Benzinpreis steigt: Wo der Preiswächter jetzt genau hinschaut

Während der Krieg Russlands gegen die Ukraine tobt, stehen Gewinner und Verlierer bereits fest: Mineralölwirtschaft und Tankstellen profitieren von der Preisexplosion bei Rohöl und Automobiltreibstoffen. Und die Konsumentinnen und Konsumenten bezahlen deutlich höhere Preise für eine Tankladung. Ist das die Logik des freien Marktes, der sich die Konsumenten fügen müssen? Oder nutzen Unternehmen die Marktbewegungen schamlos für höhere Gewinne aus? Diese Fragen stellen sich auch die Preis- und Kartellwächter in der Schweiz. Denn die Ölpreise steigen seit einer Woche kontinuierlich. Brent-Rohöl kostet mittlerweile mehr als 123 Dollar je Barrel. Das ist der höchste Stand seit zwei Monaten. Das liegt zwar immer noch unter dem Rekordpreis von 129 Dollar in den ersten Kriegswochen, aber der Aufwärtstrend ist deutlich. Und auch an den Schweizer Zapfsäulen kennen die Preise nur den Weg nach oben. Für Benzin bleifrei mit 95 Oktan bezahlt man im Mittel derzeit 2.17 Franken pro Liter, für Bleifrei 98 Oktan 2.26 Franken pro Liter und für Diesel 2.30 Franken. Zum Vergleich: Im März waren es noch 2.11 Franken für Bleifrei 95, 2.20 Franken für Bleifrei 98 und für Diesel 2.23 Franken. Gemäss Berechnungen des TCS und auf Basis der Informationen des Tankstellenbetreibers Avia und des Verbands Strasseschweiz wirken sich Tarifänderungen von jeweils 14 Franken pro Tonne Erdöl mit 1 Rappen pro Liter auf den Benzinpreis aus. Und allein die Mehrwertsteuer macht bei einem mittleren Säulenpreis von derzeit 2.17 Franken pro Liter bereits 15,5 Rappen aus. Die Preissteigerung von Rohöl allein lässt sich aber nicht eins zu eins auf die Preissteigerung bei Benzin übersetzen. Dazwischen liegen mehrere Schritte, die den Preis an der Zapfsäule bilden und beeinflussen: staatliche Steuern von etwa 50 Prozent des Endpreises (Mineralölsteuer, Mehrwertsteuer, Importabgaben), Vertriebskosten und Kosten für die Beschaffung. Raffineriemargen ungewöhnlich hoch Auch die Raffinerien schneiden mit. «Die Raffineriemargen sind derzeit stark schwankend und ungewöhnlich hoch, weil offenbar die Verarbeitungskapazitäten knapp sind», sagt TCS-Sprecher Daniel Graf. Der finnische Mineralölkonzern Neste Oyj weist eine Erhöhung der Margen von etwas mehr als 10 Dollar auf mehr als 40 Dollar für ein Fass Rohöl aus. Ein Fass enthält 159 Liter, auf die Schweiz grob heruntergebrochen bedeutet das laut Graf eine Erhöhung von gut 6 Rappen auf etwa 25 Rappen pro Liter. «Von einer solchen Tendenz können sich die Treibstoffpreise in der Schweiz nicht abkoppeln.» Zudem schlagen Frachtkosten auf: Ein wichtiger Faktor ist die Lieferung des Öls über den Seeweg und der Treibstoffe über den Rhein. Der Wasserstand des Rheins bestimmt die maximale Last der Schiffe, die Treibstoffe transportieren. Ein niedriger Wasserstand bedeutet einen höheren Benzinpreis, weil die Schiffe weniger laden können und mehr Fahrten nötig sind. Ausschlaggebend sein können auch Kosten für die Raffinierung, welche in der Schweiz und im Ausland erfolgt. Und schliesslich spielt der Wechselkurs eine Rolle, da Rohöl und die Produkte Benzin und Diesel international in Dollar gehandelt werden. «Die nicht im Internet öffentlich zugänglichen Produktpreise von Benzin und Diesel an den Börsen in US-Dollar pro Tonne sind relevant für die Preisbildung in der Schweiz», erklärt Graf. «Durch Spekulation werden auch bei Produktpreisen die Schwankungen an den Börsen oft noch verstärkt.» Weko geht Hinweisen auf Wucher beim Benzinpreis nach Dass Zwischenhändler, Raffineure oder Tankstellenbetreiber nun von den Preissteigerungen unbotmässig profitieren würden, lässt sich aktuell nicht nachweisen. Die Wettbewerbskommission hat den Treibstoffmarkt zwar auf dem Radar: «Wir gehen Hinweisen nach, bleiben aufmerksam.» Aber: «Bis jetzt konnten wir keine konkreten Anhaltspunkte für unzulässige Verhaltensweisen ermitteln, welche die Eröffnung einer kartellrechtlichen, formellen Untersuchung gegen bestimmte Unternehmen rechtfertigen würden», sagt Weko-Sprecher Frank Stüssi. Sobald das aber der Fall wäre, könnte die Weko «eine Untersuchung eröffnen, Hausdurchsuchungen durchführen, Computerdaten sicherstellen und Einvernahmen führen». Bei konkreten Abreden wäre das Risiko für die Mineralölbranche dann sehr hoch, mit Schadenersatzforderungen konfrontiert zu werden. Sorge um funktionierenden Wettbewerb Auch Preisüberwacher Stefan Meierhans hat ein Auge auf die Preisentwicklung. Da sich die Tankstellenpreise momentan zeitlich nicht immer proportional zu den Rohölpreisen entwickeln und die Bruttomargen der Tankstellen im internationalen Vergleich auch eher hoch sind, müsse nun geklärt werden, «ob eine Stufe das verhindert und aus welchem Grund». Beobachtungen aus dem benachbarten Ausland nährten Befürchtungen, dass der Wettbewerb nicht – wie gewünscht – funktionieren könnte. Aus diesem Grund startete der Preisüberwacher Ende März eine Marktbeobachtung zum Thema. In einem ersten Schritt liegt der Fokus auf den Margen der Wertschöpfungsstufe Raffinerie. Ein Fragebogen wurde verschickt und die Beantwortung ist noch pendent. Opec-Länder profitieren von der Rohöl-Knappheit Bis die Fragen geklärt sind, diktieren wenige Staaten, was den Autofahrern in der Schweiz im Portemonnaie bleibt: Rohöl droht knapper zu werden als auch schon. Denn Russland ist nach Saudi-Arabien der zweitgrösste Erdölexporteur der Welt, hat bisher seinen Krieg gegen die Ukraine vor allem mit Erdölverkäufen finanziert. Und die EU will diese Geldader Russlands durchschneiden, indem es ein Embargo verhängt. Zudem hält der Aargauer Treibstoffhändler Oel-Pool fest, dass Saudi-Arabien «nicht beabsichtigt, die Förderquoten stark zu erhöhen». Denn offiziell sehe Saudi-Arabien den Ölmarkt sowieso als «relativ ausgeglichen». Kommt hinzu, dass «gewisse Mitglieder der Opec zurzeit technische Probleme haben und gar kein zusätzliches Öl fördern können», schreibt Oel-Pool. Russland gehöre auch zu diesem «Preistreiber-Kartell». Das Öl-Informationsportal Esyoil bezeichnet «das Ölkartell Opec» als den lachenden Dritten. Darauf hat die Schweiz kaum Einfluss. Fürs Inland beginnt die Preiskalkulation beim Einkaufspreis und da, wo die Tankstelle steht. Es gibt zwar Treib- und Brennstoffhändler mit Tankstellen, die Benzin und Diesel aufgrund ihrer Kalkulation günstiger anbieten. Garagisten auf dem Land zum Beispiel, die mit den Treibstoffpreisen Kunden anwerben möchten, kalkulieren anders und kommen auf einen günstigeren Preis. Mit dem Effekt, dass in Regionen mit höheren Treibstoffpreisen oft günstige Anbieter fehlen oder sich weniger durchsetzen können. Deshalb warnt Konsumentenschützerin Sara Stalder: «Man muss aufpassen, dass entlegenere, nicht urbane Gebiete durch die Preispolitik der Mineralölwirtschaft und der Tankstellen nicht benachteiligt werden.» Eine App für mehr Transparenz beim Benzinpreis Abhilfe schaffen könnte eine Lösung, wie sie in Österreich zur Anwendung kommt: eine App und eine Website, die jeweils eine Übersicht über die fünf günstigsten Tankstellen im nächsten Umkreis liefern. «Eine solche App würde auch für die Schweiz für mehr Transparenz sorgen», sagt Stalder. Darüber hinaus gibt es wenig Möglichkeiten für hiesige Unternehmen, die dramatischen Preissteigerungen für Treibstoff abzufedern. «Der Spielraum für die Marktteilnehmenden am Ende der Kette ist sehr beschränkt», sagt Roland Bilang, Geschäftsführer von Avenergy. Eilen dürfte es ohnehin nicht: «Wir sehen keinen dringenden Handlungsbedarf. Inflationsbereinigt waren die Treibstoffpreise auch in früheren Krisen schon vergleichbar hoch», sagt Bilang. Tanktourismus absehbar Derweil müssen sich die Konsumenten wohl oder übel auf ihr Gespür und Glück verlassen, um bei stark schwankenden Preisen im genau passenden Moment und am passenden Ort einzukaufen. Sprich: Der Tanktourismus von der Schweiz ins angrenzende Ausland dürfte zunehmen.

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Preisüberwacher nimmt den Benzinpreis unter die Lupe