Streit mit Eli Lilly: Die wahren Hintergründe zur Razzia bei Novartis

Die Wettbewerbskommission hat im September eine Untersuchung gegen Novartis eröffnet. Die europäischen Behörden ermitteln ebenfalls. Der Vorwurf: Novartis soll ein Patent missbräuchlich vor Gericht geltend gemacht und damit eine marktbeherrschende Stellung missbraucht haben. In diesem Zusammenhang kam es zu einer Hausdurchsuchung am Novartis-Sitz und ersten Befragungen. Um welche Patente es ging, war bislang unklar. Novartis hat das Geheimnis nun selbst gelüftet. Im Finanzbericht zum dritten Quartal bestätigt der Konzern, dass die Untersuchung in Zusammenhang mit dem Blockbuster-Medikament Cosentyx stehen. Das Medikament ist derzeit das umsatzstärkste im Portfolio der Basler. Es erzielte im dritten Quartal einen Umsatz von 1,27 Milliarden Dollar, womit sich der Gesamtumsatz bis September dieses Jahres auf 3,71 Milliarden Dollar belief. 2021 summierte sich der Erlös auf 4,7 Milliarden Dollar. Das entzündungshemmende Medikament ist in allen Märkten ein Big-Seller. Es stützt unter anderem die Performance in Schlüsselmärkten wie China. Novartis, das 2021 fast 51 Milliarden Dollar Umsatz machte, baut seit 2015 darauf. Über 875’000 Patientinnen und Patienten weltweit sind laut eigenen Angaben bereits damit behandelt worden. Zweikampf mit Eli Lilly Einer der Hauptkonkurrenten von Cosentyx stammt von Eli Lilly, ebenfalls ein Milliardenkonzern. Umsatz 2021: knapp über 28 Milliarden Dollar. Die Hausdurchsuchung und die Weko-Untersuchung stehen denn auch in Zusammenhang mit einer harschen, juristischen Auseinandersetzung zwischen den beiden milliardenschweren Pharmafirmen. Bei Eli Lilly geht es ebenfalls um einen Blockbuster, was die harte Gangart erklärt. Taltz heisst der Umsatzgigant der Amerikaner. In der ersten Jahreshälfte 2022 erzielte das Eli-Lilly-Präparat einen Umsatz von 1,09 Milliarden Dollar und damit knapp die Hälfte dessen, was Cosentyx im selben Zeitraum einnahm.Wie die Pharma ihre Patente bis aufs Blut verteidigt Wenn es um Patente geht, dann scheuen Unternehmen wie Roche und Novartis keine Kosten. Jeder Monat zählt, jedes Jahr, das ein Patent früher ausläuft, kann in die Milliarden gehen. Da werden Klagen eingereicht, da wird vor Gericht gezogen und Berufung eingelegt, da wird Einspruch erhoben und da wird nochmals ein letztes Rechtsmittel ausgeschöpft. Jüngstes Beispiel: das MS-Medikament Gilenya von Novartis, für welches der Basler Pharmakonzern in den USA sogar den obersten Gerichtshof anruft. Patentieren, patentieren, patentieren – darum geht es. Der Basler Pharmakonzern Roche hat allein in der Schweiz 6466 Patente angemeldet, bei Novartis sind es 3813. Weltweit dürften die beiden Schweizer Grosskonzerne Zehntausende von Erfindungen zum Schutz angemeldet haben. Dabei werden längst nicht mehr nur Patente für Moleküle angemeldet, sondern auch für Herstellungsverfahren oder dafür, in welcher Form ein bestimmter Wirkstoff in der medizinischen Praxis verabreicht werden kann. «Das geistige Eigentum ist das Herzstück dieser Industrie», sagt Matthias Bünte, Partner beim deutschen Unternehmensberater Roland Berger. Ziel eines jeden Pharmaunternehmens müsse deshalb sein, sein geistiges Eigentum so gut wie möglich zu schützen. Mehr hier. Der Streit zwischen Eli Lilly und Novartis geht zurück ins Jahr 2020. Damals erwarb Novartis ein Patentportfolio von Genentech, das unter anderem zwei europäische Patente und drei US-Patentanmeldungen umfasste. Sie sind mittlerweile Gegenstand von mehreren juristischen Auseinandersetzungen. Novartis reichte direkt nach dem Erwerb des Portfolios mehrere Patentverletzungsklagen gegen Eli Lilly ein. Die Basler klagten unter anderem in Deutschland, Irland, Italien, Österreich und der Schweiz, wie Unterlagen aus den USA zeigen. Eli Lilly bestritt daraufhin nicht nur die Gültigkeit von mindestens einem der europäischen Patente von Novartis. Sie behauptete auch, dass Novartis wettbewerbswidrig handelte. Die Amerikaner kündigten vor Gericht an, bei mehreren europäischen Behörden Beschwerde gegen Novartis einzureichen, und leiteten eine separate Klage gegen Novartis in den Niederlanden ein. Doppelte Niederlage in den USA Gleichzeitig machte der Pharmakonzern Druck im Heimmarkt USA. Mit einer Klage, die im Sommer 2021 eingereicht wurde, wollte Eli Lilly gerichtlich erzwingen, dass Novartis Dokumente in Zusammenhang mit dem Erwerb des Genentech-Patentportfolios herausrücken muss. Diese Dokumente, erklärte Eli Lilly, würden dabei helfen, wettbewerbsrechtliche Ansprüche geltend zu machen, indem sie «die Absicht von Novartis hinter dem Erwerb des Patentportfolios aufdecken». Die Dokumente sollten auch dabei helfen, sich gegen die zahlreichen Patentklagen von Novartis zu schützen. Das Anliegen scheiterte. Im Januar 2022 wurde das Ansinnen abgeschmettert, im Sommer 2022 verlor Eli Lilly schliesslich vor dem amerikanischen Berufungsgericht. Novartis fehle es an einer entsprechenden Präsenz vor Ort, hiess es, deshalb sei das Gericht nicht zuständig. Zum Vorwurf des möglicherweise wettbewerbswidrigen Verhaltens gab es keinen Entscheid. Es waren zwei schwere Niederlagen für Eli Lilly. Die Untersuchung der Wettbewerbsbehörden dagegen ist ein Gewinn. Die Behörden haben die Vorwürfe der Amerikaner ganz offenbar ernst genommen und gehen ihnen jetzt auf den Grund. Novartis hält fest, dass sie vollständig mit den Behörden kooperieren würde, und weist die Vorwürfe, die Eli Lilly erhebt, «vehement» von sich.Weltmeister Schweiz – das Land mit den meisten Patenten Bei der Zahl neuer europäischer Patentanmeldungen pro eine Million Einwohner ist die Schweiz seit dem Vorjahr einsame Spitze und Weltrekordhalter. Und damit nachweislich das innovationsstärkste Land der Welt. Das geht aus dem Patent Index 2021 des Europäischen Patentamtes (EPA) in München hervor. Mit 969 Anmeldungen pro Million Einwohner ist die Schweiz das Land mit dem höchsten Durchschnittswert bei der Anzahl von Patentmeldungen – vor Schweden und Dänemark. Der Durchschnittswert gilt als der Indikator schlechthin für die Innovationskraft eines Landes. Mehr hier.