Am Ende der Zürcher Bahnhofstrasse Richtung See steht die Schweizerische Nationalbank. Gemessen am Erscheinungsbild einer Trutzburg nimmt sich die Eingangspartie des Baus recht bescheiden aus. Eine Pforte, ein Pförtner: «Zu wem bitte?» «Hildebrand!» Das goldene Licht des Spätsommers verleiht dem mit Massivholz ausgeschlagenen Büro am Ende des Flurs eine fast heimelige Atmosphäre. Hier wirkt er, Philipp Michael Hildebrand, mit 40 Jahren jüngstes Mitglied des Nationalbank-Direktoriums seit einem halben Jahrhundert. Ein Mann von stattlicher Grösse mit einem einprägsamen Gesicht, die breiten Schultern eingeschlagen in elegante Nadelstreifen.

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Als der Bundesrat im März die Berufung des damaligen Generaldirektors der Genfer Union Bancaire Privée ins Triumvirat bekannt gab, ging ein anerkennendes Raunen durch die Finanzwelt. Hildebrand, international geschult und reputiert, mit dem Marktgeschehen bestens vertraut, gilt als ideale Besetzung des Direktionspostens im Departement III und erhielt viele Vorschusslorbeeren. Kann er da noch ruhig schlafen? «Grundsätzlich hat mich überrascht, dass meine Ernennung auf ein so grosses Echo gestossen ist», sagt Hildebrand. «Gleichzeitig aber haben mich die vielen positiven Reaktionen natürlich gefreut.» Erstaunt sei er vor allem über die vielen Schreiben gewesen, die er von Unbekannten erhalten habe. «Immer wieder konnte ich darin eine gewisse Wertschätzung erkennen, die mir und meiner neuen Aufgabe entgegengebracht wird», führt der smarte Banker aus und wirkt dabei beinahe ein bisschen verlegen. Wer gerühmt wird, steht unter Erwartungsdruck. Die Erwartungen, die von aussen an seine Person geheftet werden: Eine Geldpolitik umsetzen und Rahmenbedingungen schaffen, die der Volkswirtschaft positive Impulse verleihen.

Erst wachte er am Strand, dann staunte er über Volcker

Direktor der Nationalbank, nein, ein Bubentraum sei das nicht gewesen, schmunzelt Hildebrand, der seine Wurzeln im luzernischen Horw hat, jedoch hauptsächlich in Übersee aufgewachsen und im angelsächsischen Raum ausgebildet worden ist. Zu den Sozialwissenschaften habe er sich als Jugendlicher hingezogen gefühlt, zur Geschichte, vor allem zu den Römern. Und die Eltern, die hätten gesagt: Der Junge, der wird Pfarrer. Damit hätten sie von der heutigen Warte aus betrachtet ja auch gar nicht so falsch gelegen, scherzt der mit einer Amerikanerin verheiratete Vater einer dreijährigen Tochter, «schliesslich predigen wir Finanzfachleute auch sehr viel und sehr gerne». Allerdings, Wasser als Wein auszuschenken, das ist seine Sache nicht. Der Nachfolger von Bruno Gehrig wirkt im Gegenteil äusserst pragmatisch, aufrecht und geradlinig.

Seinen ersten regelmässigen Ferienjob hatte er zur Highschoolzeit: Lifeguard auf Long Island. Für vier Dollar die Stunde wachte er über Strand und Leute. Da tauchen unweigerlich David Hasselhoff und Pamela Anderson vor dem geistigen Auge auf Hildebrand ein Bay Watch? Der winkt höchst amüsiert ab. Ein ziemlich harmloses Baderevier sei das gewesen. Aber aus Versicherungsgründen würden in den USA selbst solche mit Lebensrettern und Bademeistern beschickt. Und die roten Badeshorts? Hildebrand, anfangs der Achtzigerjahre zweimal Schweizer Meister im Schwimmen, lenkt das Gespräch in eine andere Bahn. Paul Volcker, damaliger US-Notenbank-Chef, der hat ihm damals imponiert. Eindrücklich sei das gewesen, wie dieser 1979 der Inflation den Kampf angesagt und in den USA den Aufschwung eingeläutet habe. «Damals habe ich angefangen, bewusst wahrzunehmen, was Finanzpolitik bedeutet.»

Eine Erkenntnis mit Folgen. Hildebrand schrieb sich an der Universität Toronto ein und erwarb dort den Bachelor of Arts. Es folgten Studien in Genf und Florenz, Harvard und Oxford, die er 1994 mit der Promotion abschloss (Doktor für Internationale Beziehungen). Die Finanzierung seiner Ausbildung stellte er mit Stipendien und Darlehen sicher. «Am Schluss hatte ich 15000 Fr. Schulden, was mich dazu trieb, mir möglichst rasch einen Job mit Verdienstmöglichkeit zu suchen.» Der aus bürgerlichem Hause stammende Hildebrand der Vater, Jakob Hildebrand, war bei IBM und der Swico tätig heuerte beim World Economic Forum an, wo er sich vom Kofferträger der Prominenz zum regionalen Verantwortlichen für Europa emporarbeitete. «Arafat und Peres zu begegnen, das waren unvergessliche Momente», erklärt er. «Am meisten aber hat mich Nelson Mandela beeindruckt, den ich während vier Tagen begleiten durfte.» Man könne aber deswegen nicht schreiben, er sei mit dem Nobelpreisträger auf Du, mahnt er zur Zurückhaltung. Hildebrand ist kein Jetsetter, er ist Direktor der Abteilung III der Schweizerischen Nationalbank. Und die ist zuständig für die Umsetzung der Geldpolitik, für die Anlage der Devisenreserven, für Zahlungsverkehr und Informatik. Da kommt Seriosität vor Klatsch.

Am Wochenende gehts abzur Familie in Genf

Zu dieser Tatsache gehört auch, dass er sich wohlbedacht äussert, gerade wenn es um die ökonomische Lage geht. Nicht einzelne Trends oder Indikatoren dürften für ihn und die Nationalbank bei den Überlegungen entscheidend sein, sondern eine allgemeine Beurteilung. «Natürlich frage ich den Taxichauffeur, wie das Geschäft läuft, Einfluss auf die Geldpolitik darf seine Antwort indes nicht haben», bemerkt Hildebrand, der unter der Woche in Zürich wohnt und am Freitag abend nach Genf disloziert, wo seine Familie lebt und seine Frau eine Kunstgalerie führt.

Eine verhaltene Prognose lässt er sich trotz aller Vorbehalte aber dennoch abringen: Für die beiden nächsten Quartale sieht der Gastprofessor am Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien und Verfasser zahlreicher Fachpublikationen einen Silberstreifen am helvetischen Wirtschaftshorizont. Ein Blick in die USA belege, dass die dort erfolgten fiskalpolitischen Impulse Wirkung zeigten und das Wirtschaftswachstum ankurbelten. Und wenn Amerika anziehe, dann übertrage sich dies zwangsläufig auf die übrigen Industrie- und Dienstleistungsstaaten.

«Allerdings», so Hildebrand, «was danach kommt, das steht in den Sternen.» Nach wie vor befänden sich die Märkte in einer äusserst fragilen Phase, noch immer sei man daran, die spekulative Blase der Neunzigerjahre abzubauen. «Hätten die Konsumenten in all diesen Jahren nicht konsequent und konstant ihr Geld ausgegeben, wir wären in eine noch grössere Katastrophe geschlittert.» Als zukunftsträchtigen Markt erachtet er weiterhin den Technologiebereich. Hier sei aufgrund notwendiger Erneuerungen von Apparaturen und Systemen ein grosses Wachstumspotenzial vorhanden. «Das darf uns in der Schweiz aber nicht davon abhalten, strukturell wichtige Beschlüsse zu fassen, damit wir das Wachstum fördern können und wettbewerbsfähig bleiben, gerade auf den Arbeits- und Produktemärkten.»

Strategisches Geschick wie einst Muhammed Ali

Hinter seinem Schreibtisch, gleich über den Monitoren mit den Börsenkursen, hat Cassius Clay alias Muhammad Ali seine Fäuste zur Pose geballt. Ein Andenken auch an seine Kindheit, sagt Hildebrand. Bei wichtigen Kämpfen habe ihn der Vater mitten in der Nacht geweckt, zusammen hätten sie dann vor dem Fernseher gesessen und mitgefiebert, bis zum k.o. und zum letzten Gong. «Für mich ist Ali der Sportler des 20. Jahrhunderts, und eine beeindruckende Persönlichkeit dazu.» Einer, der mit kämpferischem Können und strategischem Geschick brilliert hat.

Strategisches Taktgefühl sowie die profunde Kenntnis der Marktmechanismen werden auch dem neuen Nationalbank-Direktor nachgesagt, der seine Aufgabe weniger ausführt denn viel mehr lebt. «Unterschiede zu machen zwischen Arbeit und Freizeit ist nicht unbedingt meine Stärke», gibt Hildebrand, der Letztere am liebsten mit der Familie verbringt, zu. «Und ich glaube, das ist in meinem Fall auch gar nicht so wünschenswert.» Das Abschalten überlässt er andern.



Steckbrief

Name: Philipp M. Hildebrand

Funktion: Direktor Schweizerische Nationalbank (III. Departement)

Alter: 40

Wohnort: Zürich und GenfFamilie: Verheiratet, eine Tochter

Hobby: Sport

Karriere

1994 Executive Board WEF, Genf;

1995 - 2000 Senior Managing Director und Partner Capital Strategy Group;

2000 - 2001 Chief Investment Officer der Vontobel-Gruppe;

2001 - 2003 Chief Investment Officer Asset Management der UBP, Genf. Firma

Schweizerische Nationalbank (SNB): Sie verkehrt mit den Banken als «Bank der Banken» und mit Bundesstellen als Bank des Bundes. Ihre Hauptaufgabe ist laut Artikel 99 der Bundesverfassung eine Geld- und Währungspolitik im Gesamtinteresse des Landes. Dem dreiköpfigen Direktorium gehören neben Philipp Hildebrand (Leiter III. Departement) auch Jean-Pierre Roth (Präsident, Vorsteher des I. Departementes) und Niklaus Blattner (Vizepräsident, Vorsteher II. Departement) an. Die SNB mit Sitz in Zürich und Bern hat rund 600 Angestellte und derzeit etwa 42 Mrd Fr. im Umlauf.