Seit Jahrzehnten fest etabliert: Wie Schweizer Firmen von China profitierten – und jetzt bangen

Am Freitag gibts in Schanghai etwas zu feiern. Die ABB eröffnet ihre Robotikfabrik, die 150 Millionen Franken gekostet hat. Vor Eröffnung der Hightech-Stätte rechnete die Parteizeitung «China Daily» vor, um wieviel schneller das Hochregallager des Seventh People’s Hospital nun die Medikamente ausliefern kann – dank den Robotern halbiert sich die Lieferfrist um 50 Prozent. Für die ABB ein weiterer Schritt im Riesenreich China, wo mittlerweile 15 000 Mitarbeitende in 130 Metropolen beschäftigt sind. China, wo die ABB seit über hundert Jahren tätig ist, ist mittlerweile zum zweitwichtigsten Absatzmarkt im globalen ABB-Reich aufgestiegen mit 17 Prozent; nur das US-Geschäft ist noch grösser. Und was ABB-Chef Björn Rosengren besonders freut an der neuen Fabrik: Es sind vor allem die Robotik und Automation, welche bei ABB überdurchschnittlich wachsen, nämlich um 29 Prozent letztes Jahr. Da passt die Fabrik perfekt in den Plan. Für die Banken ein schwieriges Pflaster Überhaupt zeigt sich: Die Schweizer Industrie ist seit Jahrzehnten fest etabliert in China. Man schätzt sich und betreibt gerne Geschäfte, wie ein Industriemanager sagt. «Solange der Staat nicht mitredet» – denn sonst wirds mühsam, weil niemand entscheiden will. Viele Schweizer Unternehmen haben an der wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte Chinas gut mitverdient, aber jetzt, da die Wirtschaft lahmt und Peking unter Xi Jinping ideologisch agiert, wird ein grosses China-Geschäft zum Risikofaktor. Viel weniger etabliert sind dagegen Banken und Versicherungen, die sich erst in den letzten Jahren auf das Abenteuer einliessen und gegen allerhand Restriktionen ankämpfen müssen; sie agieren wenig rentabel und haben bislang bloss mickrige Prozente vom Markt erobert. Zum Glück, ist man heut geneigt zu sagen.Die wirtschaftlichen Folgen der Null-Covid-Politik Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Chinas Schwierigkeit, sich des Virus zu entledigen, zeigten sich noch nie so deutlich wie im Moment. So ist etwa der Personenverkehr stark eingeschränkt – in der Woche vom 14. November ging die Zahl der Inlandflüge im Vergleich zum Vorjahr um 45 Prozent runter; 74 Milliarden Yuan (9,8 Milliarden Franken) haben Chinas drei grösste Fluggesellschaften in den ersten neun Monaten 2022 eingebüsst. Der U-Bahn-Verkehr in den zehn grössten Städten ist im Vergleich zu 2021 um 32 Prozent eingebrochen und die Einnahmen an den Kinokassen sind um 64 Prozent zurückgegangen. Aufgrund dieser starken Einschränkungen lahmt die chinesische Wirtschaft, was wiederum den Welthandel unter Druck setzt. Mehr dazu lesen Sie hier. Ganz anders die Ems-Chemie. Auch sie ist schon seit Jahrzehnten vor Ort. Hinter Deutschland und den USA ist China bei der Produktion mit einem Anteil von 8,2 Prozent der drittwichtigste Markt. Magdalena Martullo-Blocher betreibt zwölf Tochtergesellschaften im kommunistischen Land. Sie hat massiv aufgestockt, zumal die Autoindustrie auf Zulieferer angewiesen ist. Der Beginn der China-Expansion geht auf ihren Vater zurück, alt Bundesrat Christoph Blocher, der bereits vor über vierzig Jahren durch China tourte und als eigentlicher Pionier gilt. Der Kapitalist konnte es gut mit den Kommunisten. Schindler-Lifte für den Hochhausboom Stark präsent ist auch seit weit über fünfzig Jahren Nestlé, die kürzlich 100 Millionen Franken in eine Tierfutterfabrik und eine Plant-based-Nahrungsmittelfirma investierte. Auch bei Nestlé ist China – wie bei ABB – hinter den USA zum zweitwichtigsten Markt aufgestiegen. Mark Schneider hat in Greater China 23 Fabriken und erreicht einen Umsatz von 5,6 Milliarden Franken. Zu den Traditionspartnern gehört auch der Liftbauer Schindler. 1980 wars, als ein chinesischer Staatsbetrieb das erste Joint Venture mit einer Westfirma unterzeichnete, und zwar mit Schindler. Seither gehört die Ebiker Industriefirma zum Inventar und profitiert vom Hochhaus-Boom in Chinas Metropolen. Es war Uli Sigg, später Schweizer Botschafter in Peking, der den Aufstieg vorantrieb. Heute dürfte China knapp 20 Prozent des Konzernumsatzes ausmachen, nur in den USA sind es mehr. Die Krise im Immobilienmarkt in Schanghai oder Peking belastet das Schindler-Geschäft. Kleiner Trost: Die finnische Konkurrentin Kone ist mit einem geschätzten Umsatzanteil von 40 Prozent noch stärker von Chinas Bauboom abhängig. Ein Spezialfall ist wiederum Syngenta. Der Staatsbetrieb Chemchina kaufte 2017 die Basler Firma für über 40 Milliarden Franken, seither ist die Firma am Wachsen. Letztes Jahr verkaufte Syngenta einen Viertel ihrer Produkte in ihrem Heimmarkt China. Auch ein Forschungszentrum hat man in Betrieb genommen. Exponierte Luxusgüterbranche Für die Luxusgüterindustrie ist China vor allem ein wichtiger Absatzmarkt. Swatch und Richemont erzielen einen beachtlichen Anteil ihres Umsatzes in China und Hongkong. Morgan Stanley schätzt ihr China-Exposure auf annähernd 40 Prozent. Ebenfalls überdurchschnittlich stark von China abhängig sind Kühne + Nagel, der Prüfkonzern SGS und der PC-Zubehörhersteller Logitech. Für Letzteren ist China nach eigenen Angaben der zweitwichtigste Markt. Die enorme Bedeutung Chinas für die europäischen Unternehmen zeigt sich auch in der Handelsstatistik: Für die Schweizer Wirtschaft ist China nach den USA und Deutschland der wichtigste Absatzmarkt. 2021 kauften China und Hongkong zusammen Schweizer Produkte im Wert von 20 Milliarden Franken und ebenso viel Gold. Die China-Exporte der Euro-Zone haben sich seit Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO 2001 fast verzehnfacht, von 25 auf 206 Milliarden Euro. Am stärksten profitiert vom wirtschaftlichen Aufstieg Chinas hat Deutschland, dessen Ausfuhren ins Reich der Mitte von 12 auf über 100 Milliarden Euro gestiegen sind.«Die Regierung wurde von den Demonstrationen überrascht» Aus Protest gegen die Null-Covid-19-Massnahmen wie Ausgangssperren, zwangsweise Isolation, Testpflicht oder ständige Kontrolle via Corona-Apps gingen am Wochenende in mehreren chinesischen Städten Tausende auf die Strassen. In Peking riefen sie «Hebt den Lockdown auf!» und «Wir wollen keine PCR-Tests, wir wollen Freiheit!». Es waren die grössten Proteste in China seit der Demokratiebewegung, die das Militär 1989 blutig niedergeschlagen hatte. Ein Aufflammen der Bewegung konnte nur mit massiver Polizeipräsenz unterbunden werden. Wie lange kann die Regierung durchhalten? Droht jetzt ein Flächenbrand? Felix Sutter, Präsident der Schweizerisch-Chinesischen Handelskammer (SCCC), ordnet ein. Mehr hier.