Wichtige Innovationen kommen in der Schweiz aus den Bereichen Software-Engineering und Biotechnologie. Wie stehen wir im internationalen Vergleich?

Simon Grand: Seit Jahrzehnten sind die Eidgenössischen Technischen Hochschulen und die Schweiz überhaupt im Bereich der wissenschaftlich-technologischen Entwicklungen führend. Kritischer wird beurteilt, ob diese Entwicklungen immer auch erfolgreich kommerzialisiert werden, wobei eine pauschale Beurteilung wenig sinnvoll ist. Gerade in der Schweiz gibt es sehr erfolgreiche Technologieunternehmer.

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Was macht diese Unternehmen erfolgreich?

Grand: Sie verfügen über eine ausgeprägte Identität: Sie haben eine klare Vorstellung davon, was sie auszeichnet und was sie machen wollen. Sie gründen sich nicht, um primär finanziell erfolgreich zu sein. Sie wollen anspruchsvolle Technologien entwickeln und relevante Kundenprobleme lösen. Dafür gehen sie strategische Partnerschaften mit Kunden und Inves-toren ein.

Und wenn die Identität zu wünschen übrig lässt?

Grand: Unternehmer mit einem wissenschaftlich-technischen Hintergrund sind geschult, im Rahmen einzelner Projekte produktiv zu sein. Die Frage ist bei Technologieunternehmen, ob und wie sie es schaffen, aus einem oder mehreren erfolgreichen Projekten über die Zeit ein erfolgreiches Unternehmen zu machen. Das bedingt nachhaltige, den Projekten übergeordnete Werte, Prozesse und Strukturen. Und es bedeutet, für ein Kollektiv Verantwortung zu übernehmen und sich klar darüber zu werden, wofür das Unternehmen steht und welches der Fokus der eigenen Produkte und Technologien ist.

Das impliziert auch die Frage, was im eigenen Unternehmen genau unter «erfolgreich» verstanden wird. Geht es primär um finanziellen Erfolg, um Wachstum, um technologische Fortschritte? Je nach Antwort sieht das Unternehmen anders aus.

Die Kunden müssen sicher auch zufrieden sein.

Grand: Ja, sicher. Aber darin liegt eine grosse Herausforderung. Gerade die ersten wichtigen Kunden, aber auch die ersten Investoren, sind für ein Jungunternehmen prägend. Das Start-up-Unternehmen ist häufig froh, wenn es überhaupt Kunden gewinnen kann, unabhängig davon, ob sie tatsächlich zum Unternehmen passen. Entsprechend kann es gut sein, dass ein Unternehmer den ersten potenziellen Kunden ablehnen müsste, einfach weil er der falsche ist: Nicht kompatibel mit dem eigenen Anspruch, der eigenen Zielsetzung, den eigenen Prozessen. Wenn diese Abstimmung nicht sorgfältig gelingt, kann es dazu kommen, dass sich der Erfolg in einem Bereich einstellt, das Unternehmen sich aber eigentlich in eine ganz andere Richtung entwickeln will.

Ähnliches gilt für die ersten Investoren: Ein Unternehmen ist dann nicht mehr authentisch, wenn die Firmenrealität nicht dem eigenen Erfolgsmassstab entspricht. Wenn durch die Investoren zusätzliche Erfolgserwartungen dazukommen, die mit denen des Unternehmens nicht vereinbar sind, kann das zu Konflikten führen und die Firma auseinander reissen.

Ist die Abstimmung aber gut, können sich Unternehmer und Investoren in einer produktiven Partnerschaft gegenseitig weiterbringen.

Kann die Forschung Handlungsanweisungen geben, wie man Innovationsprozesse erfolgreich leitet?

Grand: Das wäre sicher zu kurz gegriffen. Alle diejenigen, die einfache Rezepte und eindeutige Handlungsanweisungen abgeben, übersehen die zentrale Tatsache, dass Innovation immer mit Unsicherheit verbunden ist, die man nicht ungestraft übergehen kann. Dass erfolgreiche Unternehmer und Manager genau mit dieser Unsicherheit produktiv umgehen, ist eine der zentralen Erkenntnisse unserer Forschung.

RISE wurde an der Universität St. Gallen vor vier Jahren als Projekt gegründet. Mit welchem Zweck?

Grand: Während meiner Forschungstätigkeit an der Universität St.Gallen ist mir aufgefallen, dass die Themen «Strategische Entscheidungen» und «Wissenschaftlich-technologische Forschung und Entwicklung» im Unternehmensalltag oft nicht optimal miteinander verknüpft werden. Dabei haben sie unter dem Aspekt der Innovation sehr viel miteinander zu tun: Erfolgreiche Kommerzialisierung unter Unsicherheit. In unserer Forschung interessiert uns deshalb insbesondere die Frage, wie Unternehmer und Manager unter Unsicherheit entscheiden und handeln.

Unser eigener «Erfolgsmassstab» bei RISE ist dabei die Relevanz für die Managementforschung; unsere Forschungspartner, etablierte Technologiekonzerne und unternehmerische Ventures, sind genau daran interessiert.

Sie sind nicht nur Forscher, sondern auch Unternehmer, nämlich Partner bei der Firma Nose. Was machen Sie dort?

Grand: Ich bin einer von fünf Partnern der Design-Agentur Nose. Unser Geschäftsfokus ist «Communication Performance» für unsere Kunden: Wirkungsvolle Kommunikation mit dem Mittel des Designs, durch die Gestaltung von Produkten, Interaktionen, Ausstellungsräumen, Firmenauftritten und Verpackungen, aber auch durch die Visualisierung von Strategien, Geschäftsmodellen und Prozessen.

Unsere Erfahrung bei Nose zeigt, dass die Trennung von Ideenfindung und Ideendurchsetzung oft nicht funktioniert, weil sich beide Prozesse gegenseitig bestimmen: Die Entwicklung von Ideen, die Realisierung von Lösungsansätzen, die Herstellung von Prototypen und die Etablierung einer überzeugenden Geschichte hängen eng zusammen.

Innovation als Begriff ist das noch interessant? Reicht die Definition des Ökonomen Joseph Schumpeter - «erfolgreiche Durchsetzung von Neuem» - nicht aus?

Grand: «Innovation» wird heute als Begriff inflationär eingesetzt und hat oft keine klare Bedeutung, sondern steht sehr pauschal für den Wunsch nach produktiven Veränderungen.

Wesentlich ist aus meiner Sicht, dass Innovationen zugleich mit Wertschöpfung und Wertvernichtung verbunden sind: Schumpeter spricht in diesem Zusammenhang von «kreativer Zerstörung». Damit meint er, denke ich, etwas sehr Präzises: Innovationen sind immer eine Frage der Perspektive, die einen beurteilen die Entwicklung eines neuen Produktes oder einer neuen Dienstleistung positiv, für andere ist es eine Bedrohung oder eine unerwünschte Konkurrenz.

Interview: Eckhard Baschek

Zur Person

Simon Grand, geboren 1968, ist doktorierter Ökonom und Unternehmer. Er ist Gründer und akademischer Direktor von RISE Management Research (dem Research Center for Innovation, Strategy and Entrepreneurship) an der Universität St.Gallen HSG und Partner und Verwaltungsratspräsident von Nose Applied Intelligence AG in Zürich. Simon Grand wohnt mit seiner Frau in Wermatswil.