Swiss Re habe viele selbstzufriedene Mitarbeiter. Den Vorwurf, den Swiss-Re-CEO Jacques Aigrain am Wochenende in der «SonntagsZeitung» fallen liess, hat nicht nur die 11500 Mitarbeitenden des weltgrössten Rückversicherungskonzerns geschockt, die wegen des Abbaus von 2000 Stellen ohnehin schon stark verunsichert sind. Aufgeschreckt hat Aigrain auch die ganze Schweizer Versicherungsbranche: Betrifft der Vorwurf in seinen Augen alle Unternehmen in der Schweiz?

Wenn dem so ist, dann wird es für die Angestellten der Versicherungskonzerne ungemütlich. Der Druck auf die Industrie wird aufgrund der globalisierten Finanzmärkte weiter zunehmen. Nicht nur wegen der Konsolidierung, den Umstrukturierungen und so genannten Kostensenkungsprogrammen, die in der Schweizer Assekuranz in den letzten fünf Jahren 8338 Stellen (17%) kosteten; am 1. Januar 2006 zählte der Schweizer Versicherungsverband (SVV) noch 41028 in der Privatassekuranz beschäftigte Mitarbeiter.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

*Flucht aus unserem Markt*

Der Druck nimmt auch aus dem Norden zu. Immer mehr Deutsche klopfen bei den Schweizer Versicherungskonzernen an und reichen ihre Bewerbungsunterlagen bei den Personalabteilungen ein. «Ja, dieser Trend ist deutlich spürbar», sagt Rolf Schäuble, Verwaltungsratspräsident der Bâloise. «Die Zahl der Anfragen aus Deutschland ist klar gestiegen.»

Ähnlich tönt es bei Zurich Financial Services: «Aus Deutschland erhalten wir aufgrund der angespannten Arbeitsmarktsituation bereits seit längerem regelmässig Bewerbungen», erläutert Chris Dunkel, Personalchef bei der Zürich Schweiz.

Die Anfragen gehen von qualifizierten Mitarbeitern über das mittlere Management bis zu den Topshots. Besonders zahlreich sind die Bewerbungen für Softwareentwickler, Controller, Mathematiker, Physiker, Riskmanager, Aktuare, Revisoren, Portfoliomanager, PR-Redaktoren und Übersetzer, wie die Personalrekrutierer von Zurich Financial Services, Swiss Life und Bâloise feststellen.

Hauptgrund für diese Entwicklung ist der Umbruch im deutschen Versicherungsmarkt. Die Allianz hat die Streichung von 7500 Stellen angekündigt, davon 5000 bei den Versicherungstöchtern und 2500 bei der Dresdner Bank. Zurich Financial will bis zu 1000 von 5700 Jobs abbauen. Durch die Fusion von Gerling und HDI gehen mindestens 1500 Stellen verloren. Unklar ist ausserdem, welche Konsequenzen in Deutschland (und in der Schweiz) die Übernahme der Winterthur durch Axa haben wird.

*Arbeitsbedingungen locken*

Die Verunsicherung in Deutschland ist derart riesig, dass Schweizer Versicherer für Leute in gekündigter und ungekündigter Stellung plötzlich sehr interessant werden. Das spricht sich herum und wird dem Vernehmen nach auch von deutschen Arbeitsämtern empfohlen.

Dies aus zwei Gründen: Erstens fördern die bilateralen Verträge zur Personenfreizügigkeit mit der EU ausländische Bewerbungen. Zweitens sind die Arbeits- und Lebensbedingungen in der Schweiz für ausländische Bewerber attraktiv. Dunkel: «Wir rechnen deshalb damit, dass die Anzahl der Bewerbungen künftig noch zunehmen wird.»

Für die internationalen Konzerne wie Swiss Re und Zurich gehören Bewerbungen aus dem Ausland zum Berufsalltag. Für die mittelgrossen Versicherer dagegen eröffnen sich neue Möglichkeiten. «Spezialisten mit Expertenwissen bereichern ein Team», sagt Helvetia-Patria-Sprecher Daniel Schläpfer. Die Qualität wird klar gesteigert.

Zudem sind Fachspezialisten aus Deutschland günstiger als Schweizer, von bis zu 20% ist die Rede. Für die Konzerne ein gewichtiges Argument, um die Personalkosten im Griff zu behalten. Kein Wunder, meint Swiss-Life-Mediensprecher Rob Hartmans: «Bei der Besetzung einer Vakanz haben sehr gut ausgebildete Deutsche eine gute Chance.»