Wenn Sylvie Sengelin-Ritter aus dem grossen Fenster des Messeturms in Basel auf den darunter liegenden Messeplatz schaut, hat sie eine Vision: Sie sieht Menschen. Menschen, die sich begegnen, die miteinander ein Glas Champagner trinken, plaudern. Die neue Leiterin der Schmuck- und Uhrenmesse «BaselWorld», weiss, dass «vieles auf dem Messegelände ausserhalb der Öffnungszeiten passiert». Kommunikation heisst der Motor, der die Branche antreibt. Der Meeting Point mit seinen Restaurants und Cafés ist sichtbares Zeichen dafür, dass die «BaselWorld» eine neue Chefin hat.

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Eine Chefin allerdings, die den Betrieb in- und auswendig kennt. Die gebürtige Französin, Jahrgang 1971 und seit 1994 bei der Messe Basel, ist ein hauseigenes Gewächs. Die logische Nachfolgerin von René Kamm, der diesen Bereich abgegeben hat, um sich mehr auf seine Aufgaben als Konzernchef konzentrieren zu können.

Auf den ersten Blick ist sie eine aparte, eher zarte Erscheinung im Hosenanzug. Schlicht das offene, glatte Haar, verhalten das Makeup. Bis auf einen auffälligen, speziell geschmiedeten Ring an der Hand keinen Schmuck. Die Herrin über 2200 Aussteller im Uhren- und Schmucksegment ist eine schnörkellose Businessfrau. Fest ist der Händedruck, die Stimme angenehm tief. Sie lacht gerne. Beispielsweise darüber, dass sie, obwohl an der Quelle, nicht viel Schmuck besitzt. «Das ist vermutlich wie in jeder Branche», meint sie in akzentfreiem Hochdeutsch, «wenn man von diesen Dingen umgeben ist, verlieren sie den Reiz.»

Ohne Verzögerung durchziehen

Sengelin-Ritter und ihr Team stecken mitten in den hektischsten Wochen des Jahres. Kurz vor dem Start der «BaselWorld» wird rund um die Uhr gearbeitet. Noch sind die Hallen fest in den Händen der Handwerker, die Geräuschkulisse ist die einer Baustelle. Mit hochgezogenen Schultern läuft die Chefin durch Halle 1, es bläst ein kalter Wind. Gleich zu Beginn die imposanten «Stände» von Rolex und Patek Philippe, für die der Ausdruck Stand ungefähr so passend ist wie die Bezeichnung Auto für einen Maybach. Die eingebauten technischen Raffinessen der mehrstöckigen Bauten lassen manch Villenbesitzer vor Neid erblassen.

In den letzten sieben Monaten haben die bestehenden Hallen Zuwachs bekommen, eine Lagerhalle des ehemaligen DB-Güterbahnhofareals wurde zur «Hall of Universe» für die «BaselWorld» umgebaut. Ein Lucky Punch für die Veranstalter, denn damit bleibt die Messe dieses Jahr ganz in Basel und muss nicht nach Zürich ausweichen. Die Tage der Chefin sind ausgefüllt, jetzt muss alles schnell gehen, «keine lange Zeit für strategische Überlegungen» meint sie lakonisch, «Beschluss. Umsetzung.»

Von 340 Fr. an aufwärts pro Quadratmeter bezahlen Schmuck- und Uhrenhersteller aus der ganzen Welt an Standmiete. Und da die «BaselWorld» die wichtigste und zugleich grösste Uhren- und Schmuckmesse der Welt ist, stehen die Aussteller Schlange, um einen der begehrten Standplätze zu ergattern. Die Messeleiterin ist froh darüber, «dass wir in der glücklichen Lage sind, nicht akquirieren zu müssen». In diesem Jahr sind Aussteller aus 44 Nationen dabei.

Das Sars-Debakel des vergangenen Jahres hat der Popularität der «BaselWorld», so scheint es, nichts anhaben können. Dennoch fällt ein Schatten über Sengelins freundlich-professionelles Geplaudere, als sie vom Frühjahr 2003 berichtet, «das war unsere allerschwierigste Zeit», sagt sie freimütig. Das zwei Tage vor Messebeginn verhängte Verbot für Aussteller aus den Ländern Hongkong, Vietnam, Singapur und China des Bundesamtes für Gesundheit brachte nicht nur einen Verlust von 18 000 Besuchern mit sich, sondern richtete auch enormen Imageschaden an. Viel Energie und Zeit musste zur Schadensbegrenzung aufgebracht werden. Inzwischen, so hofft Sengelin-Ritter, habe jeder begriffen, dass «der Kauf eines Tickets für die nicht die Gefahr erhöht, an Sars zu erkranken». Sie zuckt mit den Achseln, «gesunder Menschenverstand». Es gehörte auch zu den Aufgaben der Messeleiterin, bei den betroffenen Ländern für Verständnis zu werben.

Kein zartbesaiteter Führungsstil

Drei Monate im Jahr ist sie auf Reisen. Dieser Einblick in fremde Kulturen ist das, was sie an ihrem Job am meisten fasziniert. Sie versucht andere Mentalitäten zu verstehen, schliesslich möchte sie als Kopf eines Dienstleistungsunternehmens ihren Kunden und deren Bedürfnissen nahe sein. «Man ist geistig anders eingestellt, wenn man sich in eine andere Kultur einlebt.»

Ihr, der schweizerisch-französischen Grenzgängerin, muss das besonders leicht fallen. Aufgewachsen ist Sengelin-Ritter in Neuwiller, einer französischen Enklave an der Grenze zur Schweiz. Studiert hat sie in Strassburg und Freiburg im Breisgau und fühlt sich im Herzen des Dreiländerecks so zu Hause, dass sie die Grenzen mitunter einfach vergisst. «Von den vier Strassen, die es in Neuwiller gibt», sagt sie vergnügt, «führen drei in die Schweiz.» In 20 Minuten ist sie an ihrem Arbeitsplatz.

Studiert hat sie Wirtschaft, damals ein Probestudium der EU in Freiburg und Strassburg . Ein Projekt, das sich nicht etablieren konnte. 1994, nach dem Abschluss, ist sie direkt zur Messe Basel gegangen. Zunächst war sie für die damals geplante Auslagerung der Messehallen nach Frankreich oder Deutschland zuständig, vor acht Jahren wechselte sie dann zur Uhrenmesse als Projektleiterin Schmuckbereich. In den vergangenen fünf Jahren hat sie an der Seite von René Kamm gearbeitet, «das hat sehr gut funktioniert, wir verstehen einander auch ohne viel Worte».

Daher der reibungslose Übergang. Eine externe Person, davon ist Sengelin-Ritter überzeugt, hätte länger gebraucht, um sich einzuarbeiten, «im Messegeschäft muss man mindestens ein Jahr dabei gewesen sein, um zu wissen, wie es funktioniert». Das Team hat sie problemlos akzeptiert. Das Thema Frau? Der Blick aus den grossen Augen ist belustigt, «wieso will das die Presse immer wissen?» Für sie selbst sei das vollkommen irrelevant. «Ich dachte immer, erfolgreiche Frauen müssten sich Männerallüren zulegen, und das will ich nicht.» Sie will sie selbst sein. Auch mit ihren femininen Seiten, «selbst wenn mache Männer sich vielleicht wünschen, man benehme sich so, wie sie es gewohnt sind».

Dabei ist ihr Führungsstil laut Aussage ihrer Mitarbeiter keineswegs zartbesaitet. Kommunikativ, das ja, aber «sehr fordernd». Sylvie Sengelin-Ritter hält nicht viel von Geschwätz. Am liebsten hat sie die Fakten auf dem Tisch, «ich mag keine langen Einleitungen und Schlussfolgerungen». Es gehe bei ihr immer um die Sache, sagt ihr Team. Man bekomme, was man brauche, aber dann habe man zu funktionieren. «Ich bin schliesslich keine One-Woman-Show, ich sehe mich als Taktangeber, ich gebe die Richtung vor.»

Keyboarderin in einer Band

Und was macht die Chefin, um den Kopf frei zu bekommen? «Ich spiele Klavier», antwortet sie schnell. Um sich Geld fürs Studium zu verdienen, hat sie früher Keyboard in einer Band gespielt, «auf Hochzeiten». Sie winkt ab, das findet sie nicht besonders. Ihr Privatleben sei sowieso nicht aussergewöhnlich, «das darf man nicht erwarten». Natur, lesen und mit Freunden zusammensein, meint sie lakonisch, «wie das bei allen so ist».

Die «BaselWorld» des einen Jahres ist zugleich Neuanfang der nächsten. Sie schaut ab Mai bereits auf 2005. Und damit auf die erste, die unter ihrer Regie entstehen wird.



Profil: Steckbrief

Name: Sylvie Sengelin-Ritter

Funktion: Messeleiterin «BaselWorld»

Geboren: 1971

Wohnort: Neuwiller (F)

Karriere:

Studium der Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Strassburg (F) und Freiburg im Breisgau (D)

1994 Eintritt in die Messe Schweiz als Verantwortliche für die Bereiche Schmuck, Edelsteine und Länderpavillons

seit 1.1.2004 Messeleiterin der Weltmesse für Uhren und Schmuck «BaselWorld»

Firma:

Die «Baselworld» (15.-22. April), eine Veranstaltung der Messe Schweiz, ist die führende Weltmesse für Uhren und Schmuck und erlebt in diesem Jahr ihre 32. Auflage. Rund 80000 Besucher des Facheinzel- und Fachgrosshandels begutachten dort auf 110000 Quadratmetern, verteilt auf 6 Hallen, die Kollektionen der rund 2200 Aussteller aus den Bereichen Uhren, Schmuck, Edelsteinen und Zulieferbranchen. Die Schmuck- und Uhrenmesse erreicht einen Umsatz von 60 Mio Fr., der wirtschaftliche Gewinn für die Region Basel erreicht rund 500 Mio Fr.