Ärgerlich für jeden Schokoladenliebhaber: Bleiben die braunen Leckereien zu lange stehen, beschlägt die vormals schimmernde Oberfläche grau. «Fettreif» heisst das Übel im Fachjargon - was nicht nur unappetitlich klingt, sondern auch so schmeckt. Nämlich fettig auf der Zunge und wächsern im Biss.

Fettreif rührt von den Ölen und Fetten her, die sich bei langer Lagerung aus dem Innern der Schokoladenmasse nach aussen arbeiten, so wie durch die Maschen eines Netzes. Würden nun die Maschen zugezogen, blieben die Fette dort, wo sie hingehören. Das bedeutet in der Praxis: Die Kristallgestalt der fertigen Schokolade verdichtet derart, dass es kein Durchkommen zur Oberfläche mehr gibt. Soweit die Problemstellung.

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Neues Verfahren für bessere Dichte und Stabilität

Eine Lösung gefunden hat das von Professor Erich Windhab geführte Forscherteam am Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften der ETH: Anfang der 90er Jahre schuf es die Grundlagen für ein neues Verfahren zur Impfvorkristallisation von Schokoladen- und Fettmassen, das den Endprodukten eine bisher unerreichte Dichte und Stabilität verleiht. Für den Herstellungsprozess bringt das entscheidende Vorteile: Die Masse kann zu wesentlich höheren Temperaturen verarbeitet werden und härtet bis zu 30% schneller aus. Die Lagerfähigkeit erhöht sich um 50%. Und insgesamt können bis zu 40% an Energie eingespart werden. Das musste die Industrie interessieren.

Marcos Bobzin, Produktmanager für Kakao und Schokolade beim Uzwiler Technologiekonzern Bühler, streicht sich das Haar aus der Stirn. Seit Tagen arbeitet er am Limit: Es gilt, die zweite Generation des aus dem ETH-Projekt hervorgegangenen Impfvorkristallisators an der Internationalen Messe für Verpackungsmaschinen, Packmittel und Süsswarenmaschinen (Interpack) in Düsseldorf zu präsentieren. Ist Bobzin erfolgreich, will Bühler jährlich bis zu 20 Einheiten des neuen «SeedMaster Kompakt» verkaufen. Rund 30 Stück des Vorgängermodells versehen weltweit ihren Dienst. 1998 hat die Firma den ersten Prototypen für den «Arbeitskreis» um Windhab gebaut. Dieser setzte sich anfänglich aus acht Schweizer Firmen aus den Bereichen Schokoladenproduktion, Apparatebau und Zutatenherstellung zusammen.

Die Ingenieurforschung greift mit der Realität

In Windhabs Institut geht es geschäftig zu und her: Die Prüfungen sind vorbei, das neue Semester hat begonnen. Doch die Geschäftigkeit beschränkt sich nicht nur auf den dritten Stock des Gebäudes an der Schmelzbergstrasse 9. «Wir betreiben Ingenieurforschung», sagt Windhab. «Diese muss auch in der Realität greifen». Genau das ist die Aufgabe des Arbeitskreises: Seit 1993 werden halbjährlich Schweizer Firmen eingeladen, um zu ermitteln, wo praktischer Bedarf an Forschungsprojekten besteht.

«Wir wollen Forschung und Industrie auf Du und Du kommen lassen, das braucht auch viel Übersetzungsarbeit», sagt Windhab. Im Fall des Vorkristallisationsverfahrens hat sich diese Arbeit gelohnt; 1994 wurde das Projekt aus der Taufe gehoben und der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) in Bern vorgestellt. Mit Erfolg. Das KTI übernahm ein Drittel der Kosten des Projekts, den Rest steuerten die vier festen Industriepartner bei: Camille Bloch, Maestrani, Max Felchlin und Nestlé Schokoladenproduzenten allesamt.

Und diese Partner wollen Ergebnisse sehen. «Die Durchführung der Tests war für uns mit grossem Aufwand verbunden. So dauerte es zwei Wochen, die Laboranlage der ETH in unsere Produktionsanlage einzubauen», berichtet Jürg Schnurrenberger, Technischer Leiter bei Maestrani. Dort wurde auch der erste Prototyp getestet, diesmal von Bühler hergestellt.

Nach zwei Wochen, sagt Windhab, seien jedoch selbst die «alten Schokoladenhasen» von der Produktion begeistert gewesen. Schnurrenberger stimmt zu: «Wir haben qualitativ sehr gute Resultate erzielt.» Auch die anderen Industriepartner waren zufrieden. Und zufriedene Industriekunden seien lebenswichtig für sein Institut, ist sich Windhab sicher. Nicht von ungefähr: Zwei Drittel seines Teams finanziert er mittlerweile mit Firmengeldern und der Vermarktung von Forschungsergebnissen. So konnten etwa die Patentierungskosten wieder hereingewirtschaftet werden, als Bühler 2002 das Patent für den «SeedMaster» erwarb. Und für einen kleinen Bonus reichte es auch noch, damals.

Doch Forschung soll sich nicht nur für die ETH rechnen, sagt Windhab. «Wir müssen dem Steuerzahler zeigen, dass wir unsere Erkenntnisse Gewinn bringend umsetzen können.»

Im Klartext bedeute dies: Die ETH soll nicht nur wissenschaftlichen, sondern auch volkswirtschaftlichen Nutzen stiften. Dazu gehört auch, Patente in der Schweiz behalten und hiesige Firmen bevorzugt zu behandeln, so Windhab. Dieses Credo wird in die Realität umgesetzt: Nach der Einführung des «SeedMasters» in den Weltmarkt 2002 belieferte Bühler Schweizer Interessenten zuerst, so zum Beispiel den Schokoladenhersteller Lindt & Sprüngli.

Maestrani wird seinerseits den neuen «SeedMaster Kompakt» noch diesen Juli in Betrieb nehmen. Damit ist ein weiterer Beweis erbracht, dass die Zusammenarbeit innerhalb der Landesgrenzen belohnt wird.

Zwei Folgeprojekte und kein Mangel an Innovation

Die stetige Innovation auf Seiten der Industrie lässt auch die Arbeit an der ETH nicht versiegen. Zwei Folgeprojekte, eines bei Bühler, laufen noch bis 2006, und es mangelt nicht an neuen Ideen. Windhab: «Die nächsten zwei Doktoranden-Generationen sind programmiert.»

Impfvorkristallisation

Stabiles Gitter

Der Kristallisationsprozess kommt in der Schokoladenproduktion zwischen die Veredlung und die Formgebung zu liegen. Beim ETH-Verfahren wird dabei zuerst eine Suspension aus Kakaobutterkristallen erzeugt. Bei den Kristallen handelt es sich ausschliesslich um die hochstabile und somit temperaturresistentere §-VI-Form. Die Suspension wird anschliessend der kristallfreien Schokoladenmasse «eingeimpft». Um die Keime bilden sich umgehend neue Kristalle, in diesem Fall solche der Form §-V. Das ist die Form, die bei Mundtemperatur auf der Zunge optimal schmilzt. Weil durch die Impfung viel mehr und deutlich kleinere Keime als üblich in die Masse gelangen, erhält das Kristallgitter eine aussergewöhnlich hohe Dichte und Stabilität.