority of India, also des Staats. Vor einigen Wochen hat die Regierung jedoch angekündigt, dass weitere 25 Flughäfen im Land zur Privatisierung freigegeben werden sollen. «Es gibt da ein klares Commitment der Regierung, welches wir mit grossem Interesse verfolgen.» Das tun bestimmt auch die beiden wichtigsten Aktionäre der Flughafen Zürich AG, der Kanton und die Stadt Zürich. Dieser Text erschien erstmals am 15. Mai 2022

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