Der Stromkonsum hat 2003 in der Schweiz trotz Nullwachstum der Wirtschaft erneut um 2% zugenommen. Braucht unser Land deshalb nicht schon bald neue Produktionsanlagen?

Kurt Bobst: Es existieren verschiedene Szenarien, unter anderem vom Bundesamt für Energie (BFE) und dem Verband Schweizer Elektrizitätswerke (VSE), zur künftigen Entwicklung des Stromverbrauchs. Die entsprechenden Prognosen schwanken zwischen 0,5 bis 1,5%. Unsere Prognose geht von einem Wachstum zwischen 0,8 und 1,2% aus, was zu einem Verbrauch von rund 60 Terrawattstunden (TWh) führen würde. Wenn wir also das heute bestehende Reserveband von 5 bis 10 TWh pro Jahr beibehalten wollen, brauchen wir in vier bis fünf Jahren den Zugriff auf neue Produktionskapazitäten.

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Wie kann aus Ihrer Sicht der zunehmende Energiebedarf, vor allem beim Strom, künftig auf der Produktionsseite gesichert werden?

Bobst: Neben dem steigenden Verbrauch haben wir auch Anlagen, die ab dem Jahr 2020 vom Netz gehen werden. Wenn wir die mit berücksichtigen, ergibt sich bis zum Jahr 2030 ein Bedarf von gegen 4000 MW neuer Produktionskapazität.

Und wie kann diese Kapazität aus Ihrer Sicht gedeckt werden?

Bobst:: Zur Beibringung dieser Kapazitäten haben wir verschiedene Optionen wie langfristige Bezugsverträge mit ausländischen Produzenten oder den Bau von Kraftwerken in der Schweiz mit den unterschiedlichen zur Verfügung stehenden Technologien.

Was spricht dabei mehr für eine grosstechnologische und was mehr für eine dezentrale Lösung des sich abzeichnenden Produktionsproblems?

Bobst: Unsere heutige Infrastruktur im Netzbereich ist auf Grund der historischen Entwicklung auf grosse Kraftwerke ausgelegt. Ein Auffüllen der sich abzeichnenden Produktionslücke nur mit dezentraler Erzeugung würde somit zu einer Veränderung der Netzinfrastruktur und des Netzbetriebes führen. So wären die Übertragungsleitungen nicht mehr ausgelastet. Zudem muss berücksichtigt werden, dass dezentrale Erzeugungsanlagen heute nur mit einer gezielten Förderung durch den Staat wirtschaftlich sind.

Wäre der Bau eines neuen grossen Kernkraftwerkes, wie dies Alessandro Sala, der abgetretene CEO der Atel, kürzlich vorgeschlagen hat, also die logische Folge?

Bobst: Gewisse Lücken können in Zukunft sicher mit dezentraler Erzeugung geschlossen werden. Wenn die Funktion der internationalen Stromdrehscheibe auch in Zukunft gehalten werden will, muss aber auch in neue Produktionsanlagen in der Schweiz investiert werden. Dabei ist Kernkraft eine Option. Eine andere Option sind Gaskraftwerke.

Die Planung einer grosstechnologischen Produktionsanlage bedarf aber mindestens 15 Jahre. Wird damit die Zeit nicht schon bald knapp, um die sich abzeichnende Produktionslücke nahtlos zu schliessen?

Bobst: Ich gehe davon aus, dass eine Nuklearanlage einen Planungs- und Realisierungszeitraum in dieser Grössenordnung braucht. Insbesondere die zu erwartenden politischen Widerstände dürfen nicht unterschätzt werden. Bei einem Gaskraftwerk kann aber von geringeren Durchlaufzeiten ausgegangen werden. Der Zeitpunkt zur Erarbeitung der langfristigen Konzepte und der Start der Umsetzung muss daher in naher Zukunft erfolgen.

Was meinen Sie mit naher Zukunft?

Bobst: Die generelle Stossrichtung muss in den nächsten zwei bis drei Jahren definiert und festgelegt werden.

Drängen sich gerade aus Planungs- und Realisierungsgründen in naher Zukunft aber nicht doch eher dezentrale Strom-Produktionsanlagen auf?

Bobst: Die Kombination dezentraler Anlagen mit neuen grossen Kraftwerken wird die Zukunft sein. Es gilt ja neben der technischen und politischen Machbarkeit auch die Wirtschaftlichkeit der Anlagen und Projekte zu betrachten. Dabei spielt der gesetzgeberische Einfluss eine massgebende Rolle. Denken wir dabei nur an die mögliche Förderung dezentraler Erzeugung oder die Einführung von Lenkungsabgaben.

Bedarf es zur Sicherung der Versorgungssicherheit aber nicht unbedingt einer strategischen Planung in der Stromerzeugung?

Bobst: Natürlich braucht es zum jetzigen Zeitpunkt eine langfristige Betrachtungsweise, damit die sich anbietenden Optionen zum gegebenen Zeitpunkt realisiert werden können. Die grossen Energieunternehmen in der Schweiz befassen sich ja auch alle mit diesem Thema, und auch das Bundesamt für Energie setzt sich intensiv mit dieser Thematik auseinander.

Wer sollte aus Ihrer Sicht für diese Planung verantwortlich zeichnen? Der Bund?

Bobst: Bei der angestrebten Liberalisierung der schweizerischen Strommärkte wäre es falsch, wenn der Bund die gesamte Verantwortung für die Planung übernehmen würde. Der Bund muss vor allem die politischen Rahmenbedingungen festlegen, Förderung und Lenkungsabgaben politisch definieren. Die Industrie muss sich dann unter den definierten Rahmenbedingungen wirtschaftlich geschickt positionieren. Die Positionen müssen gegenseitig abgestimmt werden.

Electrowatt-Ekono hat die Produktionssituation in Europa und in der Schweiz gründlich analysiert. Zu welchen Schlüssen ist das Unternehmen dabei gekommen?

Bobst: Auf Grund der aktuellsten Analysen werden in den nächsten 20 bis 30 Jahren erhebliche Kapazitäten benötigt. Die meisten Länder müssen sich somit über kurz oder lang mit dieser Thematik befassen. Es ist dabei klar ersichtlich, dass die neuen Kapazitäten nicht nur mit neuen erneuerbaren Produktionsmitteln geschaffen werden können.

Also bedarf es doch auch nuklearer Anlagen?

Bobst: Es wird in Zukunft vor allem in konventionell thermische Anlagen Gas, Kohle , aber auch in Nuklearenergie investiert werden. Gerade das Beispiel von Finnland zeigt, dass diese Technologie in Europa nicht ausgeschlossen werden kann und soll.

Gemäss der Electrowatt-Analyse wird die Schweiz beim Strom in den nächsten 20 Jahren rund 4 Gigawatt an Leistung bereitstellen müssen. Woher sollen diese kommen?

Bobst: Unsere Studien zeigen, dass im Bereich Wasserkraft nur noch beschränkt zusätzliche Kapazitäten gebaut werden können. Damit stehen also neben den erneuerbaren Energien nur noch Gas und Kohle zur Auswahl. Der Bau eines Kohlekraftwerkes ist nach meiner Einschätzung in der Schweiz politisch nicht durchsetzbar. Gaskraftwerke haben den Vorteil, dass diese nicht nur als Baseload, sondern auch Mittellast und sogar Spitzenlast gefahren werden können.

Müsste die Schweiz aber nicht mit grösster Wahrscheinlichkeit auch erheblich mehr Strom als bisher importieren?

Bobst: Hier stellt sich die Frage nach der Art der Abhängigkeit. Wird Strom importiert oder die Primärenergie für die Stromproduktion? Falls sich die Industrie die geschaffene Position im internationalen Stromgeschäft aber erhalten will, kommt sie um Investitionen in die Produktion nicht herum.

Woher würde der Strom nach 2020 importiert? Wer käme dabei als möglicher Lieferant in Betracht?

Bobst: Falls sich der Bedarf an vermehrten Importen trotzdem aufdrängt, kommen die bekannten Produzenten auch in Zukunft in Frage. Es handelt sich dabei um die EDF, die bereits auch wieder erste Überlegungen zum Bau neuer Nuklearkapazität anstellt. Zusätzlich dürften die grossen deutschen Produzenten auch in Zukunft erhebliche Anstrengungen unternehmen, um als führende Anbieter auf dem Markt zu bleiben. Die Technologie wird stark von den politischen Entwicklungen in Deutschland abhängen.

Hätten auf Grund der kürzeren Projektdurchlaufzeit aber nicht auch kleinere Kraftwerke in Zukunft eine reelle Realisierungschance?

Bobst: Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, kann sich sicher ein Markt für diese Anlagen entwickeln. Ich denke dabei vor allem an Angebote im Bereich Contracting, welche die Energieversorger in eine neue Position zum Kunden bringen würden.

Welche Bedeutung kommt künftig bei einer Forcierung der dezentralen Stromerzeugung der integralen Planung der Netze und der Produktion zu?

Bobst: Der Bund muss sich rasch über die zukünftigen Rahmenbedingungen klar werden. Wird eine Forcierung der dezentralen Stromerzeugung gewünscht, kann dies nur über eine entsprechende Förderung passieren. Diese Entscheide haben einen erheblichen Einfluss auf die Planung der Netzinfrastruktur wie auch der gesamten Produktionsstruktur. Zudem braucht es neue Prozesse für den Betrieb und den Zugriff auf die Anlagen.

Wie beurteilen Sie generell die Perspektiven in der Stromversorgung in der Schweiz bis zum Jahr 2020?

Bobst: Die Stromversorgung in der Schweiz ist bis zum Jahr 2020 gesichert. Noch stehen wir also nicht vor einer Stromkrise. Die Stromindustrie muss sich aber für die Zukunft positionieren. Die aktuell starke Position im europäischen Stromgeschäft kann dabei nur gehalten werden, wenn zukunftsgerichtete Projekte realisiert werden können, auch in der Stromerzeugung in der Schweiz.



Profil: Steckbrief

Name: Kurt Bobst

Funktion: CEO Electrowatt-Ekono AG, Schweiz

Alter: 38

Wohnort: Holziken

Familie: Verheiratet, zwei Kinder

Karriere:

1985-1990 Sabag Hägendorf AG, Leiter Finanz- und Rechnungswesen, Administration

1990-1993 Atel AG, Finanz- und Rechnungswesen, Controlling

1993-2002 Beratungstätigkeit in der Energieindustrie

Seit 2002 Electrowatt-Ekono AG, CEO

Schlagworte:

«Die Energieversorgung in der Schweiz ...

... ist sicher und bleibt ein interessantes Thema auch für die Zukunft.»

«Die neue Elektrizitätswirtschaftsordnung ...

... ist der letzte Versuch, in der Schweiz die Liberalisierung geordnet zu bewerkstelligen.»

«Neue Nuklearanlagen ...

... sind eine echte Option, um die künftige Stromversorgung in der Schweiz zu sichern.»