Basel hat zwar nur einen Fussballclub, dafür zwei Pharmakonzerne, die sich nichts schenken. Roche oder Novartis – das ist vor allem eine Frage des Stils. Hier Roche, deren Erben den Basler Kulturbetrieb mitfinanzieren, da Novartis, Hauptsponsor des FCB. Doch die Unterschiede zwischen den beiden Basler Pharmaplatzhirschen gehen tiefer – eine Analyse mit sechs Punkten.

1. Die Strategie

Roche Erstaunlich, aber wahr: Roche, einer der rentabelsten Pharmakonzerne der Welt, hat 2016 trotz Börsenhausse verloren. Grund ist die Unsicherheit. Roche steht vor einer grossen Patentklippe, rund 40 Prozent des Umsatzes ist betroffen – ein Novum in diesem Ausmass. In den Sternen steht nicht nur, wie stark der Umsatz der drei grössten Krebsmedikamente Mabthera, Avastin und Herceptin wegen der Biosmiliars schwinden wird; unsicher ist auch, ob die Pipeline von Roche genügend Nachschub liefert, um die Ausfälle zu kompensieren. Der Vorgang zeigt: Die bei Roche fast schon zur DNA gehörende Särke in einem oder wenigen Therapiegebieten mag in vielem ein Plus sein, bei der Interaktion mit den Behörden etwa oder bei der Vermarktung und im Vertrieb. Sie ist aber auch eine Achillesferse.

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Novartis Gegenteilig liegen die Dinge bei Novartis. Das Unternehmen kämpft seit Jahren mit einer (zu) starken Diversifikation. Beispiel sind die Probleme bei der Augenheilsparte Alcon: grosser Management- und Kontrollbedarf, fehlende Synergien mit den anderen Sparten. Inzwischen sind die Dinge in Texas, dem Sitz von Alcon, wieder «on track», ein Verkauf vom Tisch – zumindest für den Moment. Klar ist: Die Diversifikation kann eine Stärke sein, vor allem bei den Generika (Sandoz). Das Geschäft mit den Originalpräparaten wird immer schwieriger, der Aufwand für ein neues Medikament beläuft sich heute auf 2 und mehr Milliarden. Zudem gibt es bei den Biosmiliars und anderen hochwertigen Generika, vor allem bei der Produktion, Synergien mit dem Pharmageschäft.

Roche in Zahlen
Quelle: Handelszeitung

2. Die Führung

Roche Wären alle SMI-Konzernleitungen wie die von Roche – den Headhuntern ginge die Arbeit aus. Die Roche-Führung ist ein Ausbund von Kontinuität. Konzernchef Severin Schwan Schwan ist  schon fast zehn Jahre im Amt, und wenn die Zahlen stimmen, dann wird sich daran auch nichts ändern.Roche, das ist ein Fall von Family Business. Hire and Fire, das gibt in dem von den Familien Hoffmann und Oeri dominierten Roche nicht. Die Kontinuität ist gross. Fast alle Konzernleitungsmitglieder stammen den eigenen Reihen. Schwan, Pharmachef Daniel O’Day und Gottlieb A. Keller, der Chefjurist, haben ihre  ganze Karriere bei Roche gemacht; HR-Chefin Cristina A. Wilbur und Diagnostika-Chef Roland Diggelmann sind immerhin schon seit 2002 und 2008 an Bord. Und selbst der Neuling in der Konzernleitung, ist schon sieben Jahre dabei. Das auszeichnete Talentmanagement gilt als eine der grossen Stärken von Roche. Viele Positionen können intern besetzt werden, auch die Chargen unterhalb der Konzernleitung. Prominente Ausnahme: Verwaltungsratspräsident Christoph Franz, der 2014 von der deutschen Lufthansa zu Roche stiess – ein Vorgang, den man allerdings nicht überbewerten sollte. Denn neben dem Präsidenten ist bei Roche vor allem er wichtig: André Hoffmann, Vizepräsident und Vertreter des Aktionärspools der Erben.

Roche Was bei Roche die Kontinuität ist, ist bei Novartis die Dynamik. Jüngstes Beispiel: Die Ernennung des erst 41-jährigen Vas Narasimhan zum neuen Konzernchef. Mit dem Ende Januar anstehenden Wechsel an der Konzernspitze überspringt das Unternehmen eine ganze Managergeneration; ein mutiger Schritt – gerade, weil damit viele Manager mittleren Alters ihre Ambitionen begraben müssen. Dazu kommt, dass Narasimhan einer Konzernleitung vorsteht, die seit 2014, dem Rücktritt von Daniel Vasella, bis auf eine zwei Ausnahmen, Finanzchef Harry Kirsch und Chefjurist Felix Ehrat, vollständig erneuert wurde. Zudem hat sie mit Rücktritt des erst 2016 dazu gestossenen Onkologiechefs Bruno Strigini kurz vor Weihnachten erneut einen bedeutenden Abgang zu verkraftent. Doch die Erfolgschancen sind intakt. Mit Verwaltungsratspräsident Jörg Reinhardt hat Narasimhan einen der erfahrendsten Pharmamanager überhaupt an seiner Seite. Weiteres Plus der Aufstellung an der Spitze: die geballte Ladung an pharmazeutischem, beziehungsweise medizinischen Fachwissen auf oberster Ebene. Jörg Reinhardt ist von Haus aus Pharmazeut gemacht, Vas Narasimhan ist Absolvent der renommierten Harvard Medical School.

Aktienvergleich
Quelle: Handelszeitung

3. Die Forschung

Roche Lehrbuch geht anders: Bei Roche agieren drei interne Forschungsorganisationen nebeneinander – die Roche-Forschung, die Forschung der US-Tochter Genentech und die der japanischen Chughai, an der Roche zu 62 Prozent beteiligt ist. Die drei Einheiten stehen in einem fragilen Konkurrenz- und Kooperationsverhältnis und das ist durchaus so gewollt. Bewusst hat man bei der Übernahme von Genentech darauf verzichtet, deren Forschung voll zu integrieren. Zudem gibt es eine – beschränkte – Arbeitsteilung: Krebs bei Genentech, Neurologie bei Chughai und alles andere in Basel. Doch es funktioniert – und wie. Die Roche-Forschung gehört zu den produktivsten. Kaum ein anderes Pharmaunternehmen verfügt über ein derart tiefes Wissen über Krankheiten. Die Roche-Forschung agiert erfolgreich mit der Devise: «Where science takes us». Jüngstes Beispiele: Ocrevus, das bei der Behandlung von MS neue Massstäbe setzt, und Helimbra, das womöglich die Behandlung der Bluterkrankheit revolutionieren wird.

Novartis  Alles unter einem Dach, heisst es dagegen bei Novartis. Das Unternehmen verfügt sich mit dem NIBR, dem Novartis Institutes for BioMedical Research, eine Art konzerninterne Universität, in alle Forschungsabteilungen zusammen gefasst sind. Das ist ein Plus, vor allem in der frühen Forschung, wo Zusammenarbeit besonders wichtig ist. Die Stärke des NIBR: ein akademischer Spirit, der 2016 mit der Ernennung von Jay Bradner zum Nachfolger von Mark Fishmann erneuert wurde. Pharma-Forschung kann nur funktionieren, wenn sie dem Zugriff des Kommerziellen bis zu einem gewissen Grad entzogen wird. Jay Bradner kam vom Dana Faber Cancer Institute der Harvard Medical Scool. Die Novartis-Forschung ist breiter angelegt, auf eine ganze Reihe von Therapiegebieten – um den Preis, dass sie bisweilen höher pokern muss, um einen Punkt zu machen. Bestes Beispiel: CAR-T, eine Gentherapie, die von vielen Pharmakonzernen nicht weiterverfolgt wurde: zu revolutionär, zu riskant. Doch die Rechnung könnte aufgehen. Im September hat Novartis die Zulassung für Kymriah bekommen, die erste CAR-T-Therapie zur Behandlung leukämiekranker Kinder.  

Novartis Zahlen
Quelle: Handelszeitung

4. Die Kultur

Roche Roche oder Novartis? Das ist bei Jobkandidaten vor allem eine Frage des Temperaments. Grösstes Plus der Kultur von Roche: Sie spielt dem einzelnen Mitarbeiter die Verantwortung zu, delegiert sie nach unten. Das geht so weit, dass den Länderchefs bei der Lancierung eines neuen Produkts ein gewisser Gestaltungsspielraum eingeräumt wird, zum Beispiel beim Timing. Roche ist zweifellos das «schweizerischere» Unternehmen als Novartis; der Umgang ist konsensorientiert. Typisch ist, dass man dem Unternehmen während Jahren, wenn nicht Jahrzehnten die Treue hält, vielleicht sogar in der gleichen Position. Schnelle Jobwechsel müssen bei Roche nicht sein. Dazu kommt eine konservative Seite, die ihr Gutes hat. Overselling, das gibt es bei Roche nicht. Dazu passt, dass vergleichbare Wirkstoffkandidaten bei anderen Pharmaunternehmen oft höher bewertet werden als bei Roche.

Novartis Die Unternehmenskultur ist ein Thema bei Novartis – oder sie war es zumindest. Das sieht man auch intern so. Der «Finanz und Wirtschaft» sagte Verwaltungsratspräsident Jörg Reinhardt im Juli auf die Frage nach seinem bisher grössten Erfolg: «Dank dem Kulturwandel gehen wir heute viel offener miteinander um. Niemand scheut sich mehr, die eigene Meinung zu äussern.» Novartis ist das amerikanischere Unternehmen, im Zentrum steht die Performance, schnelle Wechsel von einem Job zum anderen gehören dazu. Die Gangart ist hart. Die Interessen des Unternehmens stehen zuoberst und werden, wenn nötig auch vor Gericht, mit allen Mitteln verteidigt. Indiz dafür ist die grosse Zahl von Mitarbeitern, die das Unternehmen in der Rechtsabteilung beschäftigt.

5. Die Compliance

Roche In Sachen Compliance machen Roche nur wenigen Pharmaunternehmen etwas vor. Die Roche-Compliance von Roche eine der besten der Branche. Chief Compliance Officer Urs Jaisli gilt als geradlinig und präzise – das Gegenteil eines Heissluftbläsers. Der Konzern hat ein extrem striktes Compliance-Regime, ein fast schon zu strikt, wie manche meinen. Entscheidend auch hier: Im Zentrum steht die Verantwortung des einzelnen Mitarbeiters.

Novartis Kickback-Zahlungen an US-Apothekenketten, Diners in Luxusrestaurants, Vowurf von Preisabsprachen bei Generika: Novartis steht im Dauerclinch mit der US-Justiz. Auch deswegen wurden die Compliance-Anstrengungen hochgefahren. Heute verfügt der Konzern über ein ausgefeiltes Instrumentarium, um die Mitarbeiter auf ethische Standards zu verpflichten und deren Einhaltung zu überprüfen. Möglich, dass hier noch mehr kommt. Der «Handelszeitung» sagte Reinhardt im Oktober, dass Narasimhan die richtige Wahl sei, weil er «Mut, Inspiration und hohe ethische Standards» mitbringe.

6. Die Digitalisierung

Roche Roche hat nichts überstürzt bei der Digitalisierung. Doch dann ging es Schlag auf Schlag. Vor drei Jahre kaufte man sich für eine Milliarde Dollar bei der US-Diagnostikgesellschaft Foundation Medicine (FMI) ein, um sich für die in der Krebsmedizin besonders wichtige genbasierte Diagnostik fit zu machen. Danach folgten Investitionen auf der Softwareseite, etwa in die beiden Betreiber cloudgestützter Onkologieplattformen Flatiron und Bina Technologies. Vom November datiert die Lancierung von Navify, einer cloudgestützten Software, die krebsmedizinische Behandlungsteam bei der Entscheidfindung unterstützt.

Novartis Bei Novartis ist die Dynamik und Kreativität in Sachen Digitalisierung offensichtlich. Das Unternehmen beschäftigt seit Anfang Jahr einen Digital Officer. Bertrand Bodson kommt von Argos, einer Tochter der 2016 von der britischen Supermarktkette Sainsbury, der Nummer drei im britischen Onlinehandel. Digitalisierung und Big Data gehören zu den Prioritäten des neuen Konzernchefs. Ziel ist es, den enormen Kapitaleinsatz bei der Medikamentenentwicklung zu reduzieren. Das Stichwort dazu heisst «predictive biology», die Modulierung biologischer Prozesse am Computer. Zudem soll die Rekrutierung von Patienten für die klinischen Studien, einem der grössten Kostenblöcke bei Pharma, mit Hilfe von künstlicher Intelligenz verbessert werden.

Das Unternehmen arbeiten dazu mit dem britischen AI-Unternehmen Quantum zusammen. Zudem ist Novartis mit Software-Gigant Microsoft und Google im Geschäft. Mit Microsoft arbeitet man an einem lernfähigen Diagnosegerät für MS-Patienten. Es registiert die Bewegungen der Patienten und wie sie sich – etwa wegen der Medikamenteneinnahme – verändern. Bei Google geht es um eine intelligente Kontaktlinse, die in der Lage wäre, den Glukosegehalt in der Tränenflüssigkeit nachzuweisen, was Diabetikern das Leben deutlich einfacher machen würde – ein Langfristprojekt.

Roche oder Novartis – die beiden Unternehmen trennt vieles, bei der Strategie, der Führung und der Kultur. Roche ist das konservativere Unternehmen, aber zur Zeit braucht es etwas mehr Nerven. Dafür ist das Potential gross. Bei Novartis ist viel Dynamik, dafür geht es an der Börse etwas ruhiger zu und her.