Als Stefan Kudelski im Alter von 84 Jahren vor rund einem Jahr verstarb, erinnerte sich die Welt an seine erste grosse Erfindung: Das Nagra I. Das portable Tonbandgerät kam 1952 auf den Markt, ein Jahr nach der Firmengründung. Bei professionellen Anwendern schlug es ein wie eine Bombe. Radiostationen aus ganz Europa bestellten es bei dem Westschweizer Unternehmen und statteten ihre Journalisten damit aus. Später wurde auch Hollywood auf das Gerät aus der Schweiz aufmerksam. Die Nagras definierten neu, was Aufnahmequalität bedeutet. Niemand konnte es besser – jahrzehntelang.

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Jetzt könnte sich die Geschichte wiederholen – in der digitalen Welt. Seit gut 20 Jahren produziert Nagra neben den Geräten für professionelle Anwender wie Radiostationen, Kinos oder Tonstudios auch Komponenten für private Musikliebhaber – im Wesentlichen Verstärker und CD-Spieler. Mit den Produkten, die der Konsument bei Mediamarkt oder Interdiscount kaufen kann, haben die Nagra-Komponenten allerdings wenig gemein. Zwar spielen auch sie Musik ab, allerdings in ganz anderer Qualität. Nicht satter Sound, sondern möglichst reiner und unverfälschter Klang ist das Ziel der Nagra-Ingenieure.

128 Mal besser als CD-Qualität

Auch der neuste Wurf aus dem Hause Nagra – ein sogenannter DAC, ein Digital-Analog-Konverter – setzt neue Massstäbe. Die ersten Testgeräte jedenfalls versetzen gerade Klangenthusiasten in helle Begeisterung. Dabei kann heute jedes Billig-Smartphone, was das Nagra-Gerät kann. Es übersetzt digitale Musikdaten in analoge Klangsignale und schickt diese weiter an Verstärker und Lautsprecher. Der Unterschied ist die Güte der Signalverarbeitung. Dabei gehört das Nagra-DAC zur Weltspitze. Es liefert einen Klang, der 128 Mal besser ist als jener einer CD. Für Hifi-Fans ist das so begeisternd wie eine persönliche Audienz beim Papst für Katholiken – besser geht nicht. Der reinste mögliche Klang – das Credo von Nagra – hat allerdings seinen Preis: Das Nagra HD DAC kostet beim Händler 22'900 Franken.

Die börsenkotierte Kudelski-Gruppe hat ihre Nagra-Audio-Division im Januar 2012 abgespalten. Sie firmiert neu als Audio Technology Switzerland und hat ihren Sitz in Romanel-sur-Lausanne. Vor der Trennung vom Mutterhaus arbeiteten 22 Angestellte für die Audio-Division, jetzt sind es 25. Das Unternehmen ist nach wie vor fest in der Hand der Kudelskis. Präsidiert wird es von Marguerite Kudelski, der Tochter des Firmengründers und Schwester von André Kudelski. Dieser wiederum ist Präsident und Konzernchef von Kudelski. Die Gruppe konzentriert sich auf Anwendungen für digitales Fernsehen, Cyber-Sicherheit und elektronische Zugangssysteme.

Gründer flüchtete in die Schweiz

Der verstorbene Gründer Stefan Kudelski wuchs in Warschau auf und flüchtete mit seiner Familie bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in die Schweiz. Der Name Nagra verweist auf die Wurzeln der Familie. Es ist eine Kurzform von «aufnehmen» auf Polnisch. Für seine Verdienste für die Filmindustrie wurde der Unternehmer mit zwei Oscars ausgezeichnet.

Marcel Speiser Handelszeitung
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