Die Werkzeugmaschinen aus der Schweiz geniessen Weltruf. Doch was wären sie ohne die entsprechende Bewegungstechnik? Fräs-, Bohr- oder Zerspannmaschine können noch so präzise arbeiten; wenn sie nicht exakt an die richtige Stelle geführt werden, heisst das Ausschuss. Werkzeuge müssen geführt werden. Dies das Spezialgebiet der Firma Schneeberger, an der kaum ein Werkzeugbauer vorbei kommt. Wie oft stand am Anfang des Markterfolges der Familienunternehmung eine einfache Idee: Für interne Anwendungen entwickelte die Apparatebauerin in den 40er Jahren ein lineares Kugellager, erinnert sich der heutige Firmenchef an die Pionierleistung seiner Vorgänger. Die Lineartechnik war geboren.
Begehrte Perle im Markt
Ende der 80er Jahre übernahm Hans-Martin Schneeberger die Leitung des Familienunternehmens. Noch ehe das Wort «Kernkompetenz» Hochkonjunktur erhielt, fokussierte er ganz auf die Lineartechnik und verkaufte alle anderen Aktivitäten. Heute gilt der Leittechniker aus Roggwil als begehrte Perle im Markt. «Wir werden permanent von Käufern angegangen», sagt Schneeberger. Sein Unternehmen ist einer der wenigen unabhängigen Anbieter in diesem hochspezialisierten Industriebereich. Die Konkurrenten dagegen sind zum Teil als Geschäftsbereiche grösserer Konzerne entstanden oder wurden später von solchen übernommen. Der gelernte Ingenieur und Betriebswirtschafter Schneeberger weiss jedoch um die Vorteile der Unabhängigkeit: «Sie gibt uns Freiheitsgrade, die wir aktiv nutzen, und stellt letztlich eine interessante Stärke dar.» Sicher erleichtert es auch den weltweiten Zugang zu den vielen neuen Erkenntnissen der Forschung. Dank enger Kontakte zu Instituten und Organisationen können Schneeberger und sein Team davon immer wieder das Nötige aufgreifen.
Hochpräzise Technik
«Mit unser Technologie können bis zu 50 Positionen pro Sekunde hochgenau angefahren werden.» Dabei liefert Schneeberger immer die Bewegung. Antriebsmotoren, Steuerungen und weitere Zusatzelemente werden zugekauft. Spezialität im sehr breiten Feld Lineartechnik sind Bewegungen mit einer Genauigkeit von 1/1000 mm (Makrometer) oder sogar einem 1/1000000 mm (Nanometer). «Ein menschliches Haar 30000 Mal spalten», illustriert Schneeberger die geforderte Präzision im Nanometerbereich.
Die hohen Anforderungen widerspiegeln sich auch in den Produktionsräumen. Weissbeschürzte Beschäftigte mit Häubchen erinnern eher an die staubfreien Bereichen in der Nahrungsmittelindustrie denn an Investitionsgüter. Kam die Lineartechnik früher vorwiegend in der Produktion zum Einsatz, dient sie heute zunehmend bei Mess- und Kontrollverfahren. Der Halbleiterausrüstungsbau, insbesondere Maschinen und Automaten für die Chipherstellung, bringt Schneeberger rund 45 Umsatzprozente. Ähnlich hoch liegt der Anteil der Kunden im anspruchsvollen Werkzeugmaschinenbau. Diesen Markt beliefert vorwiegend die deutsche Tochterfirma.
Potenzial für die Zukunft sieht Schneeberger vor allem in der Medizinaltechnik. «Ein vielversprechender Markt, der noch am Anfang der Entwicklung steht.» Wichtig für den Spezialisten ist dabei, dass in der Medizinaltechnik neben hoher Präzision immer mehr auch Geschwindigkeit und eine hohe Dynamik eine entscheidende Rolle spielen, so der 49-jährige Firmenleiter. Dazu sind auch in der Biotechnologie zunehmend Anwendungen für die Lineartechnik zu erschliessen.
Enorme Schwankungen
Medizinaltechnik oder ein anderes, etwas stabileres Marktsegment dürfte für die Leitung wie die Beschäftigten des Unternehmens Balsam sein. Die ausgeprägte Ausrichtung auf stark zyklische Branchen schlägt bei jedem Konjunkturwechsel durch: 43% Umsatzwachstum im Jahr 2000, 6% Einbusse im Folgejahr und sogar minus 24% 2002 blieben nicht ohne Auswirkungen auf die Beschäftigtenzahl. Ungewissheit bringt immer auch die Wechselkursentwicklung. So hat der schwache Dollar (40% Umsatzanteil, Euro 50%, Schweiz 10%) massiv auf die Erträge gedrückt. Zusätzlich belasteten Schneeberger hohe Wachstumsinvestitionen, die zuvor getätigt worden waren. «Das führte zu einer engeren Zusammenarbeit mit den Banken», sagt Schneeberger.
Nach einem leichten Wachstum 2003 rechnet Schneeberger dieses Jahr beim Umsatz mit einem Plus von 20%. Auch 2005 sehe gut aus danach sei alles offen. Diese Perspektive gelte sowohl für den Anlagebau wie bei den für Dritte gefertigten Komponenten. Die starken Schwankungen begründen denn auch die Zurückhaltung bei Schneeberger, eine genaue Umsatzzahl zu nennen. Nur so viel: «Mehr als 125 Mio Fr. werden es in diesem Jahr sein», so der Firmenchef.
Da hilft Schneeberger nur begrenzt, dass neue Anlagen in enger Zusammenarbeit mit den Kunden konzipiert, entwickelt, gebaut und zuletzt erprobt werden. Wenn den Abnehmern die Märkte wegbrechen, führt das auch beim «Lineartechniker» zu Einbussen. «Wir sind Umsetzer, die den Kunden Lösungen für ihre Ideen anbieten, die sie auf ihrer Agenda haben», sagt Schneeberger.
Ziel sei dabei immer, den Kunden wirtschaftliche Vorteile zu bringen. Dabei ist nach der Erfahrung von Schneeberger der Standort Schweiz trotz des technologisch guten Rufes aus Kostengründen oft auch ein Nachteil. Entsprechende Skepsis spürt Schneeberger gerade auch in den wachsenden asiatischen Märkten. «Umso mehr Überzeugungsarbeit braucht es, glaubhaft darzulegen, dass wir als Unternehmen richtig getaktet sind und die richtige Kostenstruktur haben», sagt Schneeberger. Entscheidend sei, der Konkurrenz immer eine Nasenlänge voraus zu sein. Bei der Firma Schneeberger habe sich alles immer um Bewegungen gedreht. Das soll so bleiben, so der Firmenchef getreu seinem Motto, «wer sich nicht bewegt, der wird bewegt».
Firmen-Profil
Name: Schneeberger Holding AG, St. Urbanstrasse 12, 4914 Roggwil BE
Gründung: 1927
Leitung/Besitz: Hans-Martin Schneeberger
Umsatz: 125 Mio Fr.
Beschäftigte: 450, davon 190 in der Schweiz
Produkte: Führungselemente, Baugruppen und Systeme für präzise und dynamische lineare Bewegungen
Kunden: Werkzeugmaschinen- und Halbleiterindustrie sowie andere High-Tech-Applikationen
Internet: www.schneeberger.com
Lineartechnik: Kugel als Basis
Alle kennen das Kugellager, wo ein Körper auf Kugeln gut gelagert um eine Achse rotiert. Die Lineartechnik überträgt diese alte Idee des Rotationslagers auf Schiebebewegungen. Statt mit Schmiermitteln den Reibungswiderstand zu vermindern, setzt die Lineartechnik ebenfalls Wälzlager ein, wie der Oberbegriff für diese beweglichen Lager lautet. (uw)