Schweizer Firmen profitieren von neuen Cyberbrillen von Apple, Microsoft und Meta

Der Gongschlag kam bei Minute 81. Über eine Stunde lang hatten am Montagabend adrette Menschen aus Cupertino leistungsstärkere Macs, neue Software und weitere irrsinnig aufregende neue Dienste mit Apfel-Logo ausgelobt. Dann pflanzte sich Tim Cook mit der ikonischen Ansage auf: «One more thing». Nach acht Jahren Forschungsarbeit zeigte der Apple-Chef in der weltweit verfolgten Präsentation das her, wonach alle gierten: die Cyberbrille mit Durchblick in die virtuelle Sphäre. Den Gesichtscomputer mit dem neuen Raumgefühl. Oder, in Apples Fall: die Hightech-Cyberbrille Vision Pro. Für virtuelle Inhalte in 2D, in 3D – dynamisch, durchdacht, digital. Das Hochleistungsgerät spielt alle Stücke, für Büro, Heimkino und Videofonie. Ob der Apple-Gesichtscomputer die Welt gleich zu Beginn im Sturm erobert, wird da und dort zwar bezweifelt. Stefan Metzger, CEO von Digitalswitzerland, ordnet den Apple-Vorstoss als «grossen Schritt in die Zukunft ein». Die Brillen-Vorstellung aus Cupertino sei nicht nur ein Gewinn für Apple selber, sondern ein «Boost für die ganze Kategorie». Was Metzger damit meint: Wenn der US-Konzern Apple auf das Thema setzt, werde das auch allen anderen Mixed-Reality-Brillenbauern helfen, mehr Akzeptanz für das neue Tool zu gewinnen. In der ersten Lesung ist Apples Vision Pro mit einem Preis von 3500 Dollar wohl noch zu teuer, mit 700 Gramm samt Akku etwas zu schwer und mit einer Laufzeit von zwei Stunden zu schnell ausgepowert. Aber Metzger traut dem Tool vieles zu. Prädikat des Tech-Experten zum Computer fürs Köpfchen: «Das übernächste grosse Ding.» An diesem übernächsten grossen Ding wird in der Schweiz emsig mitgearbeitet. Die Devise auf dem hiesigen Smart-Glasses-Werkplatz: Auf sie mit Gebrill! Viele Schweizer Firmen waren schon in der Vergangenheit als Zulieferer an der Konstruktion von iPads, Macs, Halbleitern und Sensoren für Smartphones und Computer beteiligt. Die meisten schweigen sich über ihre Lieferantenbeziehung aus, insbesondere weil Apple sie zu strenger Geheimhaltung zwingt. Von Zeit zu Zeit werden die Geräte auseinandergenommen, dann tritt die Herkunft der Komponenten zutage. Hin und wieder hält der eine oder andere stolze KMU-Patron nicht damit hinterm Berg, auch an einem kalifornischen «One more thing» wie dem iPhone oder dem Macbook Air mit beteiligt zu sein. Virtually Knowhow aus der Schweiz Das ist diesmal bei der Vision Pro von Apple nicht anders. «Darin steckt viel Technik drin, die wir vom iPhone und vom Mac kennen», sagt Valentin Holzwarth, Leiter Extended Reality beim Forschungs- und Innovationszentrum Rheintal (Rhysearch). Zum Beispiel der M2-Chip, Lidar-Sensoren, einzelne Kamera-Komponenten und sogenannte Inertial Measurement Units für die Positionierung und Navigation. Auf dieser Basis könne Apple bereits in der ersten Generation der Vision Pro ein ausgereiftes Produkt auf den Markt bringen, weil sich die Komponenten in den Produkten des bestehenden Sortiments bereits bewährt haben. Und viele dieser Komponenten kommen aus der Schweiz oder wurden hier mitentwickelt. Ohne Schweizer Kapital, Forschung, Soft- und Hardware wären VR-Produkte generell kaum denkbar. Da wäre zum Beispiel die in der Schweiz börsenkotierte Firma Ams Osram mit Sensoren, Lasertechnik der deutschen Trumpf mit ihrer Dependance in Grüsch GR, Kleber für Bauelemente der Ems Chemie mit Sitz in Domat/Ems GR, elektronische Augen und Ohren von Sensirion in Stäfa ZH, Infrarottechnik für die iPhone-Kamera der niederländischen ST Microelectronics mit einem Entwicklungs- und Produktionsstandort bei Genf. Und es gibt noch ein Dutzend mehr, die direkt oder indirekt Apples Fabriken beliefern. Schweizer Firmen beliefern aber nicht nur Apple. Auch für die Hololens von Microsoft und die Quest-Brille von Meta gibt es signifikante Beiträge Made in Switzerland. «Die Quest 3 wurde massgeblich vom Standort in Zürich mitentwickelt», bestätigt ein Mitarbeiter von Meta. ETH-Professor Marc Pollefeys entwickelt zusammen mit Microsoft ein Nachfolgeprodukt der Hololens, das Konkurrenzprodukt zu Apples Vision Pro. Und mit vereinten Kräften im Bereich der Software-Entwicklung treten die Schweizer Teams von Microsoft und Meta gegen Apples Vision an, weil Microsoft im vergangenen Tech-Winter einen Teil seines Mixed-Reality-Teams entlassen hat. Gemeinsam ist man stärker. Die Mixed-Reality-Szene – ein Mix aus Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) – ist hierzulande mittlerweile so ausgeprägt, dass nicht nur Produkte mit Schweizer Stempel, sondern auch neue Unternehmen und Forschungsabteilungen an den technischen Hochschulen entstanden sind, welche zum Angriff auf die US-Big-Techs blasen. So erforscht die EPFL anhand von Origami-Figuren, wie eine 2D-Welt in eine 3D-Welt übersetzt werden kann und wie dafür die Sensoren an Datenbrillen am besten platziert werden. Rhysearch beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Entwicklung von VR-Systemen. Es geht dabei um VR-Anwendungen für industrielle Produktentwicklungsprozesse bis hin zur digitalen Fabrik. Lebhaftes VR-Ökosystem In diesem Bereich ist die Schweiz sogar federführend. Es gibt ein lebhaftes Ökosystem mit Startups, die eigene Brillen entwickeln, spezialisierte Softwareanbieter und VR-Spitzenforschung an den technischen Hochschulen. Die Berner Firma Almer Technologies baut eine selbst entwickelte Datenbrille inklusive Software komplett in der Schweiz zusammen, welche Aussendienstmitarbeitern mit einer kopfbandmontierten Kamera bei der Maschinenwartung hilft. Inspacion in Schlieren ZH macht Gebäude begehbar, die sich noch in der Planung befinden – für Baufirmen, Architekten und Raumplaner. Die Schlierener Atlas VR – nach mehreren Jahren der Forschung an der ETH Zürich und der Zusammenarbeit mit den Unternehmen Hilti und Geberit – programmiert massgeschneiderte VR-Trainings für Maschinenarbeiter. In Meilen ZH arbeitet das Startup Ostloong an einer Mixed-Reality Skibrille und an der «dünnsten und leichtesten AR-Brille der Welt». Stärken und Schwächen Die technischen Herausforderungen sind für alle Hersteller gleich: «Den praktikabelsten Use Case mit VR-Hardware hat jener Anbieter, der am ehesten die Herausforderungen im Bereich Tragekomfort, Auflösung und Batterieleistung löst», sagt Atlas-VR-Mitgründer Holzwarth. Jede der Brillen hat so ihre Stärken und Schwächen: Die Apple-Brille etwa schafft nur zwei Stunden und braucht einen externen Akku. Metas Quest braucht Handsteuerungsgeräte, die Vision Pro von Apple kommt mit Fingergesten und Augenbewegungen aus. Fingergesten kann auch die Hololens, dafür wiegt sie klar mehr als ein halbes Kilogramm. Was die Vision Pro derzeit am besten kann, ist rechnen: «Mit dem im Mac-erprobten M2-Chip ist die Apple Vision Pro um ein Vielfaches leistungsfähiger als alle Produkte der Konkurrenz», sagt VR-Entwickler Holzwarth. Hersteller müssen nachrüsten Das ist eine der grössten Limitierungen heutiger VR-Brillen: die Grafik- und Rechenleistung. Hier müssen sowohl die Grossen wie Microsoft und Meta als auch die vielen kleinen Schweizer Anbieter nachlegen, die zum Teil noch mit Chips und Betriebssystemen älterer Generationen arbeiten. Wer jetzt den Vorsprung zu Apple aufholen will, muss nachrüsten. Der grösste Unterschied aber besteht in den Anwendungsfällen für die Brillen. Wer die meisten Inhalte schafft, die für ein breites Publikum relevant und zugänglich sind, der wird dieses neue virtuelle Computer-Zeitalter für sich erobern. Derzeit teilt sich der Markt in drei Bereiche auf: den Consumer-Bereich, die Unternehmenswelt und die Industrie. Konsumenten können je nach Brillenhersteller virtuell shoppen, Filme schauen sowie Naturparks und Museen besuchen. Meta setzt stark auf Entertainment, auf Videospiele und das Metaverse. Unternehmen nutzen die Meta-Brille auch häufig im HR-Bereich für Mitarbeiterschulungen. Industriebetriebe und Fabriken setzen dagegen auf Schweizer Technologie in den Cyberbrillen für die virtuelle Erprobung und Reparatur von Maschinen sowie das Testen neuer Produktionslinien. Microsofts Hololens ist auch sehr gut darin. Tetris an der Kachelwand One last thing: Werden wir also bald alle schon smart bebrillt auf den Strassen unterwegs sein, uns in der S-Bahn ein privates Cinemascope-Erlebnis gönnen und am stillen Örtchen per Fingergeste eine Partie Tetris an die Kachelwand projizieren? So schnell wird es nicht gehen, glaubt Digitalswitzerland-Chef Stefan Metzger: «In einer ersten Phase wird das neue Tool eher für die Geschäftswelt attraktiv sein. Also für B2B-Anwendungen in Feldern wie Medtech, Bildung oder Service-Technik.» Aber natürlich, sagt der Tech-Experte, sei Apple in erster Linie ein konsumentenorientiertes Unternehmen; also werden auch viele Anwendungen für Privatkunden hinzukommen.» Smarte Brillen werden vielleicht nicht das nächste grosse Ding. Aber womöglich das übernächste. Der smarte Brillen-Werkplatz Schweiz scheint für beides bereit.

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So viel Schweiz-Power steckt in Apples Datenbrille