Neues Drama um Sulzer: Wie es jetzt beim Industriekonzern weitergeht

Die Turbulenzen um den Industriekonzern Sulzer halten an. Während Präsidentin Suzanne Thoma nach einer neuen Strategie für das Unternehmen ruft, Sulzer «besser und grösser» machen will und CEO Frédéric Lalanne nach nur acht Monaten ab Ende Oktober persönlich ablösen wird, orten Firmenkenner andere Gründe für den Bruch. «Wenn man zwischen den Zeilen liest, dann kommt zum Ausdruck, dass es im atmosphärischen Bereich zwischen Thoma und Lalanne nicht mehr gestimmt haben dürfte», sagt ZKB-Analyst Philipp Gamper. Und: «Wenn es Meinungsverschiedenheiten zwischen Thoma und Poux sowie Lalanne gab, dann zeigt sich das jetzt», sagt Aktienanalyst Michael Roost von Baader Helvea. Grégoire Poux-Guillaume war Chef von Sulzer vor Lalanne. Probleme an mehreren Fronten Auch mit Ankeraktionär Viktor Vekselberg soll die Ablöse zu tun haben: «Der Abgang von Lalanne legt nahe, dass die Chemie zwischen dem Verwaltungsrat und Vekselberg nicht stimmt», sagt Eugen Perger von Research Partners, «die CEO-Besetzung mit Lalanne war eigentlich eine konsequente und logische Entscheidung.» Dicke Luft herrscht möglicherweise an mehreren Fronten. Der frühere CEO Poux-Guillaume ging, als Verwaltungsrätin Thoma zur Präsidentin wurde. Unstimmigkeiten wurden dementiert. Und Lalanne, der jetzt von Thoma abgelöst wird, ist ein Produkt der Ära Poux. Doch Marktbeobachter greifen sich ob der neuen Personalie an den Kopf. Die Begründung des Unternehmens ist ihnen zu banal, etwa: «Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um die Weichen für die Zukunft zu stellen.» Das sagt ein Sprecher. Veränderte Ausgangslage Nach aussen schreibt Sulzer von einer «strukturellen Nachfrageverschiebung im Energie- und Infrastrukturbereich» und von einem «hohen, unausgeschöpften Potenzial für die Bereiche Ressourcen- und Energieeffizienz, Wasserbehandlung und Kreislaufwirtschaft». Sprich: weniger Produkte im Bereich Öl und Gas, dafür mehr Produkte für die Nachhaltigkeit. Ausserdem «hat sich die Ausgangslage verändert», seit Lalanne im vergangenen Jahr zum CEO berufen wurde. «Mit der Ernennung von Frau Thoma als Exekutive Präsidentin wird eine optimale Koordination mit dem Verwaltungsrat und Kontinuität in der Führung erreicht», sagt ein Sprecher. Dieses Mandat sei jedoch temporär und der Verwaltungsrat werde «sich Strukturen auferlegen, um das Doppelmandat zu relativieren». Konkreter wird es nicht. Dem Vernehmen nach heisst es auch, dass Thoma sich vom Equipment-Geschäft für Öl und Gas doch nicht so schnell trennen will, weil angesichts der hohen Rohstoffpreise viel zu verdienen sei. Sie will aber erst im nächsten Jahr über die neue Strategie reden. «Das liegt daran, dass diese entweder noch nicht entschieden ist oder noch nicht evaluiert wurde», sagt Roost. In diesem Sinne sei der Zeitpunkt unglücklich, denn die nächsten neun Monate, bis zur Vorlage einer neuen Strategie bei den Halbjahresergebnissen 2023, würden im Hinblick auf die allgemeine Wirtschaftslage kritisch sein. «Es ist mit einer Verlangsamung zu rechnen.» Strategische Prioritäten Dabei war Lalanne mit Sulzer bereits auf gutem Weg: 2021 wurde mit der Übernahme von Nordic Waters das Wasserpumpengeschäft ausgebaut, während das Engagement im Bereich Pumpen für die Öl- und Gasindustrie durch den Abbau von Produktionskapazitäten verringert wurde. Lalanne war Divisionsleiter des Pumpen-Business. Sulzer definierte sich neu als Spezialist für die Kontrolle von Flüssigkeiten (Flow Control) mit den Zielmärkten Wasser, Chemie, Industrie und Energie, entwickelt sich zu einer fokussierten, marktorientierten und global ausgerichteten «One Company» und definierte bereits für 2022 vier strategische Prioritäten. Erstens sollen die Wasser- und Industrieanwendungen der Division Pumpen ausgebaut und zweitens das Servicegeschäft durch Digitalisierung und additive Fertigung gestärkt werden. Die dritte Priorität lautet «Verteidigung der Führungsposition in der Chemie bei gleichzeitiger Stärkung der Lösungen für erneuerbare Technologien bei Chemtech». Und der vierte strategische Fokus gilt dem ESG-Thema (Environment, Social, Governance). Auch der CO2-Fussabdruck soll bis 2030 um 30 Prozent reduziert werden, ab 2050 will Sulzer gänzlich klimaneutral sein. Die neue Nachhaltigkeitsstrategie heisst «Sustainable Sulzer». All das ist bereits auf Schiene. Und dennoch sieht der Verwaltungsrat jetzt «Handlungsbedarf». Frühere Richtungswechsel Richtungswechsel sind für Sulzer nicht untypisch. Seit dessen Gründung im 18. Jahrhundert geht es so zu und her. Das Unternehmen begann einst mit der Herstellung von Kochtöpfen und Glocken sowie von Pumpen für Salinen. Im 19. Jahrhundert begann Sulzer mit der Herstellung von Gesteinsbohrern, Metallrohren, Kühlgeräten und Heizungsanlagen, später von Kompressoren, Turbinen, Eisenbahnen, Schiffspropellern, Webmaschinen und Gasturbinen. Im 20. Jahrhundert fing es mit den massiven Umstrukturierungen an, insbesondere ab den 1980er Jahren. Der Fokus wurde auf drei Kerngeschäfte gelegt: Klima- und Kältetechnik, Webmaschinen und Medizintechnik. Der ständige Zu- und Verkauf von Firmenteilen war nicht die Ausnahme, sondern die Regel. In der jüngeren Zeit hat sich der Konzern einen Namen als Ziel für Raider, als Investitionsobjekt für Anleger und als portfoliogetriebener Industriebetrieb gemacht. Umsatz, Gewinn und Geschäftsmöglichkeiten liessen Sulzer immer wieder als Industrieperle aufblitzen – auch das gehört zum Charakteristikum der Firma. Das machte Oligarch, Milliardär und Investor Viktor Vekselberg neugierig, er begann in den Nullerjahren, sich für Schweizer Heavy Metal zu interessieren, auch für Sulzer. Vekselberg konnte sich als Mehrheitsaktionär etablieren. Probleme mit Vekselberg Eiskalt erwischte es ihn, als Sanktionen ihn infolge der Kriegshandlungen Russlands gegen die Ukraine als Investor lähmten. Sein Ruf, im Dunstkreis von Wladimir Putin zu stehen, wurde zur Hypothek im Tagesgeschäft der Winterthurer. Um Sanktionen für Sulzer zu vermeiden, musste Vekselberg seinen Anteil, den er über seine Holding Tiwel hält, unter die Mehrheit deutlich herunterschrauben. Ganz ohne den nach wie vor mächtigen Anteilshaber Vekselberg geht es aber nicht, das Reputationsrisiko ist nicht gebannt. «Sulzer läuft Gefahr, als kremlgeprägte Firma wahrgenommen zu werden, die stetig von Sanktionen bedroht ist», sagt Analyst Perger. Deswegen musste Sulzer auch seine Standorte in Polen schliessen. «Es ist unbestritten so, dass die jetzige Situation eine Erschwernis ist», sagte Thoma im Sommer zur «Bilanz». Ab November wird sie sich als CEO und Präsidentin auch um dieses Thema kümmern müssen. Denkbar ist für die Delegierte des Verwaltungsrats, dass Tiwel «nicht zwingend sanktioniert bleiben muss». Andere Möglichkeiten wären Änderungen in der Beteiligungshöhe oder in der Art der Beteiligung. «Keine davon kann Sulzer alleine durchsetzen.» Alle müssten im Einverständnis mit dem Hauptaktionär geschehen. Dazu müsste Thoma aber den Dialog mit Vekselberg suchen. Zuletzt wurde sie damit zitiert, keinen regelmässigen Austausch mit ihm zu haben. Ein Patentrezept gibt es also nicht. Das nährt wiederum die Gerüchte im Firmenumfeld: «Denkbar wäre auch eine Fusion von Sulzer mit einem anderen Unternehmen, um dieses Risiko zu reduzieren», sagt ein Involvierter.