Sabine Dörlemann wagte letztes Jahr den Sprung ins kalte Wasser. Nach einer Auszeit entschloss sie sich, ihren eigenen Verlag zu gründen. Ein mutiger Schritt, denn die schweizerische Verlagslandschaft befindet sich im Umbruch. Traditionsreiche Verlage verschwanden als Folge des harschen Preis- und Konkurrenzkampfs von der Bildfläche wie der Haffmans-Verlag oder wurden von deutschen Häusern geschluckt wie der Manesse Verlag von der Deutschen Verlangsanstalt oder der Arche Verlag ursprünglich von Luchterhand. Die Jungverlegerin Dörlemann war von ihrem Vorhaben überzeugt und ihr Sprung in die Selbstständigkeit war bisher erfolgreich. Das erste Buch, die Erzählung «Ein unbekannter Freund» vom russischen Literaturnobelpreisträger Iwan Bunin (1933), wurde über 40000 Mal verkauft, erhofft hatte man sich 3000 verkaufte Stück.

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Blühender Buchmarkt

Die risikofreudige Büchermacherin ist Sinnbild für den gegenwärtigen Zustand des schweizerischen Buchmarkts. «Ich will mit meinem Verlag ein Zeichen setzen. Ich glaube an die Zukunft», sagt Dörlemann. Ein mehrheitlich positives Bild zeichnet auch Lucien Leitess, langjähriger Leiter des Unionsverlags. «Die Verlagsszene ist sehr innovativ und effizient. Mit wenigen Mitteln gelingt eine beeindruckende Produktion.» In der Tat: In der Schweiz arbeiten an die 500 Verlage, die jährlich rund 11000 Bücher in allen Landessprachen herausgeben und einen Umsatz von rund 450 Mio Fr. generieren. Von der Produktion wird gut die Hälfte exportiert.

Gemäss einer Studie der Prognos AG machen von den 350 Deutschschweizer Verlagen nur gerade 40 mehr als 1 Mio Fr. Umsatz. Der grösste Verlag ist Diogenes in Zürich mit einem letztjährigen Umsatz von 63 Mio Fr. Daneben setzen drei weitere Verlage über 10 Mio Fr. um: Der Medizinfachverlag Hogrefe & Huber, der Weka-Verlag Zürich und der nichtstaatliche Schulbuchverlag Klett-Balmer in Zug.

Vier Verlage bewegen sich in der Umsatzklasse von 5 bis 10 Mio Fr.: Der Orell Füssli Verlag und Schulthess Juristische Medien. Die Hallwag-Gruppe, zu der auch Kümmerly & Frey gehört, wurde an den deutschen Gräfe & Unzer Verlag verkauft. In diese Kategorie gehört auch die Schweizer Niederlassung von Langenscheidt. Von den 30 Verlagen, die jährlich mehr als 1 Mio Fr. umsetzen, ist rund die Hälfte selbstständig: Zum Beispiel Paul Haupt, Schwabe, Stämpfli und Zytglogge. Ein Drittel ist in deutschen Händen, darunter Birkhäuser, Helbing & Lichtenhahn, Manesse, Nagel & Kimche, Sauerländer und Scherz. Die übrigen Verlage gehören Zeitungsunternehmen: AT-Verlag, Benteli, Beobachter, NZZ und Werd Verlag.

Allerdings dürfte den Verlegern in diesen Tagen wieder bewusst werden, wie sehr das Bücherproduzieren eine Gratwanderung zwischen Erfolg und Misserfolg ist. Als Schattenseite des schweizerischen Buchmarkts nennt Leitess die «schleichende Erosion». Zum einen konzentriert sich der deutschsprachige Buchhandel immer mehr in Deutschland. Durch die Übernahme von Verlagen gehe der Schweiz, so Leitess, ein Stück Kultur verloren. Viele Autoren, gerade jüngere, seien auf Schweizer Verlage angewiesen. Ein breit gefächerter Regionalmarkt sei Garant für ein Stück lebendiger Schweizer Geistesgeschichte.

Was Leitess ebenfalls Kopfzerbrechen bereitet, sind die zurückgehenden Subventionen an die Bibliotheken. Mit höchstens gleich bleibenden Etats schaffen sie vermehrt elektronische Medien (CD, DVD, Computerspiele) an, wodurch sie bei neuen Büchern Abstriche machen. Es ist ohnehin ein gesellschaftliches Phänomen, dass im Wettkampf um Zeit und Raum das Buch den Kürzeren zieht. Schliesslich schwebt eine düstere Wolke am Bücherhimmel: Der ausstehende Entscheid über die Buchpreisbindung.

Risiken eingehen

Dass diese Woche dennoch über 200 Schweizer Verlage nach Frankfurt an die weltweit grösste Buchmesse pilgern, spiegelt ihre optimistische Haltung. Wer sich die Verlagsprogramme etwas genauer anschaut, kann die Einschätzung von Martin Jann, Geschäftsführer des Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verbands, teilen. Der schweizerische Buchmarkt blüht. Die Vielseitigkeit ist beeindruckend. Und dies ist an einer Messe mit insgesamt 6600 Ausstellern aus über 100 Ländern, die rund 350000 Titel, darunter knapp ein Viertel Neuerscheinungen, präsentieren, unumgänglich. Lenos und der Unionsverlag beispielsweise, die seit Jahren unermüdlich arabische Literatur herausgeben, können dieses Jahr in Frankfurt die Früchte ihrer harten und engagierten Arbeit ernten: Die arabische Welt ist Gastland an der Messe. Der Niggli Verlag, der neu die Kulturzeitschrift «Du» herausgibt, und Birkhäuser haben mit ihren Architekturbänden weit über die Schweizer Grenzen Anerkennung erlangt. Ebenso der Theologische Verlag Zürich und der Kinderbuchverlag Nord Süd, der mit dem «Kleinen Eisbär» und dem «Regenbogenfisch» gleich zwei Weltstars geboren hat. Und da gibt es zahlreiche Spezialitäten wie der Solothurner Verlag Nachtschatten, der sich auf Drogenliteratur fokussiert.

In Frankfurt finden die existenziellen Kontakte zu Literaturagenten, Übersetzern und Kritikern statt. Zwischen Apéros und Cocktails werden Verträge, Lizenzen und immer mehr auch Filmrechte ausgehandelt. Es gilt, den Riecher für Neuentdeckungen zu haben und zu überzeugen. Kleinverlage wie die zehnjährige Edition Epoca haben die Chance, abseits des Mainstreams Nischen zu besetzen und bewusst Risiken einzugehen, die die Grossen aus Rentabilitätsgründen meiden. «Von solchen Herausforderungen lebt der Buchmarkt», sagt Verlegerin Dörlemann. «Und es macht Spass.»

Wettbewerb: Preisbindung wackelt

Mit wachsender Nervosität erwarten Verleger und Buchhändler den Entscheid der Eidgenössischen Wettbewerbskommission (Weko) über die Buchpreisbindung. Die ersten Signale aus dem Umfeld der Weko deuten auf ein Ende hin. Wie Mediensprecher Patrik Ducrey Informationen der «HandelsZeitung» bestätigte, hat die Weko den involvierten Parteien einen Verfügungsentwurf zur Vernehmlassung zugestellt. Darin wird die Aufhebung der Buchpreisbindung beantragt. Offenbar ist die Weko nach einer Effizienzprüfung zum Schluss gelangt, die Preisabsprache zwischen Verlegern und Buchhändlern liege nicht im überwiegenden öffentlichen Interesse und lasse keine Ausnahme im Kartellgesetz zu. Das letzte Wort ist indes noch nicht gesprochen. Der Vorentscheid ist juristisch nicht bindend. Die Parteien können schriftlich Stellung beziehen. Diese Positionen fliessen in die endgültige Verfügung der Weko. Der Weko-Entscheid, der angefochten werden kann, fällt im ersten Halbjahr 2005. Die Verlage legen mit dem Sammelrevers von 1993 den Endverkaufspreis für deutschsprachige Bücher verbindlich fest. Die Weko erklärte 1999 diese Praxis wie die Rekurskommission für Wettbewerbsfragen für ungültig. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, weil das Bundesgericht der Anfechtung des Schweizerischen Buchhändler- und Verlegerverbands und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels aufschiebende Wirkung erteilt hat. Die Weko muss abklären, ob die Preisbindung aus Gründen der wirtschaftlichen Effizienz gerechtfertigt werden kann. (pi)