So wie sich hierzulande Migros und Coop duellieren, so läuft in den USA ein Zweikampf zwischen Walmart und Amazon. Der Unterschied: Während sich in der Schweiz die beiden Marktführer mit einem Zustand der Saturiertheit arrangieren, tobt in Übersee ein regelrechter Innovationskrieg. Es geht um die Vorherrschaft über das Einkaufen von morgen – sprich: digitale Preisschilder, Big Data, Roboterisierung, kassenlose Läden, die Verschmelzung von online und stationär.

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Die Ausgangslage: Amazon, das wertvollste Unternehmen der Welt, drängt als Internet-Pionier mit voller Kraft in den stationären Handel. Walmart, das Unternehmen mit dem weltweit meisten Umsatz, drängt mit voller Kraft in den E-Commerce.  

Noch spricht alles für Amazon, das im Handumdrehen die Retail-Branche erschütterte, die US-Warenhauskette Sears in die Pleite trieb und auch Walmart – dem Riesen mit weltweit 11’718 Läden – gefährlich wird: 2016 schrumpfte erstmals der Umsatz, er ging um 4 Milliarden US-Dollar zurück auf 482 Milliarden.

Ein Albtraum für klassische Händler

Zwischen 2012 bis 2017 wuchs Amazons Marktanteil im amerikanischen Online-Handel von 24 auf 46 Prozent – Walmart legte in dieser Zeit nur von 2,9 auf 4,3 Prozent zu. Gut die Hälfte der US-Haushalte besitzt heute ein Amazon Prime-Abonnement. Für jährlich 119 Dollar bietet es Gratislieferung, Vergünstigungen und Streamingdienste für Musik und Video. Die Anzahl an Kunden, die Amazon so an sich bindet, wächst rasant: Hatten im September 2015 erst 47 Millionen Personen ein Prime-Abo, sind es im September 2018 bereits 97 Millionen. Eine Verdoppelung innert drei Jahren. Ein Albtraum für jeden traditionellen Händler.

NORTH MIAMI, FL - AUGUST 14:  People shop at a Wal-Mart Store August 14, 2008 in North Miami, Florida. The company reported its second-quarter profit rose 17% and it raised its full-year forecast.  (Photo by Joe Raedle/Getty Images)
Quelle: 2008 Getty Images

Doch Walmart, der mit gigantischem Sortiment und tiefen Preisen Jahre zuvor selbst die Konkurrenz an die Wand fuhr, ist zwar angeschlagen, keinesfalls aber kurz vor dem Knock Out. Momentan scheint sich der taumelnde Riese aufzurappeln, bereit für den Konter.

Walmart stellt 2000 neue IT-Leute ein

Diese Woche wurde bekannt, dass Walmart 2000 IT-Experten einstellt. Gesucht werden laut der Nachrichtenagentur «Bloomberg» etwa Datenwissenschaflter, Software-Ingenieure und Designer, die vom Silicon Valley bis zum indischen Bangalore in neun Büros arbeiten werden. Bereits letztes Jahr stellte Walmarts Technologie-Abteilung 1700 Mitarbeiter ein. Anders gesagt: Walmart hat den Digital-Turbo gezündet.

Erste Erfolge zeichnen sich ab:

Der Umsatz stieg 2017 an auf 500 Milliarden US-Dollar. Und im besonders umkämpften Online-Lebensmittelhandel – ein Sektor, in dem es digital noch viel zu holen gibt – gewinnt Walmart nun die Oberhand: Laut den neusten Zahlen von eMarketer kommt Walmart 2018 auf einen Marktanteil von 33 Prozent, Amazon nur noch auf 31 Prozent. Im Vorjahr lag Amazon mit 36 Prozent noch deutlich vorne (siehe Grafik). Insgesamt erwartet Walmart im E-Commerce ein Umsatzwachstum von 40 Prozent für 2018.

Wie gelang Walmart die Wende? Die simple Erklärung: Der klassische Retailer wandelt sich zu einem Technologie-Konzern. So gibt es inzwischen Roboter, die Böden Putzen und Regale scannen. Entscheidend sind besonders folgende fünf Pfeiler der Digitalstrategie:
 

1. Hokus Bopus

Walmarts neues Zauberwort heisst BOPUS. Es steht für «buying online and picking up in-store» – der Kunde bestellt online, bei der Filiale bringt ihm ein Walmart-Mitarbeiter den Einkauf zum Parkplatz und verstaut ihn direkt im Kofferraum des Kunden, gratis. Walmart betreibt bereits 2100 solche Gorecery-Pickups, dieses Jahr sollen 1000 neue dazukommen.

Damit die Mitarbeiter in den Läden die online bestellte Waren möglichst schnell eingesammelt haben, erhalten sie Unterstützung von digitalen Tools: Diese bilden etwa die kürzesten Wege durch die Gänge ab und helfen, die Produkte rasch zu finden.

2. Die endlosen Regale

Ein anderer Pfeiler in der Digitalstrategie sind sogenannt endlose Regale. In ausgewählten Filialen hat Walmart je am Ende eines Gangs ein mannshoher Touchscreen aufgestellt. Findet der Kunde ein bestimmtes Produkt nicht, kann er es dort bestellen und es sich nach Hause oder zu einer Pickup-Stelle liefern lassen. Das System reduziert nicht nur den Frust des Kunden, wenn ein gewünschtes Produkt vergriffen oder nicht vorhanden ist. Es verhindert vor allem, dass er es nicht woanders kauft.
 

3. Gratislieferung

Was Walmart allerdings noch fehlt, ist eine Antwort auf Amazons Prime-Angebot. Künftig will Amazon Bestellungen sogar per Drohne innerhalb einer Stunde liefern. Bis eine breite Flotte an Packetdrohnen durch die Luft schwirren, dürfte es allerdings aufgrund der gesetzlichen und logistischen Grundlagen noch dauern. So weit denkt Walmart jedoch noch nicht.

Zumindest liefert der Händler derzeit ab einer Bestellung von 35 Dollar innerhalb von zwei Tagen gratis. Innert drei bis fünf Tagen gibt es sogar sämtliche Produkte gratis geliefert. Seit April 2017 bietet Walmart seinen Kunden zudem Rabatte auf Tausende Produkte, wenn sie die online bestellte Ware im Laden abholen. Dafür stehen in den Läden fünfmeterhohe Hightech-Abholstationen (siehe Video).

4. Zusammenarbeit mit Microsoft

Um Amazon einzuholen, eröffnete Walmart vergangenes Jahr in Texas einen Tech-Hub, wo IT-Spezialisten von Walmart und Microsoft gemeinsam an Cloud-Diensten arbeiten – nicht zuletzt, um dem Cloudanbieter Amazon Web Services (AWS) Marktanteile abzujagen. Walmart transferiert derzeit seine ganzen Datensätze inklusive der Webseite Walmart.com auf Microsofts Cloud-Platform Azure. Dadurch werden verschiedenste Anwendungen im Bereich Machine Learning und künstlicher Intelligenz möglich. Woran Walmart tüfteln könnte, zeigt etwa die Kooperation zwischen Microsoft und der US-Supermarktkette Kroger, die letzte Woche bekannt wurde.

Diese testet laut «Bloomberg» in zwei Filialen neuen Funktionen wie etwa intelligente Regale mit digitalen Anzeigen, die Werbungen und Preise jederzeit ändern können. Sowie ein Netzwerk von Sensoren, die den Überblick über Produkte behalten und Kunden in Eile schnellstmöglich durch die Gänge leiten. Sobald der Kunde ein Produkt erreicht, das er in der App auf die Einkaufsliste gesetzt hat, leuchtet beim Regal ein Symbol auf. Mit intelligenten Regalen lassen sich die Anzeigen auf die Präferenzen des jeweiligen Kunden zuschneiden – etwa indem glutenfreie Produkte hervorgehoben werden.

5. Übernahme von Internethändlern

Derzeit investiert Walmart enorme Summen, um im Online-Handel gegenüber Amazon aufzuholen. Jüngst kaufte der Konzern für 16 Milliarden Dollar den indischen Internethändler Flipkart. 2016 zahlte Walmart 3 Milliarden Dollar für das damalige E-Commerce-Startup Jet.com. Gerald Storch, ehemaliger CEO von Toys “R” us und stellvertretender Vorsitzender des US-Detailhändlers Target, sagte in einem Interview mit «CNBC»: «Wenn Walmart schon früher solche Investitionen getätigt hätte, gäbe es kein Amazon.» Zumindest hätte der ehemalige Online-Buchhändler kaum die ganze Branche überrollt.