Schweizer Vleisch – was sich neben Nestlé und Beyond Meat tut

Die vegane Welle rollt. Immer mehr Konsumenten und verzichten zumindest ab und zu auf tierische Produkte. 2020 setzte der Schweizer Detailhandel 117 Millionen Franken mit Fleischersatzprodukten um. Das entspricht einem Anteil von 2,3 Prozent am Fleischmarkt von 5,43 Milliarden Franken. Tofu-Geschnetzeltes, Erbsen-Burger und pflanzlicher Thunfisch sind zwar noch immer ein Minderheitenprogramm. Aber die Wachstumsraten sind eindrücklich. Sie lagen seit 2016 bei durchschnittlich 18,4 Prozent jährlich. Das zeigt ein Bericht des Bundesamtes für Landwirtschaft vom Mai, in dem der Schweizer Proteinmarkt erstmals quantitativ untersucht wurde. Die Zahl der Produkte hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt. Im Durchschnitt waren die Fleischersatzprodukte gut fünf Prozent günstiger als ihre tierischen Pendents; mit Ausnahme des pflanzlichen Burgers, der 42 Prozent teurer war als der Fleischburger. Und auch beim Geschnetzelten lagen die Preise für die pflanzlichen Alternativen 16 Prozent höher. Am meisten boomen sogenannte Meat-Analog-Produkte; also Produkte, die wie Fleisch aussehen und munden sollen. Sie machen 60 Prozent des Marktes aus. Besonders gefragt sind die pflanzlichen Burger. Jeder sechste im Schweizer Detailhandel abgesetzte Burger ist inzwischen nicht mehr tierisch, sondern pflanzlich. Gross im Geschäft mit den pflanzlichen Fleischalternativen ist Nestlé. Der Nahrungsmittelkonzern wirft im Monatstakt Neuigkeiten auf den Markt. Auch der kalifornische Senkrechtstarter Beyond Meat sorgt für eine stetig frische Brise im Fleischregal. Doch im Geschäft mit den pflanzlichen Proteinalternativen mischen auch Dutzende kleinere und grössere Schweizer Anbieter mit. Wir haben mit ihnen gesprochen und sie dabei gefragt, was sie davon halten, dass nun auch die Big Animals auf den Vleisch-Zug aufspringen. ► Lachs aus Rübli von Wild Foods Karotten, Sonnenblumenöl, Salz: Juval Kürzi von Wild Foods hat sich bei den Zutaten für seinen veganen Lachs auf ein Maximum beschränkt. Alles andere ist Processing. Zum Räuchern der Rübli verwenden die jungen Wilden aus dem Berner Oberland Fichtenspäne. «Den Rest verraten wir nicht.» Dass es so weit kam, dass der gelernte Grafiker nun als Unternehmer mit einem Lachs ohne Fisch durchstartet, hat mit seiner Frau zu tun. Sie sei es gewesen, die auf die Idee gekommen sei, zu Weihnachten Lachs aus Rüebli zu machen. Und es hat mit Corona zu tun, als er von einem Tag auf den anderen keine Arbeit mehr hatte. «Ich habe als Grafiker vor allem für Eventveranstalter gearbeitet, und bei denen war während Monaten überhaupt nichts mehr los», erzählt er. Zeit für Marktanlaysen, Machbarkeitsstudien und Marketingpläne blieb in dieser Situation keine. Brauchte es auch nicht, denn der vegane Lachs war von Anfang an ein Renner. Die geschmackliche Ähnlichkeit mit «richtigem» Lachs ist verblüffend. Was die Migros veranlasste, subito auf den fahrenden Zug aufzuspringen und für kurze Zeit selbst einen «falschen» Lachs auf den Markt zu werfen. Inzwischen beschäftigen Juval Kürzi und sein Compagnon Oliver Kay Illi 13 Mitarbeitende; produziert wird, grösstenteils mit alten, aber durchaus noch funktionstüchtigen Maschinen, in einem stillgelegten Hotel in Frutigen. Der Start während Corona erwies sich als Glücksfall. «Die Menschen waren zu Hause, die Bereitschaft, kulinarisch zu experimentieren, war gross», sagt der 33-jährige Jungunternehmer. Im Januar wird Wild Foods in der Region Thun eine neue Manufaktur in Betrieb nehmen. «Dann werden wir richtig Gas geben können.» Die neue Produktionsanlage haben sie selbst finanziert, das Unternehmen gehört noch immer ganz den beiden Gründern. Umsatzzahlen gibt auch Wild Foods keine bekannt, dafür gibt es auch hier eine andere Mengenangabe: «Im Moment verarbeiten wir rund 2 Tonnen Rüebli pro Woche», sagt Juval Kürzi. Die Karotten kommen aus dem Seeland, der Schweizer Gemüsekammer, und sind selbstverständlich Bio. Überlegungen, mit Karotten zu arbeiten, die sonst im Abfall landen, gibt es. (Bei den Karotten schafft es nur jede zweite vom Acker ins Ladenregal, hat eine Masterstudentin am Forschungsinstitut für biologischen Landbau herausgefunden.) «Waste vermeiden ist ein Ziel», sagt der Fake-Fisch-Pionier. «Wir sind nicht picky, wenn es um unsere Karotten geht, wir verarbeiten auch solche, die sonst nicht verkauft werden können». Allerdings liessen sich bei der Qualität nicht beliebig Abstriche machen. Wild Foods ist sehr stark in der Gastronomie. Die Berner Oberländer beliefern Bianchi, einen der grössten Fischhändler der Schweiz, aber auch Grossbäckereien, die Sandwiches herstellen. Mit einer Tankstellenkette gibt es ein Projekt für einen veganen Bagel Im Retail sind die Produkte bei Coop und Al Natura gelistet. «Wir wollen überall da präsent sein, wo Lachs verwendet wird», sagt Yuval Kürzi. Vorerst gilt das nur für die Schweiz – der Markteintritt in Deutschland und in Österreich soll noch vor Ende Jahr erfolgen. Dass nun auch Big-Food-Protagonisten wie Nestlé dick ins Geschäft mit den Proteinalternativen eingestiegen sind, findet Kürzi gut: «Das schafft Aufmerksamkeit für vegane Produkte; davon profitieren alle, die in diesem Geschäft tätig sind.» Als Konkurrent lässt aber lässt ihn Nestlé cool. Auch wenn der Milliardenkonzern mit Werbefranken nur so um sich wirft. «Wir müssen keine Kompromisse machen, unsere Produkte sind regional und möglichst naturbelassen», sagt er. Und genau das gefalle der Community. ► Käse aus Cashewnüssen von New Roots An einem veganen Fondue haben sich schon einige versucht. Nun wagt sich auch New Roots ans Heiligtum der helvetischen Kulinarik. Das Unternehmen von Freddy Hunziker und Alice Fauconnet agiert auf dem wachsenden Markt der vor allem bei Frauen beliebten pflanzlichen Käsealternativen. Produziert wird mit Cashewnüssen, die natürlichen Zucker, viel Fett und Eiweisse enthalten. Die Nüsse sind Bio, sie aus Vietnam und Fair-Trade-Produktion aus Benin und Burkina Faso. Ein Life-Cycle-Assessment zeigte, dass die Cashewnüsse trotz des langen Transports sehr nachhaltig sind. Das Unternehmen aus dem bernischen Oberdiessbach bezeichnet sich als vegane Käserei. Wobei die Milch, anders als in der «tierischen» Käserei, bei New Roots zuerst hergestellt werden muss, bevor sie verarbeitet werden kann. «Die Nussmilch stellen wir jeden morgen frisch her», sagt Mitgründer Freddy Hunziker. Auch New Roots ist sehr schnell in den Export gegangen. Das erst fünfjährige Unternehmen ist bereits in Grossbritannien, Frankreich, Belgien und Deutschland präsent. In Deutschland versuchen die Berner Oberländer gerade, mit einer grossen Biokette ins Geschäft zu kommen, was wegen des grossen Preisdruckes nicht ganz einfach sei. «Wir sind in den vergangenen Jahren jeweils um 150 Prozent gewachsen», sagt Freddy Hunziker. Im vergangenen Jahr hat New Roots in Oberdiessbach BE eine neue Produktionsanlage in Betrieb genommen. Nun liegt die Kapazität bei 40’000 Stück pro Woche. Hunziker lebt seit einem schweren Sportunfall – er fuhr semiprofessionell Mountainbike-Rennen – vegan. Die Umstellung auf eine Ernährung ganz ohne tierische Produkte habe ihm damals sehr geholfen, sich zu erholen, sagt er. Als Unternehmer aber will er sich nicht auf die vergleichsweise kleine Gruppe der Veganerinnen und Veganer ausrichten, sondern die Flexitarierinnen und Flexitarier erreichen; also all diejenigen, die nur noch von Zeit zu Zeit tierisches Fleisch essen möchten und die deshalb auf der Suche nach Alternativen sind. «Die Kuhmilchproduktion ist nicht nachhaltig und unethisch», sagt Hunziker. Das könne sich nur ändern, wenn es gelinge, möglichst viele mit den Alternativen zu erreichen. Die Produkte von New Roots sind im Biofachhandel, bei Coop und Migros sowie online erhältlich. Wobei das Online-Geschäft nur 1 Prozent des Umsatzes ausmache, sagt Hunziker. Trotzdem sei der Kanal wichtig, weil er es möglich mache, direkt mit den Kunden und Kundinnen in Kontakt zu kommen. Auch Freddy Hunziker und Alice Fauconnet hätten ihr Unternehmen schon einige Male verkaufen können, wenn sie das denn gewollt hätten. Dass nun auch Konzerne wie Nestlé auf pflanzliche Fleischalternativen setzen, begrüsst er. Denn: «Das führt dazu, dass mehr Konsumenten Zugang zu pflanzlichen Proteinalternativen haben. Zudem fördert es die Akzeptanz der Produkte und das ist eine gute Sache». Bauchschmerzen macht ihm aber, wenn Anbieter mit qualitativ oder geschmacklich schlechten Produkten auf der veganen Welle zu reiten versuchen. ► Tofu von Hand von Engel Tofu Absatzprobleme? Schwierigkeiten, seine Produkte an den Mann und an die Frau zu bringen? Kennt man so nicht bei Engel Tofu. Im Gegenteil: In den vergangenen Jahren sei bei grossen Bestellungen eher die Frage gewesen, ob die Kapazitäten vorhanden seien, sagt Noemi Kündig, Mitglied der Geschäftsleitung von Engel Tofu und unter anderem verantwortlich fürs Marketing. Wobei sie das mit der Geschäftsleitung nicht allzu hoch gehängt haben möchte. Engel Tofu ist eine Genossenschaft, bedeutende Entscheidungen werden im Kollektiv getroffen. Einen Chef gibt es nicht, nur eine vierköpfige Geschäftsleitung, die sich die wichtigsten Aufgaben teilt. Der USP von Engel – um einen Begriff aus der nicht genossenschaftlichen Welt zu gebrauchen – ist, dass der Tofu von Engel von Hand hergestellt wird. «Unser Ziel ist, möglichst naturbelassene Nahrungsmittel zu produzieren; der Verarbeitungsgrad soll möglichst tief sein», sagt Naomi Kündig. Der Tofu von Engel gilt als besonders zart und weich, und er hat einen leicht bohnigen Geschmack. Das kommt daher, dass man auf dem Mutschellen nach japanischem Vorbild, also besonders schonend, produziert. Zuerst wird das Sojabohnenpüree sorgfältig, also ohne Druck, erhitzt, die daraus entstandene Sojamilch wird mit Nigari, einem Bestandteil von Meersalz, versetzt. Darauf scheidet sich die Sojamilch in Eiweiss und Molke. Anschliessend wird die Molke langsam von Hand abgeschöpft, die Eiweissflocken werden in Formen gegeben und sachte gepresst. Engel Tofu sei die einzige Tofurei in der Deutschschweiz, die das Sojabohnenpüree nicht unter Druck, sondern im offenen Kochtopf erhitze, sagt Noemi Kündig. Umsatzzahlen gibt es auch bei den Genossenschaftern keine, dafür eine Angabe zur Menge: «Wir produzieren rund eine Tonne Tofu pro Woche», sagt sie. Zwei Drittel der Produktion geht in die Gastronomie. Zu den festen Abnehmern gehört das Tibits, eine vegane und vegetarische Restaurantkette mit Ablegern in Bern, Basel, Zürich und Winterthur. Doch auch Edelgastronomen kommen immer häufiger auf den Tofu-Geschmack. Selbst das Grand Hotel Dolder soll schon einmal bei den Genossenschaftern in Widen bestellt haben. Zudem ist der Tofu der Genossenschaft Tofurei Engel in Bioläden, darunter auch Al Natura, und online erhältlich. Der Online-Vertrieb sei nicht unwichtig, sagt Noemi Kündig. «Das gibt uns die Möglichkeit, direkt mit unseren Kundinnen und Kunden in Kontakt zu treten.» Die Genossenschaft zählt 18 Mitglieder, wobei alle in Teilzeit arbeiten. Und was ändert sich für Engel Tofu, wenn nun neue, ungleich mächtigere Spieler wie Nestlé den Markt mit pflanzlichen Proteinalternativen fluten? «Wir setzen auf handwerklich hergestellte Produkte, und das interessiert die grosse Unternehmen weniger.» Und: «Wir sind in den vergangenen Jahren sehr stark gewachsen und eigentlich ganz zufrieden mit unserer Grösse.» ► Tofu mit Tradition von Walter Dänzer Walter Dänzer hat schon auf Vegan gemacht, da waren die jungen Wilden von Planted und Co noch nicht einmal geboren. Der heute 73-Jährige ist ein Tofu-Pionier der ersten Stunde. Und das, was man einen Aussteiger nannte. In den siebziger Jahren zog er sich, zuerst mit Gleichgesinnten, dann allein, auf eine verlassene Alp im Onsernonetal im Tessin zurück – ein Klassiker für Umweltbewegte von damals. Die Fridays-for-Future-Jugend von heute geht auf die Strasse, damals übte man das Leben abseits von Zivilisation und Konsumgesellschaft, ohne Strom und ohne fliessend Wasser. Und man meditierte, etwa, wie Dänzer, unter Anleitung des indischen Gurus Sri Chinmoy im Dag-Hammarskjöld-Auditorium der Vereinten Nationen in New York für den Frieden (die vom damaligen UNO-Generalsekretär Sithu U Thant, einem birmesischen Buddhisten, initiierten Friedensmeditationen waren während Jahrzehnten eine Institution). Doch dann entschied sich Walter Dänzer gegen ein Leben als Eremit. 1980 gründete der damals 33-Jährige Soyana. Die ersten Soja-Produkte kamen aus den USA. Weit und breit der Einzige sei er damals gewesen, sagt er. Entsprechend gross war der Bedarf an Überzeugungsarbeit. Dänzer geht auf Tour in Bioläden und bietet Bolognese mit Soja an. Ob das Katzenfutter sei, hätten ihn die Hausfrauen gefragt. Und ob das ihr Mann wohl essen werde, erinnert er sich. Ein Jahr später betreibt der ehemalige Aussteiger in einer alten Migros-Bäckerei im Zürcher Seefeld seine eigene Tofurei, wie die Tofu-Produktionsstätten in Anlehnunge an die Käserei genannt werden. Der Run ist gewaltig. Schon bald ist Dänzer mit seinen Produkten, pardon: Lebensmitteln, wie er sie bezeichnet, flächendeckend in der Schweizer Bioläden präsent. Heute ist Soyana bei Coop und beim deutschen Biohändler Al Natura gelistet. Mit der Migros habe er schlechte Erfahrungen gemacht, die komme ihm deshalb nicht ins Haus. Umsatzzahlen gibt Dänzer, Chef von fünfzig Angestellten und noch immer alleiniger Inhaber von Soyana, keine bekannt. Klar ist: Mit einem Sortiment von mittlerweile 140 Produkten gehört der Sojapionier zu den grösseren Playern im Markt der pflanzlichen Proteinalternativen in der Schweiz. Soyana macht nicht nur Tofu, sondern auch Gemüseburger, Wurst- und Fleischwaren auf Pflanzenbasis und Mozzarella aus Cashewnüssen sowie Schlagrahm aus Mandeln. Über 300 Zutaten werden verarbeitet, alle in Bioqualität. «Wir haben eine ganze neue Welt von veganen Biolebensmitteln kreiert», sagt Dänzer. Das Unternehmen macht rund die Hälfte seines Umsatzes in der Schweiz, die andere Hälfte steuern die Nachbarländer Deutschland, Frankreich und Österreich bei. Immer wichtiger wird die Gastronomie,. Zudem hat Dänzer 2013 im Zürcher Kreis 4 eines der ersten veganen Restaurants eröffnet. Vor fünf Jahren hat er in Schlieren eine neue Produktionsanlage in Betrieb genommen. Angebote, sein Unternehmen zu verkaufen, hat er schon mehrmals bekommen. Doch das grosse Geld interessiert ihn nicht, ebenso wie Marktanteile und Margen. «Unser Ziel ist es, den Konsumenten und Konsumentinnen gute Lebensmittel zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung zu stellen und dabei stetig zu wachsen», sagt der Soja-Pionier, der sich mit Joggen und Meditieren fit hält. Ein Unternehmen sei wie ein Baum: Jedes Jahr werde es etwas grösser. Walter Dänzer mag heute ein erfolgreicher Geschäftsmann sein, doch der Aussteiger von einst hat bei dem, was er tut, noch immer ein kräftiges Wörtchen mitzureden. ► Kombucha-Tofu von Lord und Lady Tofu Deutschland ist das Land der Fleischesserinnen und Fleischesser. In kaum einem anderen Land gehören Wurst, Schweinemagen und Koteletts so selbstverständlich und in so grossen Mengen zum täglichen Speiseplan wie bei unserem nördlichen Nachbarn. Doch Deutschland ist auch die vegane Hochburg Europas. Besonders krass zeigt sich das in Berlin. Aber auch an den Rändern tut sich einiges in Sachen pflanzliche Proteinalternativen. Zum Beispiel ganz im Süden, in Lörrach, gleich hinter der Schweizer Grenze bei Basel. Seit 26 Jahren macht das Ehepaar Freddy und Dörte Ulrich hier Tofu; er im Tofutopf rührend in der Produktion, sie im Büro. In ihrem Unternehmen Lord of Tofu arbeiten sie mit Kombucha, einem Getränk, das entsteht, wenn man Tee fermentiert. Und den man in der Tofurei ennet der Schweizer Grenze natürlich nicht fertig kauft, sondern selbst herstellt. «Das gibt unserem Tofu einen ganz besonderen Geschmack», sagt Mitinhaberin Dörte Ulrich. Das Unternehmen hat zwanzig Produkte im Angebot. Am bestem laufen die Fleischalternativen, doch auch der falsche Fisch zieht sehr gut. Und für die jungen Frauen, die gerne Käsealternativen kaufen, gibt es die Linie «Lady of Tofu». Mit einer Produktionsmenge von 1 Tonne am Tag spielt das Unternehmerehepaar in der unteren bis mittleren Gewichtsklasse. «Wir sind eine Marke für Bioläden und Supermärkte», sagt Dörte Ulrich. Angefangen haben die beiden auf dem Lörracher Wochenmarkt. Inzwischen sind ihre Produkte unter anderem in den Filialen von Hieber präsent, einer Topdestination für Schweizer Einkaufspilgerinnen und -pilger in der deutsch-schweizerischen Grenzregion. Und präsent sind die Produkte hier nicht über die Edeka, der mächtigen Einkaufsgenossenschaft des deutschen Detailhandels, sondern durch Hieber direkt. Das hat den Vorteil, dass keine Gebühren fürs Listing anfallen. Lord of Tofu beliefert von Lörrach aus Bioläden, Ketten und Supermärkte in Deutschland und Frankreich. In der Schweiz sind die Produkte in Bioläden und bei Al Natura gelistet. Pläne, mit anderen Ausgangsprodukten zu arbeiten, gibt es keine, «Die Sojabohne ist einfach toll, sie ist extrem reichhaltig und enthält alle Aminosäuren, die der Körper braucht.» Den Aufschlag der grossen Nahrungsmittelkonzerne im Geschäft mit den pflanzlichen Proteinalternativen sieht sie mit gemischten Gefühlen. «Wir können keine Regalpreise zahlen in den Supermärkten», sagt sie. Das sei ein Nachteil gegenüber grossen Anbietern wie der Rüdenwalder Mühle – ein grosser Fleischproduzent aus Niedersachsen, der seit einiger Zeit stark auf pflanzliche Fleischalternativen setzt – oder Nestlé. Da könne es schon mal heissen: Jetzt haben wir keinen Platz mehr. Zudem spürt Lord of Tofu den Preisdruck, auch wenn etwa die Produkte von Garden Gourmet, der Nestlé-Marke, nicht günstiger seien. «Im Moment kämpfen wir etwas mit den Margen.» Trotzdem ist auch Dörte Ulrich der Meinung: «Konkurrenz belebt das Geschäft.» ► Vleisch von Planted Foods Planted Foods ist der Senkrechtstarter im Geschäft mit den pflanzlichen Proteinalternativen. Der ETH-Spinoff ist zwei Jahre nach seiner Gründung bereits in fünf Märkten präsent: Schweiz, Deutschland, Italien, Österreich Frankreich. Als Türöffner figurieren bekannte Gastronomen wie die Berliner Kochlegende Tim Raue. «Wir versuchen als Erstes, die besten Chefs von unseren Produkten zu überzeugen», sagt Mitgründer Pascal Bieri. Das Ziel: Toprestaurants, die als Leuchttürme figurieren, um die Produkte bekannt zu machen. Parallel dazu läuft der Online-Shop, damit diejenigen, die im Restaurant auf den Geschmack gekommen oder sonst auf die pflanzlichen Fleischalternativen aus der Schweiz aufmerksam geworden sind, die Produkte auch bestellen können. Planted Foods ist in dieser Zusammenstellung am ehesten ein Startup im klassischen Sinn: Investoren, eine potenziell disruptive Technologie. Das 2019 von Bieri, Christoph Jenny und den Lebensmittelingenieuren Lukas Böni und Eric Stirnemann gegründete Unternehmen hat 49 Millionen Franken aufgenommen; die letzte Finanzierungsrunde datiert vom August und ging über 19 Millionen Franken. Bei den Zutaten gilt auch hier: Mehr ist weniger. Aktuell produziert Planted 5 bis 6 Tonnen pflanzliche Fleischalternativen pro Tag. Ab Januar werden es in Kemptthal, wo das Unternehmen in der ehemaligen Bouillonfabrik von Maggi Unterschlupf gefunden hat, doppelt so viele sein. Das pflanzliche «Güggeli» und das «Pork» aus dem Zürcher Oberland bestehen lediglich aus vier Komponenten: Erbsenprotein, Erbsenfasern, Rapsöl und Wasser. Der Rest ist Verarbeitung beziehungsweise die Kunst, möglichst nahe an die Faserung des tierischen Fleisches heranzukommen. «Wir verwenden sehr viel Zeit und Energie auf die Struktur, das Mundgefühl und die Geschmacksentwicklung unserer Produkte», sagt der Jungunternehmer. Denn: «Uns ist klar, dass wir bei den pflanzlichen Proteinalternativen noch ganz am Anfang stehen. Auch die industrielle tierische Fleischproduktion sei nicht von heute auf morgen entstanden. «Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.» Planted Foods beschäftigt 115 Mitarbeitende, vier Fünftel sind in der Schweiz stationiert, ein gutes Dutzend in der europäischen Veganismushauptstadt Berlin. In Deutschland ist das Unternehmen bei 1500 Filialen der Edeka gelistet, einer Einkaufsgesellschaft des deutschen Detailhandels – was «extrem spannend» wegen des notorischen Preisdrucks im deutschen Einzelhandel, aber auch eine ziemliche Herausforderung sei, wie Bieri sagt. Bio ist bei Planted noch nicht Standard, steht aber auf der To-do-Liste. Ziel ist, die Konsumenten und Konsumentinnen überall dort abzuholen, wo sie Fleischprodukte konsumieren: zu Hause, im Restaurant, in der Kantine. In ein paar Wochen wollen die Jungunternehmer aus dem Zürcher Oberland ihre Produkte auf den Wärmetheken in Bahnhöfen und in Autobahnraststätten ausrollen. Die Konkurrenz aus Vevey oder Kalifornien, Heimat von Beyond Meat, einem mit 6,8 Milliarden Dollar bewerteten Unternehmen, sieht man im Kemptthal als einen «Friendly Competitor». Dass ein Unternehmen wie Nestlé pflanzliche Fleischalternativen anbiete, helfe der Bewegung – und das sei positiv, sagt Bieri. Kritischer beurteilt er diejenigen Mitbewerber, die mit unausgereiften oder qualitativ schlechten Produkten auf den Markt kommen. Denn das berge die Gefahr, dass sich Erstkonsumenten und Erstkonsumentinnen abschrecken liessen, und das sei schade.