Für Technik-Junkies ist es eine riesige Enttäuschung. Da trifft sich die Branche auf der weltgrössten Messe für Fotografie. Fast alle erwarten, dass die Schwergewichte Canon und Nikon endlich die Katze aus dem Sack lassen. Doch was passiert? Die Japaner schweigen - und lassen das Publikum auf der Photokina weiter auf die erste «spiegellose Systemkamera» warten. Es scheint, als würden sie den derzeit wichtigsten Trend verschlafen.

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Panasonic im Vormarsch

Die Konkurrenz rollt derweil mit ihren Kameras den Markt auf. Panasonic stellte vor zwei Jahren in Köln das erste Modell dieser Klasse vor. Die «spiegellose Systemkamera» ist ähnlich leistungsfähig wie eine Spiegelreflexkamera, verfügt über auswechselbare Objektive und ist sehr schnell. Aber es gibt keinen optischen Sucher zum Durchschauen, und auch ein eingebauter Spiegelmechanismus fehlt. Das Bild wird nur auf der Rückseite der Kamera angezeigt. «Die Systemkameras sind dadurch deutlich kompakter und lassen sich gut transportieren», sagt Andreas Jordan vom «Fotomagazin».

Der Zwitter aus Kompakt- und Spiegelreflexkamera ist bereits ein Verkaufsschlager. In Japan soll der Marktanteil in der Kategorie «Kameras mit Wechselobjektiv» bereits bei annähernd 40% liegen.

Vor allem Panasonic und Sony profitieren. Bei den hoch rentablen Spiegelreflexkameras konnten sie über Jahrzehnte hinweg kaum Fuss fassen, nun graben sie Canon und Nikon plötzlich das Wasser ab. Weitere Modelle kommen von Samsung, Olympus und Fuji. Die bisherigen Platzhirsche wirken dagegen wie gelähmt. Sie haben wohl nicht erwartet, dass dieses Marktsegment so schnell wächst. Immerhin: Zumindest Nikon hat inzwischen vage angedeutet, das Unternehmen werde bald ein eigenes Modell herausbringen. So kündigte Firmenchef Makoto Kimura vor rund zwei Wochen eine Kamera an, von der er hoffe, dass sie einen neuen Markt schaffe. «Wir wollen eine neue Art des Fotografierens anbieten», sagte Kimura, ohne Einzelheiten zu nennen.

Völlig zugeknöpft zeigt sich Canon und gibt keinerlei Hinweis auf ein revolutionäres Kameramodell. Das Unternehmen gilt als konservativ, wenn es um neue Funktionen geht. So baute Canon als letzter Hersteller eine digitale Vorschauansicht («Live View») in seine Spiegelreflexkameras ein. Doch das lange Zögern könnte sich für die Japaner als gefährlich erweisen. Denn wer sich einmal für ein System aus Kamera, Objektiven und Zubehör entschieden hat, wird kaum die Marke wechseln - und sich alles neu kaufen. Immerhin spricht die Erfahrung für die traditionsreichen japanischen Firmen. «Wenn Canon kommt, haben sie meist eine ausgereifte Entwicklung», sagt Jordan. Und ein Branchenvertreter ergänzt: «Den Boom haben sie noch nicht verpasst. Der Markt befindet sich im Anfangsstadium.»

Test noch nicht vielversprechend

Tatsächlich müssen die ersten Käufer der neuartigen Systemkameras noch mit einigen Kinderkrankheiten klarkommen. Für Sportfotografen kommen die neuen Kameras demnach erst einmal nicht in Frage. Auch die Bildqualität schneidet in Vergleichstests etwas schlechter ab als bei den klobigen Konkurrenten. Und dann ist da noch der Name. «Spiegellose Systemkamera» klingt sperrig, für viele Laien völlig unverständlich. Auch die Alternative dürfte Marketing-Strategen ein Graus sein: In Internet-Foren geistert der Begriff «Electronic Viewfinder, Interchangeable Lens» herum («elektronischer Sucher, auswechselbares Objektiv»). Abgekürzt hiesse die «spiegellose Systemkamera» dann «EVIL». Zu Deutsch: Böse, schlecht.