Die beiden neuen Filialen in der Stadt Zürich hatten Ende November 5500 Kunden. Die Kritik anderer Banken, wonach die Expansion der Raiffeiseninstitute zu stürmisch verlaufen sei, lässt Vincenz kalt: Die Risiken seien unter Kontrolle.

Wir gratulieren: Sie haben den Übernahmekampf in Interlaken gewonnen.

Pierin Vincenz: Wir sind froh, dass sich die Raiffeisenbank Unterseen nicht der RBA-Gruppe anschliesst, sondern bei uns bleibt. Die Generalversammlung vom letzten Samstag war für die Raiffeisengruppe ein Erfolg. Der Verwaltungsrat der Raiffeisenbank Unterseen, der den Übertritt zur RBA befürwortete, erhielt nicht einmal die Hälfte der Stimmen, dabei wäre eine Dreiviertelmehrheit nötig gewesen.

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Sie haben sich vehement für den Verbleib der Raiffeisenbank Unterseen im Verband gewehrt. Hatten Sie Angst, dass Ihnen weitere Banken davonlaufen?

Vincenz: Die Konstellation in Interlaken war wegen eines Bauprojekts ein Spezialfall. Es ging in Interlaken nicht darum, ob wir 100 Mio Fr. Bilanzsumme mehr oder weniger haben. Wie betrachten uns als Raiffeisenfamilie, die für jede Bank kämpft.

In jeder Grossfamilie kann es aber Konflikte geben. Die Raiffeisenbanken wachsen in den Städten. Konservative Genossenschafter behaupten, so verrate man die Tradition als Selbsthilfeorganisation.

Vincenz: Ich sehe hier keinen Konflikt. Es waren schliesslich die Mitgliedsbanken selbst, die Niederlassungen in den Städten eröffneten. Der Raiffeisenverband selbst gründete nur dort Niederlassungen, wo es kein Raiffeiseninstitut gab, das eine Stadt hätte erschliessen können. Das war in Winterthur der Fall, gilt aber auch für Basel, Zürich oder Bern.

Unsere grosse Befürchtung war, dass wir das Wachstum in den Städten nicht refinanzieren können. Nun haben wir in diesen neuen Standorten mehr Spargelder als Ausleihungen. Auch in fünf Jahren wird ein Grossteil unseres Ertrages aus ländlichen Regionen stammen. Wachstum erzielt die Raiffeisengruppe aber in den mehr städtisch geprägten Regionen wie dem Kanton Zürich, wo wir einen Marktanteil von erst 2% haben, während wir es im Kanton Thurgau auf 25 bis 30% bringen.

Wie erfolgreich sind die beiden neuen Filialen in Zürich?

Vincenz: Ende November hatten wir 5500 Kunden,170 Mio Fr. Kundengelder und 110 Mio Fr. Ausleihungen. Das Depotvolumen beträgt 60 Mio Fr. Damit sind wir zufrieden, denn schliesslich haben wir erst vor fünf Monaten eröffnet.

Wachstum ist das eine: In einem gesättigten Markt wie dem Retailgeschäft kommt es doch aber vor allem auf die Rentabilität an.

Vincenz: Wir unterscheiden nicht zwischen den Kunden. Ein Kleinkunde ist fünf Jahre später vielleicht ein gewichtiger Kunde falls er gut betreut wird. Einen guten Service vergessen die Kunden nicht so schnell. Immerhin weiss auch ein Migros-Laden nicht, wie viel ein Kunde ihm einbringt, wenn er in die Filiale hereinspaziert. Richtig ist aber: Die Rentabilität muss stimmen. Deshalb muss eine Bank ihre Arbeitsprozesse effizient gestalten, damit auch die Kunden mit geringen Vermögen möglichst effizient betreut werden können.

Wie aber steht es mit dem Risiko: So genannt gute Kunden werden auch von den anderen Banken zuvorkommend betreut, sodass sie keinen Grund haben, abzuspringen.

Vincenz: Auch in den Wachstumsmärkten verfolgen wir nach wie vor eine restriktive Kreditpolitik.

Gerade das bezweifeln Ihre Konkurrenten aber: Andere Banken sagen, dass sie zwar Kunden an Raiffeisen verlieren würden, diesen aber nicht nachtrauern, da sie riskant und eher unrentabel seien.

Vincenz: Dieses Lied höre ich von den anderen Banken, seitdem ich für die Raiffeisengruppe arbeite. Und das sind nun sechs Jahre. Ich möchte nur festhalten: Unsere Profitabilität ist in den letzten Jahren nicht gesunken, und auch die Risikolage hat sich überhaupt nicht verschlechtert

Das Kosten-Ertrags-Verhältnis ist auf über 57,9% gestiegen, und dies nach 52,6% im Jahr 1999.

Vincenz: Das ist die Folge des Wachstums, insbesondere der Neueröffnung und Modernisierung von Bankstellen. Diese Phase wird mit der Eröffnung einer Niederlassung in Bern im kommenden Herbst abgeschlossen sein. Die Raiffeisengruppe kann die Expansion verkraften, weil wir einige sehr ertragreiche Jahre bei guter Wirtschaftslage hatten. Heute wäre eine solche Wachstumsstrategie schwieriger zu bewerkstelligen.

Ist die Expansion in die Städte nicht riskanter, da dort die soziale Kontrolle durch die Genossenschafter fehlt und der Liegenschaftsmarkt komplizierter ist?

Vincenz: Wir verfolgen überall die gleiche Kreditpolitik. Auch in den neuen Standorten gibt es mehr abgelehnte Kreditgesuche als zustimmende. Das ist entscheidend. Zudem vergeben wir in den Städten keine grossen Kreditbeträge. Ein Objekt von mehr als 1 Mio Fr. ist für eine Raiffeisenbank immer noch ein Luxusobjekt auch in der Stadt.

Schliesslich können wir dank unseres Vorstosses in die Städte das Kreditrisiko diversifizieren. Jedenfalls ist es sinnvoller, in Zürich zu wachsen als beispielsweise im Jura, wo die Raiffeisenbanken einen Marktanteil von 40% haben.

Es ist aber eine unbestreitbare Tatsache, dass alle Banken, die in den letzten Jahren ihr Wachstum forciert haben, in eine Krise gerutscht sind: Diese Erfahrung machten die Grossbanken in den 90er Jahren und jetzt die Vermögensverwalter.

Vincenz: Die Raiffeisen-Gruppe ist grundsätzlich in gesättigten Märkten und nicht in Wachstumsmärkten tätig. Unser Wachstum erfolgte harmonisch im Rahmen unserer bewährten und langfristigen Geschäftsprinzipien.

Umso schlimmer: In einem gesättigten Markt zu wachsen, scheint noch gefährlicher.

Vincenz: Wir gewinnen pro Jahr zwischen 0,5 und 1% Marktanteil. Das ist eigentlich wenig. Anders als bei den Vermögensverwaltern beruht unser Erfolg nicht auf einer Spekulationsblase. Die Raiffeisenbanken sind in einem traditionellen, konservativen Geschäft tätig. Unsere Marktanteile sind regional sehr unterschiedlich. Man kann uns auch deshalb nicht mit den Kantonalbanken vergleichen, die bereits Marktanteile von 30% besitzen.

Hat die Raiffeisengruppe diese Marktanteilsgewinne nicht zu teuer erkauft? Der Geschäftsaufwand stieg in den letzten beiden Jahren jeweils um über 12%.

Vincenz: Vor vier Jahren fällten wir einen klaren Beschluss: Die Raiffeisenbanken sollen möglichst viele Entscheide vor Ort treffen. Eine solche dezentrale Organisationsstrategie schlägt sich auch in den Kosten nieder. Unsere Banken sollen aber Entscheidungskompetenz haben. So spüren die Kunden unser Engagement sehr direkt.

Trotzdem: Ist ein Kosten-Ertrags-Verhältnis von 57,9% für eine Retailbankgruppe nicht zu hoch? Die Regionalbanken bringen es jedenfalls auf ein besseres Verhältnis.

Vincenz: Es kommt stets darauf an, welche Grössen verglichen werden. Tatsächlich tiefer ist der Ertrag pro Mitarbeiter. Das ist aber unter anderem die Folge des spesenfreien Mitgliederkontos und anderer Mitgliedervorteile. Beim Geschäftsaufwand pro Mitarbeiter schneiden wir gut ab. Auch bei der Bilanzsumme pro Mitarbeiter befinden wir uns im Mittelfeld der Retailbanken.

Trotzdem hat die Raiffeisengruppe ein Sparprogramm eingeleitet.

Vincenz: Ja. Die Kosten des Verbandes sollen im nächsten Jahr nicht steigen. Auch bei den Banken gibt es noch Spielraum, um zu sparen.

So arbeiten bei den Raiffeisenbanken jedes Jahr mehr Leute, obwohl viele Institute fusioniert haben. Auch darin unterscheidet sich Raiffeisen von anderen Bankengruppen.

Vincenz: Die rechtlichen Fusionen sollten die Professionalität fördern. Es ging also nicht darum, Filialen zu schliessen. Trotzdem: Die Gruppe hat noch ein beachtliches Sparpotenzial, falls die Kunden die Filialen vor Ort zu wenig nutzen. Denn man kann sich ruhig fragen: Muss die Raiffeisengruppe wirklich einen Drittel der Schweizer Bankfilialen betreiben?

Wollen Sie mehr Selbstbedienungszentren?

Vincenz: Nein. Die Gruppe hat 200 Filialen, die sich im Umkreis von zwei Kilometern befinden. Hier sehe ich Optimierungschancen.

Es wird Filialschliessungen geben.

Vincenz: Ja, falls ein Standort zu den erwähnten 200 Filialen gehört und rote Zahlen schreibt.

Auf wie viele Filialen trifft das zu?

Vincenz: Zurzeit auf wenige.

Ziehen Filialschliessungen einen Stellenabbau nach sich?

Vincenz: Das ist nicht vorgesehen. Unser Ziel muss es sein, mit dem momentanen Personalbestand das Wachstum zu bewältigen.

Sie sprechen schon wieder von Wachstum. Vorher tönte es so, als ob diese Phase allmählich abgeschlossen sei.

Vincenz: Neue Standorte wird es wie gesagt keine geben. Wir wollen differenziert wachsen, indem wir im Umfeld der siebzig neuen Standorte den Marktanteil erhöhen. Diesen neuen Filialen verdanken wir bereits 30% unseres Wachstums. In den traditionellen Raiffeisenregionen wollen wir intensiver mit den bestehenden Kunden zusammenarbeiten.

Dazu zählen Blankokredite an Gewerbekunden. Ist dieses etwas riskantere Geschäft im Sinn der Genossenschafter, die immerhin eine Nachschusspflicht von 8000 Fr. tragen?

Vincenz: Zur Diskussion stehen Blankokredite von höchstens 100000 Fr. Bis jetzt haben wir Blankokredite über unsere Bürgschaftsgenossenschaft verbürgt. Für die einzelne Bank bestand so kein Risiko, für die Gruppe aber durchaus. Unser Kreditwissen in den Banken reicht, um ein Kreditgesuch seriös abzuklären.

Wollen Sie das KMU-Geschäft ausweiten?

Vincenz: Nein. In der Schweiz gibt es rund 280000 KMU. Die Raiffeisenbanken unterhalten mit 80000 dieser KMU Geschäftsbeziehungen. Diese Beziehungen wollen wir noch vertiefen, indem wir die Firmen umfassender beraten. Allerdings haben wir es nicht darauf abgesehen, Bankpartner für mittlere und grosse Firmen zu sein.

Steckbrief

Name: Pierin Vincenz

geboren: 1956

Ausbildung: Promovierter Betriebswirt

Funktion: Vorsitzender der Geschäftsleigung der Raiffeisen-Gruppe Schweiz