Ob Nestlé mit der veganen Alternative zur Foie gras eine Chance hat?

Das muss man sich buchstäblich auf der Zunge zergehen lassen: Nestlé wagt sich an ein Heiligtum der französischen Küche. Nachdem der vegane Burger, das pflanzliche Geschnetzelte und die Soja-Wurst bereits zur kulinarischen Norm gereift sind, kommt jetzt die Gans dran, der Weihnachtsklassiker Foie gras. Die pflanzliche Alternative zur tierischen Gänsestopfleber besteht aus Shea-Butter und Sonnenblumenöl. Zu haben ist sie in 180-Gramm-Portionen in recyclingfähigen Glas für knapp 8 Franken. Das entspricht einem Bruchteil des Preises für tierische Gänsestopfleber. Für sie muss man schon deutlich tiefer in die Tasche greifen. Bei Globus Delicatessa kann eine Foie gras gut und gern ein paar hundert Franken pro Kilogramm kosten, bei Spitzenprodukten mit Trüffeln kann der Preis bis zu 1000 Franken gehen. Erhältlich ist die «Voie gras» aus Vevey in vorerst limitierter Edition in 140 Verkaufsstellen von Coop in der Schweiz und in Spanien, dem nach Frankreich wichtigsten Markt für Stopfleber. Mit den grossen Detailhändlern in Frankreich ist Nestlé im Gespräch. Dort kommt das Produkt frühestens zu Weihnachten nächstes Jahr auf den Teller. Shea-Butter und Sonnenblumenöl Die grösste Herausforderung sei es gewesen, den für die tierische Foie gras typischen Schmelzeffekt hinzukriegen, sagte Oliver Nussli, Lebensmittelingenieur und Leiter der Gruppe, die bei Nestlé vegane Proteinalternativen entwickelt, bei der Präsentation der veganen Alternative in Zürich. Das Produkt müsse ja bei Kühlschranktemperatur fest sein und dann bei Körpertemperatur im Mund schmelzen. Aromatisiert wurde die Voie gras mit Hefe, Miso-Paste und Trüffelöl, einzig für den lebrigen Geschmack habe man in die Kiste der Aromen greifen müssen, sagt Oliver Nussli. Produziert wird in den Pilotanlagen im deutschen Singen. Fois gras ist mit enormem Tierleid verbunden. Die meisten Tiere werden unter erbärmlichen Bedingungen gehalten, beim Stopfen der Gänse mit Metall-Stäben kommt es immer wieder zu inneren Verletzungen und die Tiere verenden. Möglichkeiten, das Leid der Tiere zu lindern, gibt es kaum. Die Stopfleber ist per se gesundheitlich ein Problem. Sie ist das Produkt einer Überfütterung der Tiere, was dazu führt, dass die Leber verfettet und krank wird. Die Produktion ist deshalb seit Jahren rückläufig, in Frankreich ging sie zwischen 2020 und 2021 von 16’764 auf 11’674 Tonnen zurück. In der Schweiz geben einer Umfrage zufolge 70 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten an, keine Foie gras zu konsumieren. Die Schweiz importiert jedes Jahr 200 Tonnen Foie gras. Eine Tierquälerei – und ein Kulturgut Gleichzeitig ist Stopfleber ein Kulturgut, vor allem in Frankreich, aber auch in vielen anderen Ländern. «Sie würden staunen, wenn Sie wüssten, in wie vielen Ländern Foie gras gegessen wird», sagt Forschungsleiter Oliver Nussli. Und das ist auch die Chance, die man bei Nestlé sieht: «Unsere Foie gras ist eine tierfreundliche Alternative für Gourmands, die nicht auf diese Delikatesse verzichten möchten», sagte Melanie Stebler, Marketingmanagerin von Garden Gourmet, der Marke, unter der die pflanzlichen Fleisch-, Fisch- und Ei-Alternativen von Nestlé in der Schweiz und in Europa vertrieben werden. Und sie sei eine Chance, Konsumenten und Konsumentinnen, die aus Tierschutzgründen keine «echte» Stopfleber mehr essen, wieder für die pflanzliche Alternative zu gewinnen. Gleichzeitig geht es bei der Foie gras nicht um annähernd so grosse Volumen wie bei den Alternativen für Huhn und Rind. Sie wird überwiegend zu Weihnachten und nur in sehr kleinen Portionen gegessen, das Potenzial ist also begrenzt. Das Produkt ist deshalb vor allem auch eine Möglichkeit für Nestlé, sich in einem höchst sensiblen Umfeld mit einer tierfreundlichen Alternative zu präsentieren. Konzernchef Mark Schneider als Tester Zudem zeigt die jüngste Kreation, dass man bei Nestlé nach wie vor stark an die Kategorie der pflanzlichen Proteinalternativen glaubt. Konzernchef Mark Schneider selbst soll der grösste Promotor der Voie gras gewesen sein und diese auch als einer der Ersten degustiert und für gut befunden haben. Das Geschäft mit den pflanzlichen Burgern und Co. hat in letzter Zeit etwas gelitten. Der ganz grosse Hype ist vorbei, die Wachstumsraten flachen etwas ab, die Kategorie konsolidiert sich. Zudem machen ihr Inflation und schwindende Kaufkraft zu schaffen. Anders als bei der Gänsestopfleber sind die meisten pflanzlichen Alternativen nämlich noch immer teurer als das tierische Original. Dazu kommt, dass die Branche seit ein paar Tagen ihren ersten grossen Lebensmittelskandal hat. Bloomberg berichtete dieser Tage von äusserst problematischen hygienischen Zuständen in einer Produktionsanlage von Beyond Meat, einem der wichtigsten Konkurrenten von Nestlé. So wurden etwa im ersten Halbjahr 2022 elfmal Listerien in den Produkten gefunden, wie Dokumenten zu entnehmen ist, die dem Nachrichtenportal von einem ehemaligen Mitarbeiter zugespielt wurden. Listerien sind Bakterien, die lebensgefährlich sein können. Zudem zeigen Bilder Schimmel an den Wänden und auf Produkten und einen Trolley, der kopfüber in einer Produktionsanlage steckt. Beyond Meat war ein Senkrechtstarter der Branche. Markenzeichen des Unternehmens ist das Leghämoglobin, ein aus Soja extrahiertes Protein, das beim Anbraten dem Geschmack gebratener tierischer Proteine verblüffend nahekommt. Die Erfindung geht auf den Unternehmensgründer und Firmenchef Ethan Brown zurück. Zu den frühen Investoren gehörten Hollywood-Star Leonardo DiCaprio und Bill Gates. Mehr zum Thema: Nun setzt auch Nestlé auf Fleisch aus dem Bio-Reaktor Planted-Gründer Pascal Bieri im Interview: «Wir müssen saftiger werden» Vleisch – was sich neben Nestlé und Beyond Meat auch noch tut

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