Nein, leicht hatte es sich Ueli Forster nicht gemacht bei der Standortsuche. Der Präsident des Verwaltungsrates des St. Galler Textilunternehmens Forster Rohner AG sowie Präsident von Economiesuisse baute 1994 im chinesischen Suzhou einen Produktionsbetrieb, der sechs Jahre später mit einem modernen Ausrüstwerk ergänzt wurde. In Suzhou werden Stickereien für den wachsenden chinesischen Markt produziert und verkauft.

Der Standort drängte sich aber nicht von vornherein auf. «Wir hatten vorab ein Evaluationsverfahren durchgeführt, das über mehrere Jahre hinweg lief», sagt Forster. Unter die Lupe genommen wurden potenzielle Standorte in Indonesien, Thailand und Taiwan, «aber auch in der Schweiz, die immer mit im Wettbewerb stand».

Heute ist die Stickerei-Gruppe mit Tochtergesellschaften in der Schweiz, in China und mit integ-rierten Ausrüstwerken in Rumänien und Österreich präsent, dem EU-Zentrum der Stickerei. Eigene Verkaufsbüros in London und Hongkong - den Weltzentren des Textilgeschäfts - erleichtern zudem den Dialog mit wichtigen Kunden. Ueli Forster: «Bei der Standortfrage zählen für uns wie vermutlich für alle privatwirtschaftlich orientierten Unternehmen beschaffungs-, produktions- und absatzbezogene Faktoren. Das zeigt zugleich die Beschränktheit einer staatlich geprägten Wirtschaftsförderung.»

*«Best-Practice» fehlt*

Tatsächlich. Investitionsentscheide werden primär auf Grund interner, betriebswirtschaftlicher Gesetzmässigkeiten gefällt, die von aussen nur schwer beeinflusst werden können. Allgemeine Informationen, wie sie offizielle Standortförderungen zur Verfügung stellen, spielen keine entscheidende Rolle.

Dies ist auch die Erfahrung von Thomas Bieger, Direktor und Professor des Instituts für Öffentliche Dienstleistungen und Tourismus (IDT-HSG) der Universität St. Gallen: «Im globalen Wettbewerb optimieren Unternehmen ihre Produkte und Abläufe, aber auch ihre Standorte laufend. Die Faktoren, die für die Auswahl des jeweils besten Standortes massgebend sind, variieren je nach Branche und Strategie der Unternehmen.»

Eine «Best-Practice» diesbezüglich habe sich deshalb weder in den Unternehmen noch in den Beratungsfirmen bislang etabliert. Hier will Bieger mit dem «St. Galler Forum für Standortmanagement» Abhilfe schaffen. Es soll ersichtlich werden, wie in Unternehmen bei Standortentscheiden vorgegangen wird und welche Anforderungen an die Standorte und die Rahmenbedingungen gestellt werden.

Leichter gesagt als getan. Denn die wirklichen Gründe für die Standortentscheidungen sind nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich. Rein theoretisch ist alles klar: Soll ein neues Produktionswerk hochgezogen werden oder wird ein neuer Firmensitz gesucht, wird zuerst analysiert, gerechnet und dann entschieden. Harte Faktoren wie Nähe zur Kundschaft, zum Arbeitsmarkt oder zum Rohstoff stehen zuoberst (siehe Tabelle). «Vor allem im internationalen Management werden Entscheidungsprozesse auch sehr professionell angegangen», hat Hans-Dieter Haas, Professor am Institut für Wirtschaftsgeografie der Ludwig-Maximilians-Universität München, festgestellt.

*Selektive Selektion*

Eine gewisse Unberechenbarkeit liegt jedoch beim Menschen, konkret bei den Entscheidern auf Stufe Verwaltungsrat und Konzernleitung, die mit subjektiver und selektiver Wahrnehmung sowie persönlichem Verhalten und Präferenzen einen sich aufdrängenden Entscheid noch in andere Bahnen lenken können.

Haas erwähnt in diesem Zusammenhang die Standortsuche eines Hightech-Unternehmens mit 10000 Beschäftigten und 200 Mio Euro Umsatz in München. Weil der Platz in der Stadt zu eng wurde, fand mit Hilfe des Instituts für Wirtschaftsgeografie ein Evaluationsverfahren statt. Der Geschäftsleiter konnte sich allerdings nur den Standort München West beim ehemaligen Militärflugplatz Fürstenfeldbruck vorstellen, weil er als ehemaliger Absolvent und Ausbildner von Militärpiloten über eine hohe emotionale Bindung zu dieser Region verfügte.

Ähnliche Fälle, die gut als Denk-sportaufgaben herhalten könnten, gibt es zur Genüge. Wieso befindet sich beispielsweise die Produktionsstätte eines bedeutenden Schiffskranherstellers mitten in den Alpen? Weil der Standort zent-ral zwischen Mittelmeer und Nordsee liegt? Mitnichten! Wenn man weiss, dass dem Hauptaktionär zugleich ein Luxushotel vor Ort gehört, kommt man der Wahrheit wohl näher.

Oder wieso beliess der Honey-well-Gründer seine Garret Aviation nicht am bisherigen Standort in Kalifornien, sondern zog «in the middle of nowhere» bei Phoenix in Arizona? Antwort: Weil der Arzt dessen Ehefrau, die unter Atemproblemen litt, das Wüstenklima von Arizona empfohlen hatte. Wahre Liebe als Standortfaktor!

Oft führen aber auch unzureichende Daten und Methoden dazu, dass Standortentscheide, die ja existenziell sein können, «aus dem Bauch heraus» gefällt werden, ergänzt Stefan Held von der KPMG Deutschland. Held empfiehlt den verantwortlichen Personen, trotz individueller Entscheidungsprozesse für grösstmögliche Transparenz zu sorgen. Dadurch liessen sich Entscheide auch noch nach Jahren nachvollziehen und damit nachhaltiger abstützen.

Doch deshalb wird die Arbeit der kantonalen und regionalen Wirtschaftsförderer nicht einfacher. Für Unternehmer und Economiesuisse-Präsident Forster ist das staatliche Balzen um konkrete potenzielle industrielle Ansiedler in der Regel vergebliche Liebesmüh. Gescheiter dünkt ihn, die Ressourcen für die konstante Optimierung der Rahmenbedingungen einzusetzen.

Etwas offener gibt sich Thomas Bieger von der Universität St. Gallen. Er sieht beispielsweise gute Chancen, wenn Behörden bereits etablierte Unternehmen als Referenzen einsetzen. Aber auch Kooperation mit privaten Partnern wie Banken, Beratern, Unternehmen für Anlässe und Ansiedlungen kann Erfolg versprechend sein.

Wichtig seien zudem die in der Privatwirtschaft zum Standard gehörenden «After Sales», die Kundenbetreuung nach dem Kauf. Bieger: «Genau so sollen die Behörden auch mit bereits angesiedelten Unternehmen umgehen, damit sich diese in ihrem Standortentscheid bestätigt fühlen.»

*Überflüssige Lockmittel*

Als problematisch ist das Lockmittel der «speziellen Konditionen» wie Steuererleichterungen und Zuschüsse einzustufen.

Für die Behörden von Regionen, Kantonen und Gemeinden, die mit anhaltenden Steuerreduktionen für juristische Personen locken, ist die Sache ernüchternd. Spezielle Fördermassnahmen sind schlicht nicht Match-entscheidend. «Anreize machen einen schlechten Stand-ort nicht besser», meint lakonisch KPMG-Mann Held. Auch für Hans-Dieter Haas ist der Fall klar: «Das ist höchstens noch die Sahne obendrauf, wenn der Entscheid im Grunde bereits gefallen ist.»

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