Alle Jahre wieder, bevor es schneit, füllen die Apotheker ihre Gestelle mit allerlei Nährstoffsupplementen und Vitalstoffen. Mit der Angst vor Winterdepression, Grippe oder Leistungsabfall machen Vitaminhersteller ein Millionengeschäft: Obschon sämtliche für den täglichen Bedarf nötigen Nährstoffe im Winter auch mit Früchten und Gemüse kompensiert werden könnten, geben die Schweizer jährlich 86 Mio Fr. für Vitaminpräparate aus. 48 Mio Fr. sind es allein für Multivitamin- und Mineralstoff-Dragées, welche Leistungsvermögen und Abwehrfähigkeit steigern sollen.

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Für die Hersteller ist Euphorie dennoch fehl am Platz: «Die Margen sinken, und der Konkurrenzkampf wird härter», sagen die Hersteller Roche, Burgerstein (CH) und Boehringer-Ingelheim (D), die zusammen etwa 70% des Schweizer Vitaminmarktes unter sich aufteilen. Roche hat mit dem Verkauf seiner Vitaminproduktion an die niederländische DSM bereits signalisiert, dass sie an der Herstellung von Massengütern kaum mehr interessiert ist. Das hat bei in- und ausländischen Konkurrenten die Hoffnung auf neue Marktanteile geweckt, auch wenn Roche-Produkte wie Supradyn und Berroca mit rund der Hälfte (25,8 Mio Fr.) des Multivitamin-Umsatzes weiterhin den Markt dominieren.

Weniger Wachstum, sinkende Margen

Um gegenüber Roche Marktanteile zu gewinnen, müssen die anderen Hersteller oder der erst seit 1997 in der Schweiz operierende Amerikaner Whitehall Robins entweder neue Kanäle erschliessen oder gegen die fest im Markt verankerten Roche-Produkte antreten. «Der Gesamtumsatz wird sich ab nächstem Jahr konsolidieren», prognostiziert Luis Salinas von der Basler Pharma Information. Die Marktsättigung gehe mit zunehmenden Restriktionen auf EU-Ebene und staatlichen Kampagnen für ausgewogenere und natürlichere Ernährung (ohne Nährstoffpräparate) einher.

Die steigenden staatlichen Auflagen für die Registrierung von hoch dosierten Vitaminpräparaten machen insbesondere den kleineren Herstellern zu schaffen: «Wir werden behandelt, als ob wir Medikamente produzieren würden», kritisiert Uli P. Burgerstein, der für die Registrierung seiner Nährstoffsupplemente jeweils mehr als 250000 Fr. hinblättern muss. Einen weiteren Kraftverlust erleide das Vitamingeschäft, weil die Rohstoff- und Herstellungskosten steigen, die aber nicht auf die Konsumenten abgewälzt werden können. «Die Schmerzgrenze ist erreicht», klagt Kurt Zihlmann von Whitehall Robins. «Dafür kommt Roche unter Druck, weil ein Moloch mit immer kleineren Margen nicht leben kann», frohlockt Burgerstein. So gesehen, sei die Registrierung der Vitamine sogar ein Vorteil: Wenn die Produkteinhalte transparenter werden, seien die Zeiten, wo Roche für sein Präparat verlangen konnte, was sie wollte, vorbei.

Auf Roche-Sprecher Horst Kramer machen solche Szenarien wenig Eindruck: «Gerade durch die Registrierung weiss man wieder, was man an unseren Produkten hat.» Tatsächlich hat man es bei Supradyn nicht nur mit dem meistverkauften, sondern auch mit dem teuersten Multivitaminpräparat zu tun (siehe Preisvergleich).

Ganzjähriger Vitaminschub

Auf die Veröffentlichung von Geschäftszahlen hat sich die Produktetransparenz bis dato nicht ausgewirkt: Die einschlägigen Vitaminhersteller behalten ihre Umsatzzahlen für sich. Einzig am Markteinstieg von Whitehall Robins lässt sich ablesen, dass Marktverschiebungen stattgefunden haben. Laut Scannerdaten, welche das Marktforschungsunternehmen IHA-IMS Health GmbH 1998 in den Apotheken gemessen hat, erwirtschafteten die Amerikaner mit ihrem A-Zink-Präparat Centrum einen Umsatz von 4 Mio Fr. und stiegen damit nach Supradyn zur Nummer zwei bei den Multivitaminen auf. Verschiedene Apotheker bestätigen, dass nach Supradyn und Berocca immer mehr Kunden nach Centrum fragen. Da der Gesamtmarkt zwischen 1997 und 2001 mit 13% noch massiv zugelegt hat, dürften die anderen Marktteilnehmer noch kaum verloren haben.

Preis statt Label

Einen markanten Wechsel dürfte Centrum aber dennoch bewirkt haben: «Nach dem neusten Stand der Wissenschaft sollte man das ganze Jahr über Vitamine konsumieren und nicht nur im Winter», erklärt Zihlmann. Damit habe Centrum einerseits einen neuen Kanal geöffnet, welcher der ganzen Branche nütze. Anderseits haben die Amerikaner dafür gesorgt, dass die Konsumenten im November nicht mehr in Scharen vor den Apotheken stehen, sondern sich übers ganze Jahr mit Vitaminen eindecken.

Der Auftritt der fast um die Hälfte billigeren Centrum-Präparate wird in der Branche mit Argusaugen verfolgt: Biomed (CH) verzeichnet seit Jahren stagnierende Umsätze mit Allsan. Und Burgerstein behauptet zwar, kontinuierlich zu wachsen. Doch der ihn preismässig unterbietende Amerikaner ist ihm ein Dorn im Auge. Burgerstein weiss, dass der Preis den Entscheid des Konsumenten in Zukunft noch stärker bestimmen wird. Denn die wissenschaftlich messbare Leistung eines Vitaminpräparates ist in einem Massenmarkt kaum kommunizierbar und erst noch umstritten. «Denn der Körper kann nur so viel Nährstoffe aufnehmen, wie ihm gerade fehlen. Den Rest scheidet er wieder aus», erklärt die Verkäuferin der Winterthurer Adler-Apotheke, wenn sie auf die Dosierung der verschiedenen Präparate angesprochen wird. Wollen die Schweizer Hersteller wie Roche, Burgerstein oder Allsan gegenüber den Amerikanern Whitehall-Robbins bestehen, werden sie ihre Preise senken müssen.