So rüsten sich die Restaurants fürs Comeback

Millionen von Schweizern Konsumentinnen und Konsumenten fiebern dem 31. Mai entgegen. Dann sollen, so es der Bundesrat final beschliesst, auch die Innenräume der Schweizer Restaurants wieder öffnen dürfen. Was dabei oft vergessen geht: Gastro ist nicht gleich Gastro. Die rund 240'000 Angestellten der Branche arbeiten in sehr verschiedenen Segmenten. Ein Ausflugslokal funktioniert anders als eine Businesslunch-Hochburg; der Sternekoch kalkuliert nach anderen Kriterien als ein Markengastronom. In einer Serie folgt die «Handelszeitung» sechs verschiedenen Betrieben in der Deutschschweiz. «500 Kilo Last» Vor dem 31. Mai überwiegt Optimismus der verhaltenen Sorte. Eine Einschätzung, die auch Gastronomieberater Peter Herzog teilt. Herzog, Bindella-Verwaltungsrat und Geschäftsleitungs-Mitglied des GDI Gottlieb Duttweiler Institut, spricht von einem Neustart mit Ungewissheiten, mit Minuskapazitäten, Auflagen und Social Distancing: «Ein Weiterarbeiten mit 500 Kilogramm Last auf der Schulter.» Tatsächlich werden einige Trends und offene Fragen entscheiden über den Geschäftsgang im Schweizer Gastgewerbe: Hält der Boom des Homeoffice an? Wie wird das das touristische Aufkommen in der Schweiz im Sommer? Kann für die zweite Jahreshälfte, wenn Firmenanlässe und Bankette wichtig werden, mit mehr Planungssicherheit gerechnet werden? Zum Thema: Wegen der Betriebsschliessungen mussten Restaurants 2020 mehr als 40'000 Mitarbeitende entlassen. Viele Betriebe bleiben dauerhaft zu. Herzog ist vor allem bei zwei Schweizer Gastrozweigen optimistisch – bei Ausflugslokalen und der Markengastronomie: «Wenn die Leute weniger ins Ausland reisen, hilft das den Ausflugslokalen. Wenn man preislich nicht abhebt, kann man hier ein gutes Geschäft machen.» Und die schlank organisierte und effiziente Markengastronomie werde in den Städten ihr Publikum finden. Trotzdem, sagt Herzog, würden die Bremsspuren der Pandemie noch lange zu spüren sein: «Es wird in der Schweizer Gastronomie bis mindestens 2023 dauern, bis wir wieder auf dem Index 90 von 2019 sein werden.» Schwierig werde es zudem noch vor Ende 2021, «wenn die Kurzarbeit voraussichtlich nicht mehr weiter verlängert wird». Aber zuerst steht nun das Re-Opening an. Sechs Unternehmerinnen und Unternehmer öffnen den Blick in Küche, Bücher – und Gastroseele. Gastgeberin und Co-Gründerin Claudine Brunner freut sich auf die Wiedereröffnung des Lokals La Salle im Schiffbau in Zürich-West. Aber nicht überschäumend: «Wir sind verhalten optimistisch», sagt Brunner, «das Restaurant sollte unter den aktuellen Schutzkonzeptbedingungen knapp kostendeckend zu betreiben sein.» Vor der Pandemie bot das «La Salle» drinnen 185 Sitzplätze; in der aktuellen Situation werden es bloss 92 sein. Vor Covid-19 war das «La Salle» mit 23 Mitarbeitenden aktiv, aktuell sind es 15. Die Möglichkeit, seit 19. April die 40-plätzige Terrasse wieder offen zu halten, habe nicht viel gebracht: «Es hätte vielleicht ein wenig geholfen, aber aufgrund des Wetters konnten wir draussen nur an vier Tagen öffnen.» Optimistisch ist Brunner hingegen für ihr Kerngeschäft, den klassischen Businesslunch: «Um den Mittag mache ich mir keine Sorgen», sagt die Co-Gründerin des «La Salle», «unser Publikum hält am Businesslunch fest, da bin ich sicher.» CEO und oberes Kader, Anwälte und Beraterinnen wollten sich treffen und in Ruhe beim Essen sprechen, glaubt Brunner: «Das war so – und das bleibt so.» Für das Gästeaufkommen am Ende des Tages ist Brunner weniger zuversichtlich: «Das Abendgeschäft wird wohl etwas zurückgehen. Dies auch deshalb, weil aktuell keine Bankette und Firmenanlässe möglich sind.» Damit verbunden ist ein ungebetener Gast, der seit Ausbruch der Pandemie dauernd mit am Tisch sitzt – die ständige Planungsunsicherheit: «Wir haben jetzt schon viele Anfragen für den Herbst», berichtet Brunner, «Anlässe für geschlossene Gesellschaften, private wie geschäftliche.» Das sei an sich erfreulich, werde aber von einer Ungewissheit überschattet: «Wird das dann überhaupt möglich sein, werden dann Menschen wieder Schulter an Schulter zusammensein können?» Seit Ausbruch von Corona blieb es oft dunkel im Restaurant «Zum Goldenen Fass». Es hat keine Aussenplätze, Bar und Sääli leben von Nachtschwärmern. «Wir sind ein klassischer Abend- und Nachtbetrieb», sagt Ueli Gerber, der die Basler Institution zusammen mit Bettina Larghi und Gilbert Engelhard seit 14 Jahren betreibt. Die Corona-Einschränkungen bedeuteten für ihn ein Betriebsverbot für die meiste Zeit. Nun ruft Gerber einen Teil seiner Leute zurück. Der Betrieb, zu dem im Sommer auch eine Aussenbar am Rhein gehört, beschäftigt etwa 45 Personen – die meisten in Teilzeit. Im Winter waren sie alle in Kurzarbeit. «Entlassen musste ich zum Glück niemanden.» Noch sei unsicher, was aufs «Fass» zukomme. «Öffnen wir nur freitags und samstags? Und reichen die Öffnungszeiten für einen zweiten Service?» Öffnung heisse noch lange nicht Umsatz, sagt Gerber. «Vor einem Jahr zeigte sich, dass die Leute längst nicht so lange blieben wie früher.» Auch als im Sääli mal wieder Partys erlaubt waren, waren die meisten um zwei Uhr zu Hause. Und nicht erst im Morgengrauen. Normalerweise ist das «Fass» einer der letzten Basler Betriebe, der die Gäste nach Hause schickt. Vorerst legen dort jedoch keine DJs auf. Das Sääli funktioniert Gerber in einen zweiten Speisesaal um. «So können wir etwa gleich viele Leute bedienen wie vor Corona», sagt er. Er sei sich bewusst, dass er mit dieser Option gegenüber anderen Betrieben privilegiert sei. Dafür blickt Gerber auf eine überdurchschnittlich harte Zeit zurück. Meist war der Betrieb komplett geschlossen. Sonntags konnten sich die Gäste zeitweise einen Braten als Take-away-Menu abholen, seit der Teilöffnung gibts gelegentlich einen Wurstgrill am Strassenrand. Nur die «Flora Buvette» am Rhein lief mehr oder weniger im Normalmodus. Wenn das Wetter stimmt, steuert sie rund einen Drittel des Umsatzes bei. Das Aargauer Schloss Schartenfels ist ein Ausflugslokal mit Aussicht, hoch über Wettingen und Baden. Im Aussenbereich haben 130 Gäste Platz, im Innenbereich etwas weniger als die Hälfte davon. Man könnte glauben, nach zwei Lockdowns würde die Teilöffnung für Terrassen dem Lokal eher zugutekommen als anderen Gaststätten, die auf kleiner Fläche ausschliesslich eine Stube bewirtschaften können. Dennoch: «Wir haben aufgrund der Pandemie und den damit verbundenen Massnahmen 50 Prozent vom Umsatz verloren», sagt der Lokalbetreiber von Schloss Schartenfels, Gian Riederer. Zwischen 1,8 und 2 Millionen Franken Umsatz sind es in einem normalen Jahr. Rund 15 Mitarbeitende servieren in diesem Zeitraum üblicherweise 66'400 Menus. Bei allem Verständnis für die Covid-19-Massnahmen war und ist die Situation für Riederer weiterhin nicht einfach. Den ersten Lockdown habe man weggesteckt. Der zweite im Winter war schon schwieriger: «Wir haben zehn Fonduehütten gebaut und hatten einen Monat offen.» Das war bitter, rund 30'000 Franken hat das Paar in die Fonduehütten gesteckt. Dazu kommen Verbindlichkeiten gegenüber dem Pächter, deren Höhe bis heute nicht feststeht. Wie viel Pacht etwa für die Monate April und Mai im ersten Lockdown bezahlt werden müsse, «ist noch hängig». Enttäuscht ist Riederer von seiner Interessenvertretung Gastrosuisse: «Der Verband hat nur gejammert, aber keine Lösungsvorschläge gemacht.» Jetzt kann das Gastropaar Gian und Denise Riederer mit Blick nach vorn die vom Bundesrat angekündigte Öffnung für 31. Mai kaum erwarten. Das Sommergeschäft wird für den Betrieb essenziell sein. Die erforderlichen Schutzkonzepte habe man seit dem ersten Lockdown längst im Griff. «Da sind wir mittlerweile Profis.» Und Anfragen für Hochzeiten und Bankette gebe es bereits viele. Geradewegs: «Wir sind parat.» Mit Brands wie Negishi, Nooch oder The Butcher zählt das Unternehmen Familie Wiesner Gastronomie zum Genre der trendigen Markengastronomie. 34 Restaurants betreibt die Firma, hauptsächlich in Zürich, Basel, Bern, Luzern und Zug. 800 Mitarbeitende sind an Bord, das Gastrounternehmen schreibt einen Umsatz von 65 Millionen Franken. Für das Re-Opening ist Co-Geschäftsführer Manuel Wiesner optimistisch, bestärkt auch aus bisheriger Pandemie-Erfahrung: «Von der Wiedereröffnung nach dem ersten Lockdown im Frühling 2020 wissen wir, dass uns unsere hauptsächliche Kundschaft – 25- bis 45-Jährige aus dem urbanen Raum – vermisst.» Wie vielen anderen Gastronomen macht Wiesner das Schutzkonzept Kopfzerbrechen, weil es einen rentablen Betrieb erschwere: «Nur vier Gäste am Tisch, das ist problematisch», sagt Wiesner. «Sinnvoller wäre es, die Anzahl Haushalte pro Tisch – beispielsweise auf vier – zu beschränken und dafür maximal zehn Gäste pro Tisch zu bewirten.» Bezüglich Tageszeiten-Kerngeschäft hat Wiesner einen klaren Favoriten «Wir sind vor allem stark am Abend, am Mittag läuft es auf einen Preiskampf hinaus.» Verhalten beurteilt Wiesner den Delivery-Boom: «Das Liefergeschäft lief im Lockdown zwar gut, aber unter dem Strich bleibt wenig. Es ist ein Nullsummenspiel.» Die Pandemie habe einiges verändert im Unternehmen, sagt Wiesner: «Corona holte uns aus der Komfortzone.» Mitten in dieser Zeit hat das Unternehmen Geisterküchen in Basel, Bern und Zürich errichtet. «Von dorther liefern wir selber aus und behalten so von der Küche bis zum Kunden die volle Qualitätskontrolle», erzählt Wiesner. «Wir treten mit virtuellen Marken wie Angry Chicken oder Dumpling Brothers auf, das hilft uns, neue Gerichte und Konzepte niederschwellig zu testen.» Als Managing Director Schweiz der Compass Group ist Thomas Truttmann oberster Chef von 152 Personalrestaurants im ganzen Land. 1340 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen hierzulande. In besseren Zeiten wurden jährlich über zehn Millionen Mahlzeiten serviert, im Pandemiejahr 2020 waren es noch neun Millionen. Von Amtes wegen geschlossen wurden die Compass-Betriebe während der Pandemie nicht, schliesslich gilt die Betriebsverpflegung als systemrelevant. Es waren jedoch keine externen Gäste zugelassen. Anders als andere Gastronomen bricht der vormalige langjährige McDonald’s-Manager Truttmann bei der herbeigesehnten Öffnung der Gastro-Innenräume nicht in Jubel aus: «Das spielt für uns, wie auch die Öffnung der Terrassen, leider keine wesentliche Rolle.» Was hingegen grosse Relevanz hat: Wenn der Bundesrat tatsächlich per 31. Mai die Homeoffice-Pflicht in eine Homeoffice-Empfehlung umwandeln wird. «Wenn das geschieht, wenn die Dienstleister in ihre Büros und die Studierenden zurück in die Mensen kommen, zieht das Geschäft wieder an – auch wenn Montage und Freitage aufgrund der Homeoffice-Popularität wohl klar schwächer sein werden als zuvor.» Die Firmenkantine, glaubt Truttmann, werde ihre Wichtigkeit behalten. Aber anders als zuvor. Das wisse man aus Studien, welche die englische Muttergesellschaft, die in 45 Ländern tätig ist, weltweit durchführen liess. «Personalrestaurants werden eine neue Rolle spielen, weg vom reinen Ort der Mittagsverpflegung, hin zum Ort, wo man ganztägig hingeht. Sei es für Mitarbeitergespräche, Team-Meetings, um Kundinnen und Kunden zu empfangen, oder auch einmal für Firmen-Apéros. Die Kantine wird zum Multifunctional Space, wie man es heute schon bei Google sieht.» Ob es in einer oder in drei Wochen aufgeht, darauf kommt es für Sternekoch Tobias Funke nicht mehr an. Wichtiger sei, ohne Einschränkungen zu öffnen und mehr als nur vier Gäste pro Tisch platzieren zu dürfen. Gute Schutzkonzepte würden das hergeben, findet der Zwei-Sterne-Koch des Gourmettempels Incantare in Heiden AR. Ob die Öffnung so kommt, wie er sich das wünscht, ist unklar. Die bisherige Erfahrung war jedenfalls nicht die beste. Den ersten Lockdown hat Funke verkraftet. Der Starkoch baute einen Webshop auf und vereinte dazu die Küchen seiner beiden Restaurants, «Swiss Alpine» (50 Sitzplätze) – ausgezeichnet mit dem grünen Michelin-Stern für Nachhaltigkeit – und «Incantare» (30 Sitzplätze). Total beschäftigt Funke 25 Mitarbeitende, im Winter sind es bis zu 60. Der zweite Lockdown war schlimmer: Man durfte nur bis 19 Uhr öffnen. Er entschied, die Lokale komplett zu schliessen, weil sein Hauptgeschäft abends stattfindet. Wobei: «Verlangen, dass alle geöffnet haben müssen, ansonsten wird das Kurzarbeitsgeld gestrichen» – das findet Funke schon sehr schwierig. Rund einen Drittel an Umsatz büsste er wegen der BAG-Einschränkungen ein. Normal wären es 4 bis 5 Millionen Franken pro Jahr. Funke setzte also weiterhin auf den Webshop. Menupäckli wurden bis in die hintersten Ecken der Schweiz verschickt, 200 pro Woche. Die Terrassenöffnung half hinsichtlich Auslastung ein wenig, besonders beim «Swiss Alpine» mit seinem grossen Aussenbereich. Beim «Incantare» muss Funke immer noch auf eigene Hotelgäste setzen. Dafür hat er ein Pop-up-Hotel mit zehn Doppelzimmern dazugebaut. Aber nicht jede gute Idee wird belohnt: «Wenn man mit einem Webshop zu Umsatz kommt, wird das von Unterstützungszahlungen wieder abgezogen, obwohl die Marge viel geringer ist», sagt er. Sein Fazit bis zur grossen Öffnung: «Der Effort war für uns nahe an einem Nullsummenspiel.»