Fulvio Pelli hat vorgesorgt. Der 51-jährige Nationalrat und Anwalt aus Lugano räumte noch vor seiner Wahl zum neuen Präsidenten der freisinnigen Fraktion ein paar potenzielle Risiken aus dem Weg. Die Medacta Int. SA und die New Ambrosetti Technologies müssen künftig auf seine Dienste als Verwaltungsrat verzichten. «Ich habe den Eindruck gewonnen, dass ich die Mandate nicht mehr meinen Vorstellungen gemäss wahrnehmen konnte», begründet Pelli. «Je exponierter das politische Amt, das man antritt oder innehat, desto sorgfältiger muss man überprüfen, wofür man sich im Beruf und in der Wirtschaft engagiert.»

Mit wachem Gespür reagiert Pelli auf die jüngsten Entwicklungen im Verhältnis von Politik und Wirtschaft, welche ausgerechnet die FDP ? gemäss Selbstverständnis die Wirtschaftspartei des Landes ? in eine schwere Führungs- und Identitätskrise gestürzt haben. Wie viele andere war die Partei in den 90er Jahren der neoliberalen Versuchung erlegen und musste dafür, weil sie dagegen nie klar Stellung bezog, für die Exzesse raffgieriger Wirtschaftsexponenten den Kopf hinhalten. Ihre traditionelle Funktion als «Brückenbauerin» zwischen Politik und Wirtschaft konnte die FDP spätestens ab dem Zeitpunkt nicht mehr erfüllen, als sich die Wirtschaft in den 90er Jahren von der Politik abkoppelte.

Mittlerweile kehrt die Politik zurück: Die Krise von Swissair, ABB, Tornos, Von Roll, Rentenanstalt, Zurich, Swiss Dairy Food hat Manager und Verwaltungsräte entzaubert. Weitere Liberalisierungen sind durch das Nein zur Öffnung des Strommarkts gestoppt worden. Die heftigen Debatten um die engen personellen Verflechtungen zwischen Politikern und den Aufsichtsgremien von Swissair und Rentenanstalt haben schliesslich auch deutlich gemacht, dass die politischen Verwaltungsräte abgedankt haben.

*Die frage nach der Kompetenz*

Die neue Sensibilität hat Konsequenzen. Galten die Verwaltungsratsmandate Gerold Bührers bei seinem Amtsantritt im April 2001 als Ausdruck seiner «ausgezeichneten Beziehungen zur Wirtschaft» und Zeichen seiner Wirtschaftskompetenz, so wurde der gleiche Tatbestand 18 Monate später als «Filz» gebrandmarkt. Das bekommt als Erster der potenzielle Bührer-Nachfolger Hans-Rudolf Merz zu spüren, der sich auch parteiintern mit Fragen unter anderem zu seiner Verbindung mit dem Schmidheiny-Konzern konfrontiert sieht.

Das neue Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft verträgt keine so genannten «Schattenwürfe», wie Bührer tatsächliche oder mögliche negative Folgen seines wirtschaftlichen Engagements für seine Partei bezeichnete. Solche Risiken lassen sich nach den Worten des CVP-Wirtschaftsexperten und Nationalrats Hansueli Raggenbass vermeiden, «indem man keine heikle oder politisch brisante Mandate übernimmt». Diese umschreibt er so: «Das sind Mandate, bei denen nicht wirtschaftliche, sondern politische Fragen im Vordergrund stehen.»

Für «verwerflich» hält es SVP-Nationalrat Christoph Blocher, «wenn Politiker nur in Verwaltungsräte gewählt werden, weil sie Politiker sind». Der Zweck solcher «Verfilzung» sei klar: «Die Unternehmen, vor allem aus den Bereichen Versicherungen, Banken, Luftfahrt und Bau, wollen über die Politiker in Bern Vorteile für sich herausholen.» Seine Kritik illustriert Blocher mit der Zusammensetzung des Rentenanstalt-Verwaltungsrats: «Sind zum Beispiel die FDP-Ständerätin Christine Beerli oder der CVP-Bauernpolitiker Josef Kühne, die im Renten-VR sassen oder sitzen, kompetent in Versicherungsfragen?»

Blochers Purismus wird, weil auch parteipolitisches Kalkül dahinter steckt, nicht überall goutiert. «Ich gehe als Politiker nach Bern und nicht als Vertreter einer Firma», formuliert FDP-Nationalrat Pelli sein Selbstverständnis. Zu diesem gehört allerdings auch, dass Politiker mit Leitungsfunktionen bei der Übernahme von Mandaten «zurückhaltend» sein sollten. CVP-Ständerat Franz Wicki und FDP-Nationalrat Peter Kofmel teilen diese Ansicht. Wicki: «Jedes Mandat engt den Spielraum eines Politikers ein.» Und Kofmel: «Politische Führungspositionen und Verwaltungsratsmandate lassen sich kaum miteinander vereinbaren, auch aus zeitlichen Gründen nicht.»

An die Persönlichkeit und Unabhängigkeit von Politikerinnen und Politikern, die gleichzeitig Mandate aus der Wirtschaft innehaben, würden besonders hohe Anforderungen gestellt, meint CVP-Vertreter Raggenbass. «Nur so kann man als Politiker seine Glaubwürdigkeit bewahren.»

*Der «Röhrenblick eines Buchhalters»*

Es sei wichtig, dass in den Verwaltungsräten von Unternehmen neben den Fachleuten auch Politiker sitzen, «die andere Sehweisen und Sensibilitäten einbringen», ist FDP-Nationalrat Felix Gutzwiller überzeugt. «Das politische und gesellschaftliche Umfeld hat sich dermassen gewandelt, dass zum Beispiel ein Bank-Verwaltungsrat nicht nur finanzpolitische Überlegungen machen kann», sagt Gutzwiller zu seinem VR-Mandat bei der Bank Hofmann. Umgekehrt profitiert der Präventivmediziner von seinem Engagement im fremden Branchenmilieu: «Meine Kompetenz in Wirtschaftsfragen ist dadurch grösser geworden.»

Wer die Wirtschaftspolitik kompetent mitgestalten will, braucht mehr als den «Röhrenblick eines Buchhalters», die der Meinung von SP-Nationalrat Rudolf Strahm viele vermeintliche Wirtschaftsfachleute auszeichnet. Vordringlich sei das Bewusstsein für volkswirtschaftliche Prozesse. Solches vermisst auch Raggenbass: «Es gibt nur wenige, die zum Beispiel in der Debatte um das Mietrecht mehr sehen als einen Hickhack zwischen Mietern und Vermietern.»

Ein fähiger Wirtschaftspolitiker ist nach Blocher jemand, der in der Lage ist, «die Interessen der gesamten Wirtschaft über jene des einzelnen Unternehmens zu stellen». Wenn auch in Fällen umstritten ist, was die Interessen der Wirtschaft nun seien, findet Blocher Zustimmung. So sagt die verwaltungsratserfahrene Zürcher FDP-Ständerätin Vreni Spoerry: «Es ist die Stärke des Milizparlaments, dass wir als Konsument, Gewerkschafter, Bauer oder Unternehmer unterschiedliche Sichtweisen in die Politik hineintragen und uns bemühen, eine mehrheitsfähige Lösung zu erarbeiten.»

Solche neue Wirtschaftspolitik setzt allerdings gerade in der FDP die Einsicht voraus, «dass in einer vernetzten Welt die Wirtschaft kein Eigenleben führen kann und für die Entwicklung der Gesellschaft mitverantwortlich ist», wie der Solothurner FDP-Mann Peter Kofmel fordert.

Eine alte Erkenntnis, und ausserdem eine bewährt schweizerische.

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