Management

Viele Firmenchefs sind auf dem Schlankheitstrip: Auf der Suche nach dem Kerngeschäft und nach Liquidität verordnen sie den Abteilungen massive Schrumpfkuren und schliessen ganze Divisionen. Eine Lektion aus früheren Zeiten haben sie dabei offenbar vergessen: Mit den Angestellten verlieren die Unternehmen auch deren Wissen, vor allem das implizite. So bezeichnen sich Schweizer Grossunternehmen zwar gerne als «Wissenskonzerne» kaum müssen sie umstrukturieren und Geld sparen, hat diese wichtigste Ressource indes keine Priorität.

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Dass Wissensmanagement nicht existiert, zeigt sich spätestens, wenn Entlassene (mit teuren Verträgen) zurückgeholt werden müssen. So musste die Credit Suisse Oswald Grübel, Leiter der Credit Suisse Financial Services, zurückholen, weil sie kein umfassendes Wissensmanagement aufgebaut hat. «Jeder Bereich muss sein Knowledge selber sicherstellen», sagt Pressesprecherin Caroline Kälin. Damit ist die Grossbank keine Ausnahme: Auch in Unternehmen wie der UBS, Swisscom, Sunrise, Migros oder Sulzer wird das interne Wissen nicht firmenübergreifend bearbeitet. In zwei Dritteln aller Schweizer, deutschen und österreichischen Firmen bleibt das Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter unberührt, so eine Studie des Stiftungslehrstuhls für Unternehmertum an der Uni Hohenheim.

«Viele Führungskräfte haben noch nicht erkannt, dass Wissensmanagement Wettbewerbsvorteile in Form von schnelleren und besseren Entscheidungen bringt», sagt Benjamin Gilgen, Berater bei der Zurich Consulting Company. Finanzinstitute etwa hätten es bisher nicht nötig gehabt, das Wissen (über Kunden) aktiv zu managen. «Sie konnten bis anhin gut von ihren Margen leben.»

Umfeld muss stimmen

«Eine der grössten Herausforderungen für Wissensmanagement ist, ein Umfeld zu schaffen, in dem Mitarbeiter dem Versprechen trauen, dass, je mehr sie preisgeben, umso intelligenter alle zusammen werden», konstatiert Werner Müller, Organisationspsychologe und Professor an der Uni Basel. Dieses Vertrauen ist in den letzten Jahren der Manager-Exzesse aber stark gesunken und wird mit der neuen Abbauwelle erneut gemindert. «Ist das Sozialkapital zerstört, wird in der Belegschaft weniger interagiert. Niemand weiss mehr, wem er vertrauen kann», erklärt Müller. Die Folge: Der Wissensaustausch sinkt (vgl. Kasten).

In den Firmenleitungen setzen die Verantwortlichen denn auch weniger auf Vertrauen, um die Angestellten dazu zu bringen, ihre «Schatzkästchen» zu öffnen. Ihre Anreize funktionieren wesentlich einfacher: «Eine grosse Motivation für die Mitarbeiter ist die Möglichkeit, ihr eigenes Wissen den Kollegen und Vorgesetzten präsentieren zu können», sagt Loni Leder, Leiterin der Developement-Abteilung der UBS. «Jeder hat eine narzisstische Ader.»

Andere Unternehmen sichern das Wissen mittels Kontrolle. Bei der deutschen Niederlassung der Credit Suisse etwa überwacht ein Managementinformationssystem, ob die Berater ihr Wissen über die Kunden regelmässig in die Datenbank eingeben. Ähnliche Systeme sind gemäss Benjamin Gilgen auch bei Schweizer Privatbanken im Einsatz. Ein verbreitetes Instrument ist ausserdem, das Engagement der Mitarbeiter zum Know-how-Austausch in die Mitarbeiterqualifikationen einzubinden. So muss ein Associate-Berater der Consulting-Abteilung der IBM seine Beiträge ans Knowledge-Managementsystem beweisen können, bevor er befördert wird. Deren Qualität wird von Knowledge-Managern überprüft.

Umdenken im Gang

Solche «Zwangsmassnahmen» würden verschwinden, sagen Anke Houben und Stefan Odenthal von der Unternehmensberatungsfirma Arthur D. Little «Zu Beginn wurden die Knowledgemanagementsysteme, die hauptsächlich auf technischen Datenbanken fokussiert waren, den Mitarbeitern oft aufgezwungen.» Die zweite Generation des Wissensmanagements rücke aber den Menschen und die Förderung der Wissenskultur stärker ins Zentrum. «Es geht heute viel mehr um das Know-how», so Odenthal. Also zu wissen, welcher Kollege in welchem Bereich Spezialist ist. Um den zwischenmenschlichen Kontakt zu intensivieren, sollen bei einem Kunden beispielsweise die Mitarbeiter per Zufallsgenerator miteinander Mittagessen gehen. Andere Unternehmen wie die Swiss Re, die Winterthur Insurance oder die Komax haben globale Wissensnetzwerke oder Expertenzirkel gegründet, in denen sich gewisse Mitarbeiter aller Länder als Experten real oder virtuell treffen, um Wissen auszutauschen und zu generieren. Sie stellen nicht nur Berichte ins Intranet, sondern können direkt von Kollegen befragt werden. Sandra Gisin, Leiterin der Informations- und Wissensdivision der Swiss Re, hat die Erfahrung gemacht: «Wenn sich die Mitarbeiter persönlich kennen, wird Wissen leichter ausgetauscht.»

Unternehmen und Wissenskultur

Abschottung blockt den Austausch ab

Die Ignoranz der Führungskräfte ist nicht der Hauptgrund dafür, dass das implizite Wissen der Mitarbeiter in Schweizer Unternehmen vergeudet wird. Wichtiger ist der kulturelle Aspekt: Ein Grossteil der Geschäftsleitungen hat es noch nicht geschafft, eine Kultur des Wissenteilens in ihren Unternehmen zu verankern. «Jeder Angestellte sitzt in seinem eigenen Kabäuschen und kommt vor lauter Betriebsamkeit nicht dazu, sich mit Kollegen auszutauschen», beschreibt Norbert Thom, Leiter des Instituts für Organisation und Personal der Uni Bern, die Situation in den Unternehmen. Dabei geht es nicht nur um den Zeitdruck und darum, dass die Mitarbeiter den Zusatzaufwand scheuen, mit ihrem Wissen Kollegen zu unterstützen oder Datenbanken zu speisen. Für sie stellt sich vielmehr die Frage nach der eigenen Positionierung im Unternehmen «Wissen ist Macht, also behalte ich das Wissen für mich», wird argumentiert. Die Vorgesetzten, weil sie zu starke Konkurrenz von unten befürchten die Unterstellten, weil sie Angst haben, sich selbst überflüssig zu machen. «In Zeiten des starken Wandels sind Tendenzen hin zur Wissensabschottung feststellbar», sagt Sprecher Sepp Huber.

Die «Überlebensängste» der Mitarbeiter sind berechtigt und dies nicht nur in Zeiten des Personalabbaus. Denn grosse Pharmafirmen wie Pfizer oder Novartis, die bereits ausgereifte Knowledge-Systeme haben, können die Projekte und das Wissen ihrer Forschungsmitarbeiter derart gut kodifizieren und aufzeichnen, dass ganze Forschungsteams in wenigen Tagen ersetzbar sind.(bv)