Meine Kunden wollen weg von Xing», sagt der Social-Media-Berater Aldo Gnocchi. Bei der Planung von Kampagnen für neue Kunden spiele das Netzwerk überhaupt keine Rolle mehr. Und Social-Media-Manager Jürg Kobel sagt: «Für mich persönlich ist Xing schon seit längerer Zeit praktisch tot.» Dann fügt er an: «Ich bin nur noch dabei, weil ich einen Firmenaccount betreue. Die Interaktion auf Beiträge ist praktisch null.»

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Wer mit Schweizer Social-Experten über Xing spricht, erhält ein düsteres Bild. Tote Profile, kaum Interaktionen – und alle relevanten Debatten fänden auf Linkedin statt. Nicht auf Xing.

Was ist los mit dem Karrierenetzwerk, das einmal die Chance hatte, Linkedin die Stirn zu bieten? Warum gewinnt der blaue Konkurrent an Relevanz, während die Alternative aus Hamburg hierzulande immer weiter zurückfällt?

Raus aus Büro an Toplage

Ein Teil der Antwort heisst Corona. Die Pandemie hat das Wachstum von Xing (1,3 Millionen Schweizer Mitglieder; bei Linkedin sind es 3,2 Millionen) in 2020 verlangsamt. Einzelne Ertragssäulen mussten Rückgänge verzeichnen. Im Eventgeschäft konnte die Umstellung auf Online-Events das Ausbleiben von physischen Anlässen nicht ganz wettmachen. Auch bei den Werbeeinnahmen auf der Plattform gingen die Erlöse zurück. Stabil hingegen verlief das Geschäft mit Premium-Abos für Privatnutzer (102,7 Mio Euro vs. 103,2 Mio Euro in 2019). Und im E-Recruiting-Geschäft mit Firmen stiegen die Erlöse trotz Corona-Krise, wie das Unternehmen mitteilt.

Bei der Xing-Mutter New Work reagierte man mit Sparübungen. Auch der Zürcher Standort hat eine aus Hamburg verordnete Rosskur hinter sich. In den vergangenen Monaten wurde die gesamte B2C-Abteilung aufgelöst. Der Abbau von fünf Stellen wurde im November kommuniziert, das repräsentative Büro, wenige Minuten vom Paradeplatz entfernt, aufgegeben. «Der Stellenabbau im letzten Jahr war Teil eines konzernweiten Massnahmenpakets, um gezielte Investitionen in den Aufbau des New-Work-Markenportfolios zu ermöglichen», sagt Robert Bertschinger, der den New-Work-Standort, unter dessen Dach Xing geführt wird, in Zürich leitet.

1,3 Millionen Mitglieder

Xings Verhältnis zur Schweiz war schon vor Corona von einem Auf und Ab geprägt. Besonders verärgerte viele Nutzerinnen und Nutzer die überproportionale Preiserhöhung der Xing-Premiummitgliedschaft 2014. Diese betrug bis zu 82 Prozent bei einer Zweijahresmitgliedschaft und sorgte für einen Proteststurm, der viele Austritte zur Folge hatte. 

Ein weiteres Problem von Xing in der Schweiz: die Sprache. Die Romandie und das Tessin waren bei Xing nie vertreten, da die Plattformsprache Deutsch ist. Für Firmen, die national auftreten wollen, und deren Mitarbeitende ein Problem.

Vor wenigen Tagen eröffnete der neue Xing- und New-Work-Sitz in der Schweiz. Er befindet sich im Erdgeschoss eines Büro- und Wohnkomplexes an der nördlichen Pfingstweidstrasse in Zürich-West. Die Räumlichkeiten sind kompakt, etwa von der Grösse einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Von dort aus werden auch die Arbeitgeberbewertungsplattform Kununu und das Tech-Jobportal Honeypot sowie die Bewerbungsmanagementsoftware Prescreen betreut. Diese werden immer näher an Xing herangerückt.

«Mit Prescreen und Honeypot haben wir zwei weitere Marken aus dem New-Work-Universum erfolgreich im Schweizer Markt eingeführt. Beide Angebote entwickeln sich erfreulich –und die Synergien mit unseren bisherigen Dienstleistungen kommen zum Tragen», sagt Bertschinger.

Viele Dienstleistungen für die Schweiz werden aus dem Ausland bezogen, so wird etwa die Kundengewinnung aus Wien unterstützt. Andere Leistungen kommen aus der Zentrale in Hamburg oder aus Valencia.

Das Luxus-Abo für 4000 Franken pro Jahr wurde eingestellt.  

Hat die Schweiz für die Karriereplattform an Relevanz verloren? Die Schweiz bleibe für New Work ein wichtiger Markt, der Wachstumschancen bietet, entgegnet Bertschinger. Klar ist aber, dass sich künftig weniger Angestellte um die Vernetzung mit lokalen Playern kümmern. Das war schon mal anders: Vor Corona herrschte so etwas wie Goldgräberstimmung.

Dafür steht etwa die Lancierung eines Luxusabos für Mitglieder. Kostenpunkt 4000 Franken pro Jahr. So viel sollten besonders netzwerkfreudige Schweizer Mitglieder hinblättern, um sich regelmässig mit einer Gruppe anderer Topführungskräfte auszutauschen – unter Aufsicht eines Coachs im Hotel Dolder Grand in Zürich. Inzwischen musste auch dieses Programm aufgrund geringer Nachfrage eingemottet werden.

Geringere Zahlungsbereitschaft

Für ehemalige Mitarbeitende ist die Entwicklung des Portals und die Tatsache, dass Linkedin immer mehr dominiert, bitter. Vieles, was man auf der statisch wirkenden Xing-Seite nicht habe vermitteln können, sei im Unternehmen gelebt worden, erklären Ex-Angestellte. Die Stimmung im Unternehmen sei dynamisch und innovativ.

Es fehle aber das Geld, um bei den massiven Investitionen, die Microsoft bei Linkedin tätige, nachziehen zu können. Allein die ständigen Entwicklungen für den Linkedin-Feed könne Xing nicht stemmen. Es sei eben etwas anderes, ob man den Weltkonzern Microsoft im Rücken habe oder das deutsche Verlagshaus Hubert Burda Media, so ein Ex-Mitarbeiter. Dabei sei die Plattform beim Thema Datenschutz sensibler als Linkedin.

Jetzt träumt man in der Firma jedenfalls nicht mehr von Fantasiegebühren, sondern ist froh, wenn man den Umsatz stabil hält. Dabei half das Sparprogramm (100 Stellen, 16 Millionen). «Insgesamt war die Geschäftsentwicklung in der Schweiz 2020 trotz Corona stabil und mit der wirtschaftlichen Erholung seit Anfang 2021 sind wir wieder am Wachsen», sagt Bertschinger. Konkrete Zahlen nennt er nicht. Die Xing-Mutter New Work weist keine Zahlen für die einzelnen Länder aus.

Ein Blick auf das Gesamtergebnis zeigt ein deutlich verlangsamtes Umsatzwachstum. In den ersten drei Monaten des Jahres ist der Umsatz gegenüber dem Vorjahreszeitraum leicht von 68,9 auf 68,0 Millionen Euro gefallen. Und das, obwohl mehr Mitglieder auf den Plattformen registriert sind, die aber offenbar weniger für den Dienst bezahlen wollen.

Und mit den Opentowork-Hashtags, die seit kurzem Linkedin-Profile zieren, sowie mit der Jobsuchfunktion wird auch noch das Kerngeschäft von Xing angegriffen, das sich immer wieder als Jobplattform von Linkedin abgrenzte.

Welche Zukunft hat die Plattform also? Wird sie ein immer weniger sichtbarer Teil eines Produktportfolios neben Kununu und Co.? «Unser Ziel ist, den Wachstumskurs durch die intensivere Nutzung von Synergien zwischen den verschiedenen New-Work-Marken weiter zu stärken. Aktuell befinden wir uns auf gutem Weg dahin», so Bertschinger.

Petra Strombeck, die Chefin des Mutterkonzerns New Work, schätzte die Plattform einmal so ein: «Wir helfen Berufstätigen, darunter auch der eher leisen Mehrheit, das tun zu können, was ihren Bedürfnissen entspricht, ihnen ein Guide für ihre ganz persönliche Arbeitswelt zu sein.»

Für viele ist es auf Xing aber bereits etwas zu leise geworden.

Social Media

Besuchen Sie uns bei Facebook, Linkedin & Co.