Ragusa-Chef Bloch über erfolgreiche alte Marken und noch nicht so erfolgreiche neue Nüsse. Im Interview mit der @handelszeitung.

Wie schmeckt der McFlurry Ragusa? Der kommt sehr gut an. Meine Tochter hat mir empört ein SMS geschickt: Ich hätte ihr doch sagen sollen, dass wir jetzt mit McDonald’s eine Glace machen, sie habe das nicht gewusst. Das ist ein gutes Zeichen. Der McFlurry Ragusa ist für junge Leute – und sie fand ihn gut. Und wie finden Sie das Ragusa-Topping für den McFlurry? Ich finde es auch gut. Die Initiative kam aber nicht von mir. McDonald’s fragte uns dazu an. Und ich sagte: Wieso nicht? Passt das zusammen? Das Familienunternehmen mit langer Tradition spannt mit Fast-Food-Gigant McDonald’s zusammen. Die Frage stellte ich mir auch. Aber man muss dort sein, wo die Konsumentinnen und Konsumenten sind. Und die Jungen sind nun halt mal bei McDonald’s. McFlurry ist eine qualitativ hochstehende Linie. Ich bin froh, haben wir es gemacht, obwohl die beiden Marken auf den ersten Blick nicht unbedingt zusammenpassen. Es hat sich eine gute Zusammenarbeit ergeben. Sie beliefern sowohl Coop wie auch Migros, Denner – und neu auch Aldi Suisse. Pocht keiner der Partner auf Exklusivität? Es herrschen neue Zeiten. Als wir vor knapp zehn Jahren die Zusammenarbeit mit der Migros starteten, ging ich zu Coop nach Basel, um uns zu erklären. Sie zeigten ein gewisses Verständnis. Im Ausland haben wir nicht die Kraft, unsere Marke gegenüber den etablierten Marken stark zu positionieren. Und der Schweizer Kuchen verteilt sich halt auf verschiedene Retailer. Wir müssen in verschiedenen Distributionskanälen präsent sein, für uns ist das eine existenzielle Frage. 2017 verdoppelten Sie Ihre Produktionskapazität: Sie sind sehr optimistisch. Wir setzten ein Zeichen, dass wir an die Zukunft glauben. Es war ein Bekenntnis an den Produktionsstandort Schweiz – obwohl er nicht günstig ist. Man kann auf zwei Arten bauen: Entweder baut man in kleinen Schritten – dann ist man ständig damit beschäftigt. Oder man macht etwas Grösseres. Als ich in den 1990er Jahren anfing, hatte ich Ruhe; wir hatten damals Kapazitätsreserven. Die nächste Generation soll zu Beginn auch etwas Ruhe haben. Hoffentlich stehen sie dann aber irgendwann einmal vor dem gleichen Problem wie ich: dass es zu eng wird und sie bauen müssen.Monsieur Ragusa Name: Daniel Bloch Alter: 58 Funktion: CEO und Verwaltungsratspräsident von Chocolats Camille Bloch Privates: verheiratet, drei Kinder Ausbildung: Jus-Studium an der Universität Bern, MBA an der Kaderschmiede Insead bei Paris Karriere: Leiter Rechtsdienst Papierfabrik Utzenstorf, Tätigkeit als Anwalt in New York Start bei Camille Bloch 1994. Weiterbildung Insead bis 1997 Übernahme der Geschäftsleitung bei Camille Bloch ab 2000 Verwaltungsrat bei der Berner Kantonalbank (bis 2020) und Verwaltungsrat der Von Graffenried Gruppe (Immobilien, Bank, Treuhand) Vizepräsident Handels- und Industrieverein des Kantons Bern (bis 2019) Vizepräsident Chocosuisse Wie entwickelte sich der Schokoladenkuchen letztes Jahr? 2020 war ein schlechtes Jahr. Der Gesamtmarkt für Schokolade schrumpfte in der Schweiz um 5 Prozent. Wir verloren etwa 10 Prozent. Ragusa und Torino werden häufig unterwegs konsumiert, und so waren wir etwas stärker betroffen als der Durchschnitt. Wie viel setzten Sie genau um? Der Umsatz sank auf 50 Millionen Franken. In diesem Jahr, wenn es wieder aufwärts geht, sollten wir die Hälfte des Verlusts kompensieren können und 55 Millionen erwirtschaften. Waren Sie profitabel? Immerhin mussten wir keine Notkredite beziehen. Wir mussten uns auf das Wesentliche beschränken, ersetzten gewisse Leute nicht, die gingen. Lohnerhöhungen und Boni lagen auch nicht drin. Mit rückläufigen Zahlen müssen wir umgehen können. Im Hitzejahr 2003 hatten wir es ähnlich erlebt. Doch Corona hat uns doppelt bestraft: Wir brachten 2020 unsere neue Marke So Nuts auf den Markt – So Nuts Ragusa ist eine von uns geröstete Haselnuss, mit Ragusa überzogen, So Nuts Torino ist eine Mandel, die mit Torino umhüllt ist –, doch weil wir keine Degustationen durchführen konnten, war der Erfolg nicht so gross wie erwartet. Ich bin froh, haben wir es dennoch gewagt. Wieso? Nüsse sind ein Trend, sie sind gesund und hochwertig. Wir besitzen von jeher die Kompetenz, Nüsse zu rösten – seit 1942, als Camille Bloch Ragusa entwickelte. Wir wollen solche neue Nischen besetzen, solange es noch Nischen sind. Später können wir als KMU nicht mehr mithalten, dann wird das Geschäft von den Grossen besetzt. Das ist die Erfolgsstory von Ragusa. Als wir damit anfingen, war Schokolade mit Nuss-Praliné-Füllung noch eine Nische. Wie kamen Sie auf die Idee für So Nuts? Zuerst wollten wir ein Ragusa mit mehr Haselnüssen machen. Mit mehr Nüssen wurde das Ragusa aber zu brüchig. Und so erkannten wir, das wir statt Ragusa mit mehr Haselnüssen einfach Haselnüsse mit Ragusa machen sollten. So entstand So Nuts. Das gleiche Prinzip wendeten wir dann bei Mandeln mit Torino an. Ganz neu machen wir nun auch So Nuts Coffee: Eine bei uns geröstete Mandel wird mit einer Kaffeepaste umhüllt. Jetzt müssen wir sehen, wie diese Produkte im Markt ankommen. Ich bin immer froh, wenn wir gute Ideen haben. Der Umsatz interessiert mich natürlich auch. Doch wenn die Idee gut ist, folgt früher oder später der Umsatz. Welche Nischen besetzen Sie sonst noch? Wir stellen auch koschere Schokolade her, die wir vor allem in den USA verkaufen. Diese Spezialitäten sind ähnlich wie die Standardprodukte, verfügen aber über ein Zertifikat eines Rabbiners, das die koschere Eigenschaft bestätigt. Das Angebot starteten wir übrigens nicht wegen unserer religiösen Herkunft, das machen auch andere Schweizer Hersteller. Es ist ein Nischengeschäft, das an Bedeutung gewinnen könnte. Weil koscher auch ein Qualitätslabel ist für nicht jüdische Leute. Wann lancieren Sie Ragusa in der Version Halãl? Vermutlich ist unsere koschere Schokolade schon halãl. Und unsere dunkle koschere Schokolade ist zugleich auch vegan. Gewisse Spezialbedürfnisse überschneiden sich also. Auf solche Nischen setzen wir. Sie haben bislang nur zwei starke Marken. Ist das für Sie ein Problem? Ich habe lieber zwei starke Marken als viele schwache. Die erfolgreichsten Produkte sind Markenprodukte, «Love Brands». Früher sagte ich immer, wir bräuchten keine zusätzlichen Marken. Das stimmt für Schokolade. Nun haben wir doch So Nuts lanciert. Das ist aber ein neues Produktkonzept und keine Schokolade. Für eine weitere Schokolade hätten wir keine neue Marke benötigt. Auch bestehende Marken müssen ständig erneuert werden, um dem Zeitgeist zu entsprechen. Diese Aufgabe ist gar nicht so einfach. Hat So Nuts das Potenzial, neben Ragusa und Torino zum dritten Standbein zu werden? Wir fangen erst damit an. Ragusa hatte achtzig Jahre Zeit, zu dem zu werden, was es heute ist. Wenn wir es gut machen, könnte So Nuts durchaus zu einem dritten Pfeiler werden. Sind Sie als kleiner Hersteller unter Druck, diktiert Ihnen Coop beispielsweise die Preise? Sie setzen die grossen Hersteller ebenfalls unter Druck. Ich finde unsere Grösse ideal. Als ich anfing, hiess es, wir würden nicht mehr lange existieren. Damals hatten wir einen Marktanteil von 3 Prozent, nun beträgt er immerhin 5. Wir sind erfolgreich unterwegs. Man muss sich und seinen Werten treu bleiben, darf sich aber auf seiner Position auch nicht ausruhen. Und muss als Familienunternehmen innovativ bleiben. Wie sind Sie innovativ? Das ist eine Einstellungssache. Wir wollen immer offen bleiben für Neues. So haben wir beispielsweise unlängst Land in Georgien gekauft, um unsere eigenen Haselnüsse anzubauen. Wir wollen sie mit neuen, umweltschonenden Methoden produzieren und so für die für uns wichtigste Zutat die volle Verantwortung übernehmen. Da wir alles selber bei uns machen, sind wir glaubwürdig und handlungsfähig – wir können schnell reagieren. Was wir verkaufen, haben wir selber bei uns in Courtelary hergestellt. Wie lautet Ihre Preispolitik? Wenn man allen Preisforderungen nachgibt – sei es dem Frieden oder dem Volumen zuliebe – verliert die Marke irgendwann ihre Qualität, das Image. Auch wenn die Auslastung dann vielleicht hoch ist. Wenn Sie sich hingegen einschränken und ihre Produkte nur jenen anbieten, die sie wirklich wollen, dann haben sie mehr Marge, geben aber etwas Volumen ab. Wir haben uns immer an jenen Kundinnen und Kunden orientiert, die unsere Produkte wegen des Geschmackserlebnisses wollen und nicht wegen des Preises. Die Schoggi-Firma: Der viertgrösste Schweizer Hersteller von Markenschokolade ist tief im Berner Jura zu Hause: Hier in Courtelary fabriziert Camille Bloch mit seinen 200 Mitarbeitenden jährlich 3700 Tonnen Schokolade, die Mehrheit davon wird zu den Nuss-Schokoladen-Riegeln Ragusa und Torino verarbeitet. Likörschokolade und Nüsse mit Schokoladenüberzug komplettieren das Angebot. Mit einem Umsatz von gut 60 Millionen Franken (2019) kommt die Firma auf einen Marktanteil in der Schweiz von 5 Prozent. Ein Fünftel der Produktion gelangt in den Export, hauptsächlich nach Deutschland, Frankreich und Skandinavien. Traditionsbetrieb: 1927 begann Camille Bloch mit der Produktion von Schokolade. Weil Kakao knapp war, fügte der findige Unternehmer Haselnüsse bei – das war die Geburtsstunde von Ragusa. Sohn Rolf führte das Werk seines Vaters erfolgreich fort und heute steuert Enkel Daniel Bloch das Familienunternehmen in dritter Generation. Seit 2017 kann die Kunst der Chocolatiers in einem Schokoladenmuseum in Courtelary bewundert werden. Sie setzen einen Viertel im Ausland ab. Liegt da nicht noch mehr drin? Derzeit liegt der Anteil bei etwa 20 Prozent. «Household Names» sind Ragusa und Torino nur in der Schweiz. Im Ausland muss man unsere Marken aufbauen – und wir wollen diese Aufbauarbeit dort leisten, wo wir motivierte Partner finden. Und wo finden Sie sie? Wir haben kürzlich den Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv als Kunde gewonnen, der wollte uns unbedingt im Duty-free-Bereich. Wir zierten uns ein, zwei Jahre lang, weil wir nicht einen einzelnen Flughafen direkt beliefern möchten. Doch er insistierte, und die Partnerschaft hat sich unglaublich gut entwickelt. Wenn der Partner daran glaubt, kann sie funktionieren. Wir suchen nicht Volumen um jeden Preis. Haben Sie auch in China bereits einen Partner gefunden? Diesen Markt darf man nicht ausser Acht lassen. Wir haben dort zuerst mal unsere Marke geschützt. Ein Markenpirat hatte sie uns zuvor geklaut. Was ist da genau passiert? Die Geschichte ist kompliziert. Einer registrierte die Marke, ohne dass er etwas mit Schokolade zu tun hat. Nun haben wir sie uns zurückgeholt und auf unseren Namen eintragen lassen. Zum Glück haben wir einen guten Markenanwalt, der uns beraten hat. Der Markenpirat sah viel Potenzial in uns – vielleicht sollten wir es also tatsächlich irgendeinmal in China probieren. Der richtige Moment ist allerdings noch nicht gekommen. China ist für uns nicht das Eldorado. Viele sind an diesem China-Rausch gescheitert. Welche Länder stehen sonst noch auf der Liste? Wir möchten in der Region rund um die Schweiz stark sein. Doch regionale Distributionsstrategien sind schwierig. Ich wünsche mir deshalb, dass es das Land United States of die Alps gäbe, zu dem die Schweiz und unsere Nachbarländer gehören würden. Dorthin möchten wir exportieren. Vom Klima, von den Distanzen her würde das Sinn ergeben. Das ist sinnvoller, als nach Australien zu liefern. Leider existiert dieses Land nicht. Welche Länder sind am wichtigsten? In Frankreich sind wir schon lange. Wir verkaufen unsere Produkte vor allem in der Region Paris und im Elsass. Und Kopenhagen ist ein Hotspot – diese ganze Geschichte kam zufällig zustande, der dänische Markt ist ja weit weg. Wie hat die Geschichte begonnen? Die Steuern sind dort sehr hoch, aber auf Fähren ist Schokolade steuerfrei erhältlich und bei den Dänen sehr beliebt. In den 1950er Jahren hatte ein dortiger Importeur ein Ersatz für Toblerone gesucht. Der kannte die Schweiz, weil er Jazz liebte und immer ein Jazz-Festival in der Schweiz besuchte. Er studierte den Markt und entdeckte Ragusa, kam nach Courtelary und wurde dort von meinem Grossvater – mit Hut und Zigarre ausgestattet – empfangen. Daraus hat sich die Zusammenarbeit entwickelt. Statt in der grossen Welt nach Kundschaft zu suchen, ist es manchmal besser, hier in Courtelary parat zu sein, wenn die Kunden von selber kommen. Wollen Sie über E-Commerce wachsen? Hoffentlich findet man unsere Produkte an so vielen Orten, dass man sie nicht online suchen muss. Für gewisse Artikel kann ein Online-Kanal Sinn machen. Aber die wichtigsten Produkte sollte man überall finden. Das Internetgeschäft ist kompliziert – und es ist schöner, Schokolade im Dorfladen zu kaufen. Um Schokolade zu essen, will man sich nicht hinter einen Computer setzen, damit man sie am nächsten Tag mit der Post erhält. Wenn die Lust auf Schokolade kommt, will man sie schnell stillen. Ihr Grossvater hat das Unternehmen gegründet, Sie haben von Ihrem Vater übernommen: Wie stehen die Chancen, dass eine vierte Generation einsteigt? Meine jüngste Tochter hat heute den ersten Schultag im Gymnasium, mein ältester Neffe ist schon etwas älter. Das Interesse ist da. Ich will es so gestalten, dass sie hierherkommen können – aber dass es ihnen freisteht, wieder zu gehen, wenn sie das möchten. In Familienunternehmen gibt es oft keine Ausstiegsmöglichkeiten, und das macht es den Nachfolgern und Nachfolgerinnen schwer. Ihr Vater war bis ins Alter von 75 Jahren im Unternehmen – da bleiben Ihnen ja noch ein paar Jahre. Böse Zungen sagen, dass ich meinen Zenit erst mit 85 Jahren erreichen werde. Man muss sich frühzeitig mit dem Gedanken an einen Rückzug befassen, damit man dann nicht allzu schnell handeln muss. Wir wären froh, wenn es eine vierte Generation geben würde, und sind zuversichtlich. Haben Sie einen Schoggi-Job? Ja, auf jeden Fall. Klar kommt mir das nicht an jedem Tag so vor. Doch es bleibt ein grosses Privileg, ein solches Geschäft zu führen. Mit Produkten, die sympathisch sind. Es ist kein beliebiges Business, nicht nur von Effizienz getrieben. Hier gibt es eine familiäre Atmosphäre, die Zusammenarbeit ist angenehm. Deshalb schlafe ich auch gut. Der Job ist Ihnen also noch nicht verleidet. Ist Ihnen Ragusa verleidet? Sie haben ja schon sehr viel davon gegessen in Ihrem Leben. Ich habe mich an Schokolade noch nie überessen. Als ich ein Kind war, versteckte meine Mutter die Schokolade, ich bekam sie nicht in Massen. Und ich verteilte sie auch nicht beliebig an meine Freunde. So fand ich Freunde, die nicht nur wegen der Schokolade mit mir befreundet waren. Ich esse gern Ragusa, aber die Marken anderer Hersteller schmecken mir auch – die müssen ja auch von etwas leben.

Ragusa-Chef Daniel Bloch: «Ich habe lieber zwei starke Marken als viele schwache»

«Ich habe lieber zwei starke Marken als viele schwache»