Noch mehr RNA-Technologie: der neue Cholesterinhemmer von Novartis

Die beiden Impfstoffe von Moderna und Biontech haben der mRNA-Technologie, der Messenger- oder zu deutsche Boten-RNA, zum Durchbruch verholfen. Bei Leqvio, dem neuartigen Cholesterinhemmer von Novartis geht es um siRNA; wobei «s» für «small interfering» steht, also «gering intervenierend». Doch das Prinzip ist das gleiche: Dem Körper werden Bestandteile von RNA verabreicht, damit er auf eine bestimmte Art und Weise reagiert, also zum Beispiel, wie bei den Impfstoffen, eine Immunantwort gegen das Coronavirus aufbaut. Die Ribonukleinsäure oder eben RNA ist ein wichtiges Element der zellulären Maschinerie. Sie bringt die genetische Information aus der DNA an den Ort in der Zelle, wo die Proteine hergestellt werden, die der Körper braucht. Die Impfstoffe bauen etwas auf, Leqvio zerstört etwasBei Inclisiran, wie der Wirkstoff von Leqvio heisst, geht es darum, den Körper davon abzuhalten, PCSK9 zu bilden. PCSK9 ist ein körpereigenes Protein, das an die Rezeptoren des Cholesterins – genauer des «schlechten« LDL-Cholesterins – andockt und damit verhindert, dass dieses in der Leber abgebaut wird. «Das Medikament zerstört sozusagen den Bauplan für PCSK9», sagt Corinne Wild, Chief Scientific Officer von Novartis Pharma Schweiz. Zu hohe Cholesterinwerte, und damit verbunden, Gefässverengungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehören zu den grössten Gesundheitsproblemen. In der Schweiz sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die wichtigste Todesursache. Sie kosten jedes Jahr 20000 Menschen das Leben, sie sind für mehr als 110000 Spitalanweisungen verantwortlich und ein grosser Kostenfaktor im Gesundheitswesen. Herzkreislauferkrankungen sind die wichtigste Todesursache bei unsBis jetzt werden zu hohe Cholesterinwerte mit – längst generischen – Statinen behandelt, doch Untersuchungen zeigten, dass diese oft nicht in der Lage seien, die Werte ausreichend zu senken, sagt Corinne Wild. Einer Studie der Universität Zürich zufolge hätten 80 Prozent der Patienten trotz Statinen noch immer zu hohe Cholesterinwerte. Leqvio wird ergänzend verabreicht, wenn mit den Statinen nicht die gewünschte Wirkung erzielt wird oder als Erstlinientherapie bei Patienten, welche Statine nicht vertragen Das Medikament wird halbjährlich unter die Haut gespritzt werden; es muss also, anders als die Statine, nicht täglich eingenommen werden. Und wie adressiert Novartis die Skepsis, die zur Zeit den RNA-Technologien entgegenschlägt? «Unsere Ansprechpartner sind die Ärzte und Ärztinnen. Ihnen werden wir die guten Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten von Inclisiran erläutern, damit sie auf die Fragen der Patienten eingehen können», sagt Corinne Wild. Leqvio wurde während 18 Monaten in drei klinischen Studien der Phase 3 an 3660 Patienten und Patientinnen getestet. Die Chlosterinwerte der mit Leqvio behandelten Patienten lagen um bis zu 52 Prozent tiefer als diejenigen der Patienten, die nur Statine bekamen. Wie weit das Medikament auch Todesfälle verhindert, wird zur Zeit in eine Langzeitstudie mit 15000 Patientinnen und Patienten untersucht. Erste Resultate werden für 2024 erwartet. Wird Leqvio zum Gameganger?Der mögliche Gamechanger bei der Prävention von Herzkreislauferkrankungen kam 2019 durch die Übernahme von The Medicines Company ins Portfolio von Novartis. Der Kaufpreis lag bei 9,7 Milliarden Dollar. Ob The Medicines Company ihr Geld wert ist? Bis jetzt ist die Bilanz durchzogen. Die amerikanische Arzneimittelbehörde hat das Medikament noch nicht zugelassen. 2022 soll es so weit sein. Dafür ist Leqvio seit Dezember vergangenen Jahres in Europa auf dem Markt. Zudem hat der chronisch unterfinanzierte englische Gesundheitsdienst NHS kürzlich entschieden, die Therapie während dreier Jahre an 300000 Patienten und Patienten abzugeben, die bereits einen Herzkreislaufvorfall oder einen Schlaganfall hatten. Das heisst, beim NHS ist man offenbar der Meinung, dass Leqvio präventiv wirkt und dass sich Herzinfarkte und Schlaganfälle vermeiden lassen. Für Novartis sind das gute Nachrichten.