Offen und ehrlich - sind Sie tatsächlich der mächtigste Weinkritiker der Welt?

Robert Parker: Das behauptet zumindest jeder. Das ist zwar auf der einen Seite angenehm. Aber es bringt eine aussergewöhnliche Verantwortung mit sich. Man muss exakt sein, sehr vorsichtig und sehr hart arbeiten.

Ihnen wirft man zuweilen vor, sich zu sehr auf die Weine des Bordeaux-Gebietes und des Rhonetals spezialisiert zu haben. Spürt man, wenn man mächtig ist, den eigenen Einfluss?

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Parker: Ja, ich denke schon. Als ich vor 25 Jahren anfing, über Wein zu schreiben, bewegte sich die Weinindustrie in eine gefährliche Richtung. Es herrschte eine Mentalität wie in einer Lebensmittelfabrik. Es ging nicht um den individuellen Charakter einzelner Weingüter, sondern um Standardisierung. Dieser Trend läuft heute in die Gegenrichtung.

Wohin?

Parker: Es ist jedem klar geworden, dass man bei den grossen Weinen, besonders den Rotweinen, so wenig wie möglich nachhelfen soll. Sie sollten den Charakter der Trauben, des Bodens und des Jahrgangs spiegeln. Dass heute im Burgund, im Rhonetal, sogar teilweise in Bordeaux und in Kalifornien immer mehr ungefilterte Weine produziert werden, kann man meinem Einfluss gutschreiben. Ein weiteres Beispiel ist das Interesse an Rhone-Weinen. Das ist viel grösser als früher. Als Drittes sehe ich den gewachsenen Zuspruch für Weine aus Pomerol und St. Emilion. Die wurden in der Vergangenheit gerne ignoriert, obwohl sie zu den hedonistischsten und verschwenderischsten Weinen im Bordeaux gehören. Sie sind nicht besser als Médoc-Weine, aber oft ebenso gut.

Weshalb folgt die Masse Ihren Empfehlungen und Ihrem Punktesystem? Weil Sie unfehlbar sind? Oder weil die meisten Konsumenten sowieso nichts von Wein verstehen?

Parker: Verbraucher sind intelligent. Wenn sie mit meinen Einschätzungen nicht übereinstimmen würden, wäre ich längst pleite. Ich habe wohl aus mehreren Gründen Erfolg. Erstens: Meine Ratschläge sind zuverlässiger als die von anderen. Was nicht heisst, dass ich unfehlbar bin. Niemand ist perfekt. Man macht Fehler. Zweitens: Man akzeptiert, dass dies die Stimme eines unabhängigen Weinkritikers und Verbrauchers ist. Ich schreibe nicht nur über die Weine. Ich trinke sie auch.

Es scheint, als ob erst Ihr Urteil edlen Bordeaux-Weinen Brief und Siegel verleiht. Sehen Sie das auch so?

Parker: Wenn Sie die letzten Jahre nehmen, können Sie feststellen, dass eine hohe Bewertung von mir besonders bei Weinen aus dem Bordeaux, aus Kalifornien oder aus dem Rhonetal nicht nur die Preise im Weinhandel in Tokio, Singapur oder Paris beeinflusst hat, sondern auch die bei Auktionen von Christie's und Sotheby's. Was mich verblüfft: Es gibt andere, gute Weinkritiker, aber nur einer zählt anscheinend. Das bin ich. Das soll nicht unbescheiden tönen. Ich denke, das ist schlichtweg die Realität.

Kommt Ihnen diese Realität nicht manchmal unheimlich vor?

Parker: Ich bedaure nur eines: Dass meine Bewertungen in vielen Fällen dafür sorgen, dass Weine teurer werden. Aber das Problem lässt sich nicht lösen. Es sei denn, man bringt den Mann, der die Informationen verbreitet, unter die Erde ...

Es gibt eine Reihe von Fachleuten, die Ihre Verkostungsmethoden kritisieren. Aber niemand wirft Ihnen vor, überheblich zu sein.

Parker: Stimmt. Das dürfte damit zu tun haben, wie ich aufgewachsen bin. Meine Eltern waren Farmer in Maryland. Es gab zuhause keinen Wein. Ich bin in den 60er Jahren aufgewachsen und fühlte mich ein bisschen wie ein Hippie. Ich vermag zu erkennen, dass ich erfolgreich bin und dass meine Meinung zählt. Auf der anderen Seite weiss ich, dass es egal ist, wie gut mein Urteil in der Vergangenheit gewesen ist. Wenn ich nicht auf dem Niveau weiterarbeite, habe ich die Unterstützung meiner Abonnenten nicht verdient.

Sie haben manche Ihrer Bewertungen in späteren Jahren korrigiert. Wie läuft das ab? Schauen Sie sich Ihre alten Notizen an?

Parker: Sicher. Aber jeder, der Weine verkostet, muss ein sehr gutes Gedächtnis haben. Ich habe ein beinahe fotografisches Gedächtnis, wenn es um Geruch und Geschmack geht.

Das ist alles?

Parker: Nein. Man muss sehr exakt und sehr gründlich sein. Ich fahre zwei- bis dreimal pro Jahr ins Bordeaux, probiere die besten Weine oft fünf- oder sechsmal, bevor sie auf Flaschen gezogen werden. Später verkoste ich blind. Ich bin zwei Wochen da und tauche förmlich in Wein ein, denke viel nach. Meine Frau wirft mir vor, ich würde selbst nachts von nichts anderem träumen als vom Wein.

Dennoch sind Sie mitunter gezwungen, Ihre Meinung zu ändern.

Parker: Ja. Einige Weine sind besser, als man gedacht hat. Natürlich hoffst du, dass nicht allzu viele Weine schlechter sind, als du angenommen hast. Aber ich mache das jetzt schon 25 Jahre und habe eine sehr gute Bilanz, was die Vorhersage der Superstars der einzelnen Jahrgänge angeht.

Welche Weine sind nach Ihrem Dafürhalten wirklich perfekt?

Parker: Der 1982er Mouton-Rothschild, der 1989er und 1990er Pétrus diese Weine sind perfekt. «Perfekt» ist allerdings eine sehr subjektive Kategorie. Ich habe ein bestimmtes Bild davon, was perfekt ist. Man spürt es am Bouquet des Weins, an seinem Aroma. Es ist tiefgründig, grossartig und voller Anziehungskraft.

Sie haben vor Jahren für sich Wein als das ideale Getränk zum Essen entdeckt. Aber bei Ihren Proben gibt es nichts ausser Wasser.

Parker: Meine Erfahrung sagt mir, dass die besten Weine die beste geschmackliche Balance haben und deshalb sehr komplex sind und den Charakter der Traube zu Tage fördern. Sie sind ausgeglichen und harmonisch. Diese Weine passen am besten zum Essen. Ich weiss, dass meine Kritiker sagen: «Parker liebt gehaltvolle Weine. Dabei passen doch subtile viel besser zum Essen.» Ich denke, das ist ein Mythos. Ausdrucksstarker Wein funktioniert, er wird sich immer behaupten.

Es heisst, Sie verkosten mehr als jeder Winzer und Kritiker-Kollege.

Parker: Ja. Aber es wird gerne übertrieben. Ich treffe immer wieder Leute, die mich fragen, wie kann man 200, 300 oder 400 Weine pro Tag probieren? Das habe ich noch nie getan. Keine Frage, ich verkoste mehr als jeder andere über 10000 Weine pro Jahr. An vielleicht zwölf Tagen im Jahr komme ich schon mal auf 100 Weine. Aber wir reden hier von einem Acht- oder Zehn-Stunden-Tag.

Und von einem enormen Stehvermögen.

Parker: Wenn man diszipliniert ist, viel Wasser trinkt und ausgeruht ist, sollte das möglich sein. Ich verstehe schliesslich auch nicht, wie Leute auf die Idee kommen, Marathonläufer zu werden. Aber ich zweifle nicht daran, dass sie es können.

Das heisst: Sie unterschreiben nicht den hinlänglich akzeptierten Erfahrungsgrundsatz je mehr man probiert, desto weniger schmeckt man?

Parker: Jeder hat eine Grenze, bis zu der er gehen kann. Für mich liegt die ideale Anzahl an Verkostungen pro Tag zwischen 60 und 80 Weinen, je nachdem, um welchen Tropfen es sich handelt. Gewöhnlich gehe ich nur dann darüber hinaus, wenn ich preiswerte Weine teste, die keine besondere Herausforderung an das Beurteilungsvermögen stellen. 80 Barolos oder 80 Châteauneuf-du-Papes am Tag allerdings stellen eine Herausforderung dar. Dabei wird man ziemlich müde.

Was halten Sie von der Preisentwicklung besonders bei den teuren Bordeaux-Weinen?

Parker: Ich glaube, wir haben fürs Erste im oberen Bereich ein Ende der Spirale erreicht. Dafür sorgt die allgemeine Unsicherheit auf den internationalen Finanzmärkten. Aber langfristig werden die Preise ständig weiter steigen. Das Problem ist schlichtweg: Im Bordeaux werden nur begrenzte Mengen produziert. Bei Mouton-Rothschild sind es in einem guten Jahr 20000 Kisten, bei Pétrus etwa 3000. Sie können nicht expandieren und werden noch in 200 Jahren nicht mehr herstellen. Aber läuft die Weltwirtschaft gut, dann haben mehr und mehr Menschen das Geld, um sich guten Wein zu leisten. In Japan. In China. In Südamerika. Da spielt der klassische Mechanismus von Angebot und Nachfrage.

Was trinken Sie ganz privat - Wein?

Parker: Oh, ja. Jeden Tag. Meine Frau ist in Strassburg zur Universität gegangen. Deshalb gibt es bei uns an Weissen häufig aus sentimentalen Gründen Riesling und Gewürztraminer aus dem Elsass. Bei den Roten sind es Rhone-Weine, Bordeaux und Kalifornier.

In welcher Preiskategorie bedienen Sie sich gewöhnlich?

Parker: Ich trinke nicht viele teure Weine. Am liebsten Châteauneuf-du-Pape und Gigondas.



Kritipunkt: Noch nie von Schweizer Weinen gehört

«Ich kaufe allen Wein und bemühe mich nicht um kostenlose Proben. Ich bezahle alle Reisekosten und übernachte in Hotels und akzeptiere keine Geschenke.» Er wollte niemandem einen Gefallen schulden und in seiner Publikationen einen «völlig unvoreingenommen, unzensierten und unabhängigen Standpunkt verbreiten». Mit dieser Haltung und seinem 100-Punkte-Bewertungssystem wurde aus dem «Wine Advocate» in 25 Jahren ein trockenes, aber erfolgreiches Fachblatt. Gleichzeitig wurde aus Robert Parker eine Autorität in Sachen Wein. Mehr noch: Der 57-jährige ehemalige Rechtsanwalt, der in einem Vorort von Baltimore lebt, ist besonders in Frankreich, wo für die namhaften Châteaux mit jedem Jahrgang Millionen auf dem Spiel stehen, geradezu gefürchtet. Es beruhigt sie auch nicht, dass er 1999 vom französischen Präsidenten Jacques Chirac zum Ritter der Ehrenlegion geschlagen wurde.

Der «Vinosaurier» («Forbes») repräsentiert den englischsprachigen Raum und vor allem den amerikanischen Markt, auf dem jedes Jahr Weine im Wert von mehr als 10 Mrd Dollar umgeschlagen werden. Seine Bewertungen beeinflussen die Kaufentscheidungen von Importeuren und Händlern ebenso wie den Ladenpreis. Als Faustregel gilt, dass ein Parker-Verdikt zwischen 90 und 95 Punkten das Preisniveau eines Weines um 30% nach oben drückt. In der Top-Kategorie von 95 bis 100 Punkten darf noch mehr aufgeschlagen werden.

Ein Teil seiner Bücher, darunter auch der alle zwei Jahre aktualisierte «Parker's Wein Guide», ist auf Deutsch erschienen (Collection Rolf Heyne). Vor dem Anspruch, den der Untertitel verbreitet («Die wichtigsten Weinregionen der Welt») sei jedoch gewarnt. Während Kreszenzen aus Österreich, Japan und Ungarn berücksichtigt sind, ist die Schweiz nicht einmal vertreten. Das gilt auch für Parkers Informationsservice im Internet, wo man neben den neuesten Infos für 99 Dollar im Jahr sein gesamtes Archiv durchstöbern kann (www.erobertparker.com).

Den enormen Wissensschatz beäugen viele Experten dennoch mit Skepsis. Irritierend ist, dass der Einzelgänger im Rahmen seiner Arbeit ein Pensum von jährlich über 10000 Verkostungen abspult. Wie kann Parkers Gaumen angesichts dieser betäubenden Flut überhaupt unbestechlich bleiben?

Aufgewachsen in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, setzt sich der Bob-Dylan-Liebhaber, der seinen riesigen Wissensvorrat auch in Buchform herausgibt, über Kritik allerdings nicht einfach hinweg. «Für jemanden, der so viel Macht und Einfluss hat, ist es normal, in Frage gestellt zu werden. Damit rechne ich ständig.» (jk)



Profil

Name: Robert M. Parker

Geboren: 23. Juli 1947

Beruf: Anwalt und Weinpublizist («The Wine Advocate»)

Wohnort: Baltimore