Die Reiselust nimmt zu, die Auslastung im Fluggeschäft steigt: Wird aus dem Bubentraum Helvetic eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte?
Peter Pfister: Wir sind auf dem Weg dazu. Wir hatten im Juli eine Auslastung von über 40% und liegen damit voll auf Kurs mit unserem Businessplan.
Laut diesem schreiben Sie bei knapp 50% Auslastung schwarze Zahlen. Wann wird es so weit sein?
Pfister: Wir rechnen ab Ende April nächsten Jahres mit schwarzen Zahlen.
Wie hoch wird sich der Verlust für dieses Jahr summieren?
Pfister: Pro Prozent unter der 50%-Auslastung können Sie bei unserer aktuellen Flottengrösse mit rund 1 Mio Fr. Verlust pro Jahr rechnen. Damit liegen wir innerhalb unserer Planung.
Wer schiesst das Geld ein?
Pfister: Wir suchen neue Investoren, die unsere Kapitalbasis von 30 Mio Fr. nochmals um einen Betrag in der gleichen Grössenordnung verstärken.
Müssten die Besitzer der Airline auch bluten, wenn Sie Ihre Geschäftsziele verfehlen?
Pfister: Wenn wir unsere Ziele nicht innert angemessener Zeit erreichen, würden wir das Experiment Helvetic beenden. Denn dann wäre es unwahrscheinlich, unsere Investitionen durch Gewinne je wieder herauszuholen. Das zeigt sich zum Beispiel bei der Swiss: Die investierten 2 Mrd Fr. für den Aufbau der Airline werden nie mehr verdient werden können die sind unwiederbringlich verloren.
Sind bei weiter anhaltendem Reiseboom Sitzladefaktoren von 60% und mehr vorstellbar womit Ihre Airline zur Goldgrube würde?
Pfister: Wir haben auf mehreren Strecken 80% und mehr Auslastung. Würden wir nur noch diese anfliegen, wäre Helvetic tatsächlich eine Goldgrube. Auch das Chartergeschäft mit Kuoni läuft viel besser als erwartet. Leider trüben einige schlecht ausgelastete Routen das Ergebnis.
Eine Gesamtauslastung von weit über 50% ist aber vorstellbar?
Pfister: Das ist durchaus möglich. Selbstverständlich immer vorausgesetzt, dass keine ausserordentlichen Ereignisse wie etwa Terroranschläge den Aufschwung in der Branche abwürgen.
Im Flugbusiness kann man Geld verdienen?
Pfister: Natürlich. Sonst würden wir Investoren kaum Geld in das Projekt stecken. Wir sind uns des Risikos zwar bewusst, aber ohne reelle Erfolgschancen hätten wir nie so viel Geld für den Aufbau einer Airline in die Hand genommen.
Laut dem internationalen Flugverband IATA hat die Branche seit den 20er Jahren unter dem Strich Mittel verbrannt.
Pfister: Die meisten Airlines sind tatsächlich defizitär - vor allem staatliche Fluggesellschaften mit überteuerten Strukturen. Das erstaunt mich nicht. Immerhin konnten diese Gesellschaften über Jahrzehnte in einem abgeschotteten Markt agieren, in dem es weder Wettbewerb noch ein Kostenbewusstsein gab dafür umso mehr staatliche Subventionen. Da viele Netzwerk-Carrier den Sprung in die Neuzeit noch nicht geschafft haben, erwirtschaften fast ausschliesslich kleinere und damit innovativere Fluggesellschaften oder gut geführte Grossbetriebe Profit.
Sie zählen sich zu diesen?
Pfister: Ja. Wir haben einen Flugbetrieb mit Strukturen aufgebaut, die einen Gewinn möglich machen. Traditionelle Airlines mit ihren zu grossen Strukturen dagegen werden nie Geld verdienen. Sehen Sie sich zum Beispiel Alitalia an: Diese muss man zerschlagen und völlig neu beginnen, bevor die Rentabilitätsgrenze überhaupt erreicht werden kann.
Und die Swiss?
Pfister: Bei der Swiss gilt das Gleiche: Ohne einen Umbau wird die Fluggesellschaft in der heutigen Struktur kaum überleben. Jedenfalls nicht ohne weitere Geldmittel.
Weshalb sollten Sie es dann schaffen? Immerhin haben Sie Ihren Sitz auch in der Schweiz.
Pfister: Falls Sie die höheren Fixkosten ansprechen: Diese spielen im internationalen Umfeld, abgesehen von den Personalkosten, eine untergeordnete Rolle. Denn der weitaus grösste Kostenblock ist die Anschaffung der Flieger. Und für die haben wir inklusive kompletter Überholung nur gerade 5 Mio Dollar pro Stück bezahlt. Die Swiss zahlte für ihren kleinsten Airbus A-319 mit ungefähr gleicher Anzahl Sitze mehr als siebenmal so viel pro Maschine.
Und was ist mit den Konditionen der Leasingverträge?
Pfister: Ob wir nun 5% oder 7% Zins zahlen müssen, ist nicht entscheidend. Aber auch hier erhielten wir sehr gute Konditionen, weil der Leasinggeber Wilfried Koeck selber Aktionär der Helvetic Airways ist und in unserem Verwaltungsrat sitzt.
Flugzeuge sind das eine. Hinzu kommen noch Verwaltungskosten, Personallöhne und Kosten für den Unterhalt Ihrer Fokker 100.
Pfister: Die Swiss hat für ihre Verwaltung einen grossen Neubau in Basel erstellt, wir kommen mit einem Büro-Container am Zürcher Flughafen zurecht. Die Swiss hat gegen 100 Angestellte pro Flugzeug, wir 20 Personen. Selbst unter Berücksichtigung, dass Langstreckenflugzeuge natürlich einen grösseren Personalanteil voraussetzen, ist die Differenz immer noch sehr gross. Zudem verdienen unsere Flight-Attendants und Piloten weniger als bei der Swiss und müssen mehr leisten. Auch unsere Verträge mit der Wartungsfirma SR Technics sind offensichtlich vorteilhafter als die der Swiss.
Weshalb offensichtlich?
Pfister: Die Swiss jammert, sie habe Verträge zu überteuerten Konditionen abgeschlossen. Ich würde mich hüten, so etwas öffentlich zu kommunizieren. Damit disqualifiziert sich das Management ja selbst. Denn die SR Technics hat ein legitimes Interesse, möglichst viel für ihre Leistungen zu verlangen. Wer damit einverstanden ist und einen Vertrag unterzeichnet, soll sich später nicht darüber beschweren.
Sie haben dazu keinen Grund?
Pfister: Nein. Wir sind ohne Zeitdruck, aber dafür mit klaren Vorstellungen in die Verhandlungen gegangen. Deshalb haben wir hervorragende Wartungsverträge über die nächsten Jahre erhalten, die wir heute vielleicht so nicht mehr abschliessen könnten.
Weshalb nicht?
Pfister: Das Geschäft zieht wieder an, die Flugbranche wittert Morgenluft. Auch Flugzeuge sind nicht mehr so günstig zu kaufen wie noch vor wenigen Monaten. Das hat zwei Folgen: Erstens werden es damit neue Konkurrenten schwerer haben, überhaupt ins Airlinegeschäft einzusteigen. Zweitens wird damit die Gefahr eingedämmt, dass wieder ein Neukaufwahn grassiert.
Neukaufwahn?
Pfister: In den letzten Jahren kauften sich viele Airlines neue Flieger ohne dass es dafür wirtschaftlich vernünftige Argumente gab. Nehmen Sie zum Beispiel die Swiss: Sie hat ihre MD11-Flotte mit der Begründung abgestossen, neue Maschinen seien im Unterhalt und im Betrieb günstiger. Doch was nützen ein paar Millionen Franken an Einsparungen pro Jahr, wenn jedes neue Flugzeug weit über 100 Mio Fr. kostet und in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit zusätzliche Kosten für den Flottenwechsel anfallen?
Für andere Mehrkosten kann man die Swiss nicht verantwortlich machen. Zum Beispiel die aktuelle Ölkrise.
Pfister: Diese Diskussion zeigt, wie es um unsere Branche steht und mit welchen Margen gearbeitet wird. Denn auch wenn viel über die steigenden Treibstoffpreise gejammert wird: Diese schlagen im Gesamtgeschäft nur marginal zu Buche.
Das müssen Sie uns erklären.
Pfister: Selbstverständlich schmerzen auch uns die steigenden Kerosinkosten. Aber diese machen nur gerade 14% der Gesamtkosten aus. Selbst wenn die Preise also um 20% steigen, halten sich die Kostenfolgen für eine Airline in engen Grenzen. Vorausgesetzt, eine Fluggesellschaft operiert nicht mit sehr tiefen einstelligen Margen. Dann nämlich treffen die Preissteigerungen eine Airline brutal.
Welcher Businessplan könnte die Probleme der Swiss lösen?
Pfister: Heute ist die Situation zu verfahren. Man hätte früher handeln müssen. Irgendwann ist der Point of no Return erreicht. Die einzige Chance, die ich heute sehe, wäre eine Aufspaltung der Swiss in zwei Gesellschaften, in eine Langstrecken- und eine Kurzstrecken-Airline. Die Europaflotte müsste danach mit einer viel schlankeren Kostenstruktur völlig neu aufgebaut werden. Doch für einen solchen Schritt bräuchte die Swiss Kapital, das sie heute nicht zur Verfügung hat.
Ein düsteres Szenario.
Pfister: Ich bin kein Airline-Crack. Was ich aber weiss, ist, dass die Swiss mit ihrem Europakonzept massiv rote Zahlen einfliegt. Und das mit einer Auslastung, die weit über unserem Breakeven liegt. Hätten wir dieselben Auslastungszahlen wie die Swiss, wären wir sehr zufrieden. Zudem sind wir flexibler aufgestellt: Käme es zu einem Buchungseinbruch, könnten wir ohne grössere finanzielle Folgen ein oder zwei Flugzeuge in den Hangar stellen, da die Leasingkosten dank günstiger Beschaffung nicht so stark drücken. Zudem sind wir auch beim Personal flexibler.
Die Europaflotte reisst die Swiss also ins Verderben?
Pfister: Das ist zwar krass ausgedrückt, trifft aber im Kern zu. Die Situation ist ganz einfach zu beschreiben: Wenn Sie einen Laden an der Bahnhofstrasse mieten und dort Sandwichs für 2.50 Fr. pro Stück verkaufen, werden Sie nicht einmal die Kosten für die Miete decken können. Dasselbe bei der Europaflotte der Swiss: Wenn diese mit der heute erreichten Auslastung keine schwarzen Zahlen schreibt, wann denn dann? Im schlimmsten Fall würde sie selbst bei einer 100-prozentigen Auslastung noch ein Minus einfahren. Und da der Preisdruck im Billigsegment nicht nachlässt, sinken die Chancen der Swiss, überhaupt in die Profitabilität zu fliegen.
Gesetzt der Fall tritt ein und die Swiss macht eine Bruchlandung: Sähen Sie es als eine Chance an, eine Art neue Crossair zu bilden?
Pfister: Nein, wir wollen nicht stärker wachsen, als wir geplant haben.
Und eine neue Gesellschaft?
Pfister: Es ist ein reizvoller Gedanke, die Europaflotte der Swiss mit unseren Kostenstrukturen zu führen. Mehr aber nicht.
Sicher?
Pfister: Wenn die Swiss oder deren Mehrheitsaktionäre mit einem Angebot an uns herantreten würden, würden wir sie sicher nicht abweisen. Sicher wären bei einem Modell, Swiss als Schweizer Lang-streckenanbieter und Helvetic als Schweizer Kurzstreckenanbieter, die investierten Gelder wirtschaftlich sinnvoller angelegt als heute bei der Swiss.