Digitale Dorfstrasse Adelboden: So funktioniert sie

Fünfhundert Meter. So kurz ist die Strecke zwischen der Post und dem Baumarkt an der Dorfstrasse Adelboden. Ein paar kleine Schritte für die Menschen im Berner Oberland. Aber auf just diesen 500 Metern will Adelboden einen grossen Sprung vorwärts machen. Mit dem Projekt «Digitale Dorfstrasse», das am 17. Dezember online gegangen ist, werden Geschäfte, die bisher im E-Commerce-Dämmerzustand waren, dem Online-Shopping zugeführt. Chris Rosser, Initiant des Vorhabens, sagt es so: «Wir verpacken die Offline-Dorfläden in einen Webshop, bringen sie so in die digitale Welt und machen sie damit fit für die Zukunft.» Fondue, Fleisch, Küchengeräte Als Zielpublikum sieht Rosser dabei Touristen und Zweitwohnungsbesitzer. Diese, aber natürlich auch Einheimische, können Produkte der Dorfläden online bestellen und diese wahlweise in Abholboxen aufpicken oder sich per Taxi liefern lassen. Die teilnehmenden Geschäfte, zum Start werden es 14 der 25 Läden an der Dorfstrasse sein, stellen dabei die Top Five oder Top Ten ihrer Produkte online. Daraus ergibt sich zu Beginn ein Gesamtsortiment von 160 Produkten, das bis Mitte 2022 auf 300 wachsen soll. Typische Produkte im eher foodlastigen Sortiment sind etwa Fondue-Mischungen, Käse, Fleischwaren und Getränke, aber auch Mützen, Taschen und Küchengeräte. Den Znacht beim Après-Ski ordern Alle Artikel hätten regionalen Bezug und stammten aus dem Frutigland. Projektleiterin Anke Reindl sieht zwei typische Anwendungsfälle für die Kernzielgruppe: «Kunden können beim Après-Ski ihre Bestellungen fürs Nachtessen tätigen – oder bei der Abfahrt daheim bereits ordern, was am Abend in der Ferienwohnung sein soll.» Die Grundidee, dem lokalen Offline-Handel mittels Digital-Plattform auf die Online-Sprünge zu helfen, ist nicht brandneu. 2016 etwa versuchte es die Schweizer Post in Bern und Zürich mit einem Modell namens Kaloka; der lokale Online-Marktplatz wurde 2018 wieder eingestellt. In Deutschland laufen mit Online City Wuppertal und Mönchengladbach bei Ebay zwei Projekte, die den lokalen und regionalen Handel ins globale Dorf bringen wollen. Ausstrahlung aufs ganze Land angestrebt Die Digitale Dorfstrasse Adelboden will aber nicht nur ein Geschäftsmodell etablieren, sagt Rosser, sondern eine nationale Bewegung anstossen. Das Projekt, das aus verschiedenen politischen Geldtöpfen mit rund 200'000 Franken unterstützt wird und auf eine Testphase von zwei Jahren angelegt ist, soll ins ganze Land ausstrahlen: «Die Digitale Dorfstrasse ist kein Einzelprojekt, sondern soll Vorbildcharakter für andere Gemeinden und Kantone haben.» Das Bergdorf Adelboden, nur schon durchs Volkslied «Vogel-Lisi» im ganzen Land bekannt, möchte also eine Vorreiterrolle spielen. Ein «Amazon von Adelboden» will Rosser aber nicht sein: «Unser Projekt steht für Regionalität und faire Preise, nicht für eine Dumping-Verkaufsmaschine.» 20 bis 40 Franken Liefergebühr Dass Dumping bei der Digitalen Dorfstrasse keine Rolle spielt, zeigt sich nur schon bei den Liefergebühren. Das Online-Modell, das ohne Mindestbestellmengen auskommt, arbeitet neben den Abholboxen mit einem Liefersystem. Die Lieferung per Taxi kostet – je nach Entfernung der Adresse in Adelboden – zwischen 20 und 40 Franken. Diese Lieferkosten fallen auf jeden Fall an, egal, wie hoch die Bestellung ist. Geliefert wird innerhalb von zwei Stunden, an allen sieben Wochentagen, rund um die Uhr. Mit diesem Speed müsse man sich nicht fürchten vor Anbietern wie Migros Online oder Coop.ch, sagt Projektleiterin Reindl: «Wir sind der schnellste Webshop im Berner Oberland.» «Offline-Underdogs ins digitale Zeitalter bringen» E-Commerce-Experten bringen dem Adelbodner Konzept Verständnis und Sympathie entgegen. «Grundsätzlich kann ein solches Konzept im Mikrokosmos Dorf funktionieren, wenn man die Betriebskosten im Griff hat und eine entsprechende Grundauslastung erreicht», sagt Matthias Schu, Dozent für E-Commerce und Handel an der Hochschule Luzern. Bedenken hat der Autor des Standardwerks «Das E-Food-Buch» trotzdem: «Zwei Stellschrauben sind problematisch. Die Lieferkosten sind sehr hoch, das Sortiment ist wohl zu knapp gehalten.» Noch etwas komme dazu, sagt Schu: «Andere solche Projekte wie Online City Wuppertal oder Mönchengladbach bei Ebay haben gezeigt, dass die Generierung einer rentablen Mindestanzahl von Bestellungen pro Woche ein schwieriges Unterfangen ist.» Ähnlich klingt es bei Alexandra Scherrer. Die Chefin der E-Commerce-Beratungsfirma Carpathia findet es grundsätzlich «spannend, dass man in einem Dorf versucht, die Offline-Underdogs ins digitale Zeitalter zu bringen.» Wo Scherrer Probleme sieht: «Die Lieferkosten sind zu hoch, das kleine Sortiment verunmöglicht ein One-Stop-Shopping.» Rosser sieht eine ganz andere Herausforderung: «Spannend wird sicher sein, ob wir in der Hochsaison alle Bestellungen pünktlich ausliefern können.» Die Liefergebühren, die prima vista hoch erscheinen, seien in der speziellen Konsumsituation der Kunden jedoch keine grosse Sache, glaubt der Initiant der Digitalen Dorfstrasse: «Unsere Zielgruppe befindet sich im Ferien-Modus. Da zählen Details und Authentizität mehr als Gebühren.» Schwarze Null im zweiten Jahr angestrebt Die Hausaufgaben im Back-End, heisst es bei beim Projekt-Team habe man gemacht. Für die Logistik wird ein zentrales Lager im rückwärtigen Raum der Vogellisi Genusswelt eingerichtet, einem Geschäft am Dorfplatz. Die am System teilnehmenden Läden liefern einmal täglich an. Gemäss Businessplan erwarten Reindl und Rosser durchschnittliche Warenkörbe von 120 Franken (Taxi-Lieferung), beziehungsweise 50 bis 60 Franken (Abholboxen oder Abholung in der Vogellisi Genusswelt). Keck geht man in Adelboden auch mit einem weiteren Feature ins Rennen. Auf der Website des Online-Marktplatzes werde man virtuell in die Läden gehen und dort einkaufen können, verrät Rosser. Und fügt an: «Wo Google Street View aufhört, fängt die Digitale Dorfstrasse an.» Mit einer langen Durststrecke rechnet Projektleiterin Reindl nicht: «Im ersten Jahr darf ein maximaler Verlust von 20 000 Franken anfallen, für das zweite Jahr rechnen wir mit einer schwarzen Null.» Zuvor aber stehen andere Meilensteine im Vordergrund. Zwei Zwischenzeiten quasi, die eng mit der Agenda im Touristendorf verknüpft sind, sagt Rosser: «Wenn wir die Hochsaison mit Weihnachten, Neujahr und Ski-Weltcup gut überstehen, ist das schon einmal prima. Eine zweite Zwischenbilanz ziehen wir zum Winter-Saisonschluss Ende März.»

Digitale Dorfstrasse Adelboden: So funktioniert sie

So funktioniert die Digitale Dorfstrasse Adelboden