Auf den Strassen von Baku macht sich die Schwüle der Meeresnähe breit. Vom Kaspischen Meer her zieht mit dem Wind der Geruch von Öl auf. Der Lärm der Presslufthämmer zeugt davon, dass sich der ölgetriebene Wirtschaftsboom in der aserbaidschanischen Hauptstadt vor allem im Baugeschäft niederschlägt. Und weil die Zukunft des Kaukasusstaates in erster Linie vom Gas- und Ölgeschäft geprägt sein soll, wurde der künftige Hauptsitz des staatlichen Öl- und Gasunternehmens Socar als ein neues Wahrzeichen hochgezogen: Drei Riesenglastürme in Form von Gasflammen.

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Spätestens nächstes Jahr wird auch in der Schweiz jedermann den Namen Socar kennen. Bis dann nämlich sollen die rund 170 Esso-Tankstellen zwischen Genf und Rorschach die Marke des aserbaidschanischen Staatskonzerns tragen. Just einen Tag nachdem Bundesrätin Doris Leuthard in Baku den ehemaligen Socar-Chef und heutigen Energieminister Natik Alijew traf, gab Socar den Kauf aller Aktivitäten von Esso Schweiz bekannt.

Für ihren Coup gründeten die Aserbaidschaner eigens eine Gesellschaft mit Sitz an der Zuger Bahnhofstrasse: Socar Energy Switzerland Holdings. Es ist dies nicht die erste Tochter des Staatskonzerns in der Schweiz. Seit vier Jahren geschäftet der offizielle Handels- und Marketingarm von Socar von Genf aus, 2010 wurde zudem die Gesellschaft Supra Investments gegründet. Die Verwaltungsräte beider Gesellschaften in Genf sind identisch und weitgehend mit Mitgliedern der Chefetage aus der Konzernzentrale von Socar in Baku besetzt.

Nahe beim Präsidentenpalast

Faktisch hat dort trotz vordergründig unabhängigem Management der Staatspräsident das Sagen. Das war schon immer so. Gegründet wurde Socar 1992 aufgrund eines Dekrets des damaligen Staatspräsidenten Hejdar Alijew. Zwei Jahre später war sein Sohn Ilham bereits Vizepräsident des Staatsunternehmens, heute ist er als Nachfolger seines Vaters an der Spitze der 10-Millionen-Einwohner-Republik am Kaspischen Meer.

Der Präsidentenpalast in der Hauptstadt Baku ist nur ein kurzer Spaziergang vom Socar-Hauptsitz entfernt. Dort sitzt inzwischen Rovnag Abdullajew auf dem Chefstuhl, der nebenbei als Präsident des aserbaidschanischen Fussballverbandes amtet. Dass beim wichtigen Devisenbringer Socar trotz personellem Wechsel noch immer der Clan von Präsident Alijew das Sagen hat, steht für Beobachter ausser Frage. Auch in weitaus weniger lukrativen Sektoren hat der Präsident unter anderem über seine Frau und seine Töchter die Finger im Spiel. «Die Monopolisierung des Marktes ist in Aserbaidschan stark», sagt ein Banker unter Zusicherung der Anonymität. «Die Verschmelzung von wirtschaftlicher und politischer Macht ist eng. Jedes Regierungsmitglied hat wirtschaftliche Interessen. Und es herrscht ein starkes Clan- und Familienwesen.»

Korruption und Vetternwirtschaft

Zwar gehören die Mitglieder und Günstlinge der Präsidentendynastie laut dem Magazin «Forbes» nicht zu den Milliardären dieser Welt. Reich sind sie aber alleweil. Und beim Aufbau dieses Vermögens ging es nicht immer nur sauber zu. Korruption und Vetternwirtschaft gehören am Kaspischen Meer zum Alltag. Im Korruptionsindex von Transparency International belegt Aserbaidschan zusammen mit Nigeria und Simbabwe Platz 134 von 178 erfassten Staaten.

Auch Socar ist davon nicht frei. Im Mai 2011 belegte der Konzern wegen seiner Intransparenz in einem spezifischen Ölbranchen-Ranking von Transparency zusammen mit der russischen Gazprom und Sonangol aus Angola den letzten Platz von 44 untersuchten Öl- und Gasunternehmen, die 60 Prozent des Weltmarktes abdecken.

Undurchsichtig sind auch die Verhältnisse rund um die Schweizer Firmen von Socar. Die Genfer Socar Trading bezeichnet sich auf ihrer Website als «internationaler Marketing- und Entwicklungsarm» des aserbaidschanischen Staatskonzerns. Über sie läuft der ganze Socar-Rohstoffhandel, 2011 will sie 38 Milliarden Dollar Umsatz machen.

Doch Socar Trading gehört gar nicht direkt dem Staatsunternehmen aus Aserbaidschan, sondern einer Holding in Malta. Gleiches gilt für Supra Investments aus Genf. Socar ist an dieser maltesischen Gesellschaft nur zur Hälfte beteiligt. Die anderen 50 Prozent gehören zwei Gesellschaften, deren Spuren sich bei Socar-Managern und Geschäftspartnern von ihnen auf den British Virgin Islands und in den Vereinigten Arabischen Emiraten verlieren. Wer als wirtschaftlich Berechtigter den Gewinn aus dem blühenden Genfer Rohstoffhandel kassiert, ist damit ebenso unklar wie die Frage, ob der ehemalige Socar-Vize und heutige Staatspräsident dazugehört.

Die Korruptionsanfälligkeit der aserbaidschanischen Elite und von Socar jedenfalls ist gerichtlich bewiesen. In einem Schuldeingeständnis (plea agreement) von 2010 mit den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden räumte der Schweizer Logistiker Panalpina ein, jahrelang aserbaidschanische Offizielle bestochen zu haben. Laut Anklage bezahlte Panalpina zwischen 2002 und 2007 rund 900000 Dollar Schmiergeld – in einem Land, dessen Durchschnittseinkommen bei weniger als 500 Franken liegt. Panalpina-Sprecher Rainer Weihofen bestreitet, dass der Logistikkonzern Geld an hohe Regierungsfunktionäre bezahlt hat: «Die bestätigten Beträge bezogen sich auf Zahlungen an Zollbeamte im Zusammenhang mit der Verzollung von Kundengütern in der Zeitperiode bis 2007. Es wurden nie Zahlungen an Regierungsbehörden oder hochrangige Funktionäre geleistet.»

Früher allerdings floss das Geld direkt in die Taschen von Staatsvertretern. 2003 beschuldigte die US-Strafjustiz den Schweizer Banker und Rechtsanwalt Hans Bodmer der Bestechung. Er bekannte sich schuldig. Er hatte im Rahmen der geplanten Privatisierung von Socar zwischen 1997 und 1999 Schmiergelder an hohe Vertreter von Aserbaidschan und Socar bezahlt. Ein Kunde Bodmers wollte damit zweierlei erreichen: Einerseits, dass Socar tatsächlich privatisiert wird. Andererseits, dass er die Aktienmehrheit am Gas- und Ölunternehmen erhält.

Die Gerichtsdokumentation aus den USA legt nahe, dass der Schweizer Banker Bodmer die dokumentierten Zahlungen via Bank Hyposwiss an den damaligen aserbaidschanischen Staatspräsidenten Hejdar Alijew sowie dessen Sohn und Nachfolger Ilham überwiesen hatte. Obwohl er gestanden hat, ist Bodmer bis heute nicht verurteilt worden. Er wartet noch immer aufs Urteil wegen Geldwäscherei.

Warten auf das Urteil

Trotz der Zahlungen an hohe Socar- und Staatsvertreter – die Privatisierung von Socar wurde abgeblasen. Es gibt Zweifel, dass die Privatisierungspläne jemals ernst gemeint waren.

Heute bemüht sich Socar mehr denn je um ein sauberes Image. Im Juni verkündete Konzerncef Rovnag Abdullajew, dass sein Unternehmen sich den höchsten internationalen Standards unterwerfe, Socar-Vizepräsident Nassirow zeichnet seinen Gästen unermüdlich das Bild einer nahen Zukunft, in der Aserbaidschan Europas Energiepartner sein wird. «Sehen Sie sich unsere Geografie an», sagt er: «Wir sind fast ausschliesslich von nicht freundschaftlichen Ländern umgeben. Nichts ist für uns daher wichtiger, als unsere Exportrouten zu diversifizieren.»

Kein Thema scheint Socar mehr zu beschäftigen. Das verwundert nicht, schliesslich befand sich das Land nach dem Austritt aus der Sowjetunion lange in der Isolation. Erst als BP 2005 die Ölpipeline BTC, an der Socar ein Viertel hält, von Baku zum türkischen Hafen Ceyhan und eine parallele Pipeline (BTE) in die Türkei eröffnet hatte, bedeutete das den Beginn der ersten Dollarschwemme, aber auch der Einrichtung eines Ölfonds, aus dem etwa Infrastrukturprojekte oder Studienaufenthalte im Ausland finanziert werden.

Um künftig auch die grossen Gasreserven, die nach neuen Funden mit 2550 Milliarden Kubikmeter geschätzt werden, auf den westlichen Markt zu bringen, braucht es nochmals eine Pipeline. Noch ist offen, welches der westlichen Konsortien (Nabucco, ITGI oder die vom Schweizer Versorger Axpo/EGL mitgetragene TAP) den Zuschlag für das Gas aus dem Feld Shah Deniz II erhält. Socar-Manager Nassirow, ein enger Vertrauter von Staatspräsident Alijew, stellt schon mal klar: «Die Entscheidung wird nicht politisch getroffen, sondern nach dem Kriterium, was wirtschaftlich am meisten bringt.» Das sehen BP und Statoil, die mit Socar die Lizenz an Shah Deniz halten, ebenso. Als Vertreter des Staates freilich verfügt Socar über die entscheidende Stimme, auch wenn der Anteil nur 10 Prozent beträgt.

 

Autokratischer Staat: Probleme mit Menschenrechten

Helvetistan
Im Internationalen Währungsfonds (IWF) ist Aserbaidschan Teil von Helvetistan – der Stimmrechtsgruppe, die der Schweiz einen begehrten Sitz im IWF-Exekutivrat garantiert. Wirtschaftlich gesehen ist Aserbaidschan für die Schweiz nach Kasachstan zweitwichtigster Rohöllieferant. 2010 hat die Schweiz im autokratischen Staat am Kaspischen Meer für fast eine Milliarde Franken eingekauft, 96 Prozent davon waren Rohöl. Umgekehrt exportierte die Schweiz in erster Linie Maschinen und Edelmetalle. Insgesamt betrugen die Ausfuhren 142 Millionen Franken.

Menschenrechte
Laut Amnesty International gibt es in Aserbaidschan kein Recht auf freie Meinungsäusserung. Die Gesetze zum Verbot von Folter und anderen Misshandlungen entsprechen nicht den internationalen Standards. Doch obwohl das Thema Menschenrechte eine Priorität der Schweizer Aussenpolitik darstellt, wird Aserbaidschan nicht offiziell kritisiert: Im Frühjahr besuchte Aussenministerin Micheline Calmy-Rey den aserbaidschanischen Präsidenten, letzte Woche war Doris Leuthard auf Staatsbesuch in Baku. Beide Male stand das Thema Energie im Zentrum der Gespräche.

Erdgas
Der Schweizer Energieversorger Axpo hofft darauf, ab 2017 Erdgas aus Aserbaidschan beziehen zu können. Laut dem aserbaidschanischen Staatsunternehmen Socar besitzt das Land 5 Billionen Kubikmeter Erdgas.