Der Rückwärtstrend in der Erotikbranche ist gestoppt», sagt Thomas Scheurer. Der Chef von Libosan, einem der grössten Sexwarenanbieter der Schweiz, tönt erleichtert. Kein Wunder: Seit 1995 war die Wachstumskurve des Erotikbusiness abgeflacht. Brutale Preiskämpfe vermiesten zudem die Margen und zwangen manch kleinen Anbieter in die Knie.

Zwar setzt sich die Konsolidierung fort, und einige Einmannbetriebe werden die Hinterhoftüre noch schliessen müssen, doch die Zeit des kollektiven Jammerns ist vorbei. Reto Koch, Mitinhaber der Orgazmik Media Switzerland mit 14 Angestellten: «Das Geschäft hat deutlich angezogen. Wir rechnen mit mindestens 10% Umsatzwachstum.» Auch beim Erotikmarkt, mit 20 Mio Fr. Umsatz hier zu Lande die Nummer eins, klingeln die Kassen wieder häufiger: «Der Trend zeigt klar nach oben», sagt Besitzer Patrick Stöckli.

*«Ich bin total erstaunt»*

Verantwortlich für den seit rund einem halben Jahr anhaltenden Wachstumsschub sind die Frauen. «Die Zahl der Käuferinnen steigt enorm», sagt eine Mitarbeiterin von Orion, die täglich Bestellungen entgegennimmt. Nicht nur junge Kundinnen greifen immer öfters zu Sexartikeln. «Unsere älteste Kundin ist über 80 Jahre alt.»

Reto Koch kann die Entwicklung kaum fassen: «Ich bin total erstaunt. Noch vor einem Jahr hatten wir kaum Kundinnen, inzwischen verkaufen wir jedes zweite Sexspielzeug an Frauen.» Auch beim Erotikmarkt Libosan oder bei Beate Uhse sorgen Kundinnen für den Mehrumsatz. Betrug der Anteil der weiblichen Käuferschaft bei Wäsche und Toys im Mai 2003 noch zwischen 20 und 35%, stieg ihr Anteil auf 35% bis 50%. Da bei Dessous und Erotikhilfen die Margen oft doppelt so hoch sind wie jene bei DVD und Videos, sind Kundinnen besonders gerne gesehen.

*Anziehendes für Frauen*

Entsprechend fleissig passen sich die Sexartikelverkäufer den weiblichen Bedürfnissen an. Das Angebot an Wäsche und Spielzeug wird ausgeweitet, die Ausstellungsflächen und Kataloge werden stilvoller gestaltet. Sogar neue Läden werden gebaut. Der börsenkotierte Branchenprimus Beate Uhse etwa eröffnet in Deutschland unter dem Namen Mae B. spezielle Erotikshops für Frauen. Das Ambiente mit raumhohen Glaswänden, hellen Farben und «kuschligen Ankleidekabinen», wie das Unternehmen schreibt, wurde aufgrund einer psychologischen Studie geschaffen. Angeboten werden Dessous, Duftkerzen, Kosmetik und Sextoys.

Auch in der Schweiz stellt man auf die neue Käuferschaft um. Libosan zum Beispiel hat einen neuen Laden in Zürich eröffnet. Das Konzept: «Im Erdgeschoss ein schön gestalteter Shop mit Wäsche und Toys für die Frauen, im Keller Pornos für die Männer», sagt Scheurer.

Der Trend zu physischen Verkaufsstellen zeigt sich auch bei den Erotikmärkten: Deren Zahl steigt in den nächsten Wochen von 14 auf 16. Stöckli: «Die Leute wollen sehen, was sie kaufen.» Zwar wird das Gros der Sexfilme - nach wie vor die Haupteinnahmequelle der Warenverkäufer - über das Internet geordert, doch die Zahl der Käufe vor Ort nimmt zu. Wäscheartikel hingegen werden bereits häufiger im Laden erworben als über einen Katalog oder das WWW bestellt.

Anbietern, die weder Wäsche noch ein breites Sortiment an Toys führen, droht das Aus. «Ein paar Bildchen ans Schaufenster kleistern, ein paar Filme im Gestell und in einem dunklen Raum hocken - das war einmal», sagt Betriebsökonom Scheurer. «Wer heute kein grossflächiges Angebot bietet und nicht auf die Präsentation achtet, hat kaum eine Überlebenschance.»

Den kleineren der heute rund 120 Erotikfachgeschäften in der Schweiz bleibt deshalb einzig die Flucht in die Nische - und das heisst Reduktion auf eine Sparte. Ein Modell mit guten Aussichten. Denn eine Mehrzahl der Sexwarenanbieter stellt eine zunehmende Spezialisierung der Kundenwünsche fest. So werden Filme mit einer bestimmten Ausrichtung - etwa Sadomaso - stärker nachgefragt als «klassische» Streifen.

*Über 100 Millionen Franken Umsatz in der Schweiz*

Nebst kleinen Anbietern müssen sich auch grössere über ihre Ausrichtung Gedanken machen. Dazu gehört der seit Februar 2003 aktive Laetitia-Versand - eine Abteilung der B&H Soundmedia AG mit Sitz in Entlebuch. Diese pushte die Lancierung des Sexartikelversandes mit einem Frankenbetrag in Millionenhöhe. Das anvisierte Ziel der Ackermann-Tochter: Sich 1 bis 5% des Schweizer Sexartikelmarktes in der Höhe von mindestens 100 Mio Fr. zu sichern. Dieses Ziel wird mit einem Umsatz von rund 1,5 Mio Fr. dieses Jahr zwar erreicht. Da aber das Angebot an Wäsche und Erwachsenen-Spielzeug dürftig ist, fällt das Plus unter den Möglichkeiten aus. B&H denkt deshalb über einen Ausbau ihres Unterwäscheangebots nach.

Zufrieden kann die Zentralschweizer Firma dennoch sein: Mit einem Umsatzwachstum von 20 bis 30% liegt sie im Mittel der Branche. Stärker zulegen können einzig einige innovative Kleinstanbieter, wie etwa ein Unternehmergründertrio um Adrian Winkler. Mit nur 50000 Fr. Startkapital lancierte dieses mehrere Webseiten und eine Modelagentur. Auch Pornos produzieren die Jungunternehmer selber. Winkler: «Wir rechnen mit einem Return of Invest im ersten Quartal nächsten Jahres.» Insgesamt soll der Umsatz 2005 auf knapp eine halbe Mio Fr. ansteigen. Das Wachstum wird alleine 2004 mehrere 100% betragen.

*Telefonsex gibt nach*

In ähnlichen Dimensionen entwickelt sich das Telefon- und Internetgeschäft - nur in die umgekehrte Richtung. Mit dem Verbot von Dialern - also Programmen, die sich ohne das Wissen des Internetbenutzers installieren - und der neuen Preisbekanntgabeverordnung im 0906er-Geschäft erlitten die Anbieter herbe Einbussen. «Zu Recht», wie Insider sagen, «was hier zum Teil ablief, war pure Abzockerei.» Mit dieser ist es nun mehrheitlich vorbei - entsprechend purzeln die Umsätze: Im Sextelefonmarkt werden dieses Jahr weniger als 100 Mio Fr. generiert, im Internetgeschäft kaum 50 Mio Fr.

Vom Aufschwung im Sexgeschäft werden die Bereiche Telefon und Internet erst 2005 profitieren können - wenn überhaupt. Doch selbst dann wird das Umsatz-Plus deutlich unter dem des Warengeschäfts bleiben. Ausser, wenn sich die Frauen künftig auch fürs Gestöhn übers Telefonkabel begeistern können.

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