Visionapartmentsgründerin Anja Graf geriet in Corona-Sturm: Ein Gespräch über Krisen und Chancen

Frau Graf, Hätten Sie als junge Unternehmerin ebenfalls bei einer Sendung wie «Die Höhle der Löwen» mitgepitcht? Anja Graf: Auf jeden Fall. Man muss alles versuchen, wenn man es zu etwas bringen will. Wegen der Erfahrung eines Fernsehauftritts? Oder wegen des Geldes? Ich wäre wegen des Kapitals in die Sendung gegangen. Und dann hätte ich wohl herausgefunden, dass der Werbeeffekt auch nicht zu unterschätzen ist. Spüren Sie als Jurorin in der Sendung ebenfalls einen Werbeeffekt für Ihr Unternehmen Visionapartments? Wir haben auch Privatkunden – da denke ich schon, dass meine Präsenz einen gewissen Werbeeffekt hat. Benötigt Visionapartments momentan mehr Werbung als üblich? Die letzte Zeit war wirklich nicht einfach. Zu normalen Zeiten hat unsere Gruppe eine Auslastung von 95 Prozent. Als der Lockdown kam, konnten wir nur noch zusehen, wie die Zahlen stetig sanken. Das war natürlich sehr stressig. Die Selfmade-Löwin Anja Graf ist Gründerin, CEO und Verwaltungsratspräsidentin von Visionapartments. Geboren 1977 in Winterthur, lancierte sie das Unternehmen 1999. Es vermietet möblierte und betreute Apartments in eigenem Besitz in der Schweiz, Deutschland, Österreich, Polen sowie auf Mallorca; ferner vermittelt Visionapartments gut 130'000 Wohnungen von Partnerfirmen. Anja Graf wurde auch bekannt als Jurorin – «Löwin» – in der TV-Sendung «Höhle der Löwen Schweiz» auf TV24. Wie ist die Auslastung aktuell? Wieder höher. In Zürich – unserem grössten Standort – sind wir zum Beispiel wieder bei knapp 70 Prozent, und die Zahlen steigen. Aber es gab in dieser Krise auch interessante Phänomene: In Zug blieben die Gästezahlen zum Beispiel immer hoch. Und in Saint-Sulpice, direkt neben der ETH Lausanne, sind unsere Apartments jetzt schon wieder «fully booked». Kein einziges Zimmer mehr frei. Wo klemmt es hingegen? An unseren deutschen Standorten steigen die Zahlen nur mühsam wieder hoch, so in Frankfurt und vor allem in Berlin. Dort sind wir noch bei 60 Prozent. Haben Sie eine Erklärung dafür? In Berlin werden die Apartments eher touristisch genutzt. Jetzt, da es den Hotels schlecht geht, gibt es hier auch mehr Konkurrenz für uns. Und der Businesspersonenverkehr, auf den wir spezialisiert sind, ist in Berlin weg. Insgesamt leben Sie zu drei Vierteln von Geschäftskunden. Ein Drittel unserer Buchungen kommt von internationalen Unternehmen: Dieses Geschäft ist noch nicht zurückgekehrt. Ein weiterer Drittel sind Geschäftsleute, die privat buchen. Sie sind zum Beispiel bei einem internationalen Konzern angestellt und erhalten für die Unterkunft eine Vergütung. Der letzte Drittel sind Privatkunden, etwa Personen, die zu Hause ausgezogen sind oder eine Freundin in einem anderen Land haben. Melden sich jetzt auch Geschäftsleute, die in Quarantäne müssen, wenn sie in die Schweiz kommen? Ja, wir haben Anfragen von Unternehmen, ob wir solche Leute nehmen. Die Antwort ist klar: sehr gern. Da eröffnen sich auch Geschäftschancen? Genau. Als die Auslastung stetig sank, kamen wir auf wilde Ideen für den Fall, dass es so weitergeht. Wir fragten uns, ob wir einzelne Liegenschaften dem Sozialamt übergeben oder sie einem Frauenhaus zur Verfügung stellen könnten. Wie beurteilen Sie die Lage strategisch: Befinden wir uns in einer Delle? Oder stehen Sie auch mit Ihren Wohnangeboten für Business-People vor einem fundamentalen Umbruch? Auf jeden Fall ist es eine Chance. Wir haben fast 2000 eigene Wohnungen, das gibt uns Stabilität. Wir treten zwar auch als Vermittler von Wohnungen auf, aber das macht nur etwa 10 Prozent unseres Geschäfts aus. Wenn wir davon leben müssten, wären wir sehr unter Druck. Auch die eigenen Wohnungen müssen Sie füllen. Gewiss, aber die Zinsen sind weiterhin tief – auf dieser Seite ist die Lage gut. Wir haben Finanzierungsstrukturen, bei denen wir teilweise sogar von den Negativzinsen profitieren. Dann ist es am Ende auch nicht so eine grosse Kunst, die Kosten zu tragen. Wir haben neunzig Mitarbeitende in Polen. Und wir haben hier in der Schweiz sehr wenige Leute mit wirklich hohen Salären. Angesichts der düsteren Erwartungen im Frühjahr haben wir eine weitere Abteilung nach Polen transferiert … … also haben Sie Stellen in der Schweiz abgebaut. Wie viele waren es? Etwa sieben. Das mussten wir tun. Sie besitzen gut 1800 Wohnungen. Wie stark ist die hypothekarische Belastung? Nicht einmal 60 Prozent des Schätzwertes der Liegenschaften. Sie haben entschieden, alle Liegenschaften von Visionapartments auch zu besitzen. Doch nun haben Sie im August in Luzern erstmals ein Haus verkauft. Zeichnet sich hier ein Strategiewechsel in der neuen Situation ab? Oder mussten Sie doch Kapital aufbringen? Nein. Das Haus, das wir Anfang 2019 gekauft hatten, war ein Hotel. Wir beantragten eine Nutzungsänderung – Hotel zu Wohnungen –, kamen aber zum Schluss, dass dem nicht stattgegeben wird. Strategisch war klar: Wir führen keine Hotels – also wollten wir es nicht behalten. Wir traten im November in Verhandlungen mit dem Swiss Central City Real Estate Fund. Noch in den Gesprächen wurde der Antrag überraschend doch bewilligt. Eigentlich wollte ich das Haus da gar nicht mehr verkaufen, aber ich stehe zu meinem Wort. Sie sehen auch: Wir sind keine Firma, die Mehrfamilienhäuser übernimmt, räumt und möblierte Wohnungen draus macht. Wir haben aber viele Hotels und Geschäftshäuser umgenutzt. In diesem Fall hatten wir obendrein das Gefühl: Luzern ist wohl doch etwas zu touristisch; so viele Businesskunden finden sich hier nicht. Suchen Sie weiterhin neue Objekte? Kaufen Sie sogar in der jetzigen Lage Liegenschaften? Klar. Wir suchen vor allem in der Schweiz. Aber einen kleinen Teil unseres Kapitals möchten wir auch in Ländern wie Rumänien investieren, denn dort hat noch kein derartiger Wertzuwachs stattgefunden wie hier. Die Miete einer Einzimmerwohnung liegt dann halt bei 500 und nicht bei 1800 Euro, aber das Verhältnis von Immobilienpreisen zu Mieten bietet Potenzial. «Man muss abwägen: Kauft man überteuerte Häuser hier? Oder sucht man neue Märkte?» Sind die Immobilienpreise in der Schweiz nicht sogar viel zu hoch, um noch über neue Investitionen nachzudenken? Man muss abwägen: Macht man gar nichts? Dann hat man auch Minuszinsen auf dem Kapital. Macht man etwas völlig anderes? Das liegt mir weniger – ich arbeite lieber an meiner Strategie, als einfach in ein neues Geschäftsfeld zu preschen. Oder kauft man die Häuser völlig überteuert? Oder geht man in einen anderen Markt? In Rumänien sind die Preise zum Teil noch nicht mal auf dem Schweizer Niveau von 2009: Der Markt hat sich dort also noch nicht von jener früheren Krise erholt. Was ist mit der anderen Flughöhe? Standorte à la London oder New York haben Sie bislang gemieden – gerade weil die bereits sehr teuer waren. Dort dreht der Markt jetzt. Wir sind immerhin schon in Städten wie Frankfurt oder Berlin. Aber schon dort ist es schwierig, gute Immobilien zu anständigen Preisen zu bekommen. Und es ist sehr aufwendig, diese danach umzubauen. Wir sehen auch, dass unsere Rendite in der Schweiz immer noch am höchsten ist. Darum haben wir auch die Strategie angepasst, jetzt sagen wir: Wir machen in solchen internationalen Märkten das Agenturbusiness, wir vermitteln, und wir suchen dort starke Partner. Aber unsere Investitionen finden eher in der Schweiz statt. Wir haben in jüngster Zeit in Basel oder Lugano zugekauft und prüfen hier momentan weitere Standorte. Wie beurteilen Sie den Schweizer Immobilienmarkt? Wagen Sie eine Prognose für den Mietwohnungsmarkt bezüglich der kommenden Jahre? Wir haben es gerade beim Verkauf in Luzern erlebt: Die Nachfrage nach Immobilien ist immer noch riesig, trotz Corona. Ich staune selber. Gleich neben unserem Standort im Giesshübel in Zürich wurden neue Lofts gebaut: 101 Quadratmeter für 2 Millionen Franken – und das ging weg! Oder ein anderer Fall in Rüschlikon: 130 Quadratmeter für 1,8 Millionen Franken. Das sind riesige Preise, aber das geht immer noch. Visionen und Apartments Das Geschäftsmodell heisst Serviced Apartments: Anja Graf gründete Visionapartments 1999, indem sie möblierte Räume einrichtete für Models, die sie in ihrer Agentur unter Vertrag hatte. 2008 folgte der Schritt in die Romandie, 2011 setzte Visionapartments in Wien zur Auslandexpansion an. Heute besitzt Anja Grafs Firma rund 1800 eigene Wohnungen in Europa. Zum Angebot gehört ferner die Vermittlung von Businesswohnungen von Partnerfirmen. Letztes Jahr erzielte Visionapartments im Vermietungsgeschäft einen Umsatz von 35 Millionen Franken. Das Anlagevolumen wird mit 471 Millionen Franken beziffert, hinzu kommen Liegenschaften in der Entwicklungs- und Bauphase im Umfang von 240 Millionen Franken. Anja Graf als Jurorin in «Die Höhle der Löwen Schweiz», 1. Staffel: Sind Sie in der aktuellen Lage stärker auf Vermittlungsplattformen angewiesen? Momentan sind wir auf alles angewiesen, was kreucht und fleucht. Wie ist Ihr Verhältnis zu Airbnb? Das fragen alle – ich weiss gar nicht, warum. Die machen höchstens 1 Prozent unseres Umsatzes aus. Airbnb ist gar nicht so dynamisch, wie man immer meint. Wie gesagt, wir haben zu etwa 60 Prozent Geschäftskunden, die entweder direkt oder über ihre Firma buchen: Solche Leute sind sich einen gewissen Service gewohnt. Bei Airbnb gibt es obendrein auch immer wieder mal Betrugsfälle, bei denen die angepriesene Wohnung dann doch nicht existiert. Und man kann dort auch nicht anrufen und spontan Wünsche anmelden. Aber Airbnb als Konkurrenz, als Bedrohung? Das Unternehmen hat zum Beispiel 2019 ein Luxussegment gestartet. Das sagt mir nicht mal was. Wenn uns eine Entwicklung Sorgen machen müsste, würde das Thema bei uns in den Management- oder Sales-Meetings schon aufploppen. Eine Alternative zu Serviced Apartments bieten Sie ja bereits an: Shared Offices. Ein Nischengeschäft für Sie? Oder ein Zukunftsfeld? Es ist vor allem eine Dienstleistung für unsere Kundinnen und Kunden. In drei, vier Häusern haben wir – anstatt zusätzlich Mieter zu suchen – schöne Konferenzräume und Shared Offices eingerichtet. Die Kunden und Kundinnen schätzen das, und eine Zeit lang haben wir sogar versucht, das Angebot zu «pushen». Aber es ist keine echte Alternative zur Wohnungsvermietung, die Nachfrage war nie gross. Welchen Anteil halten Sie eigentlich an Ihrem eigenen Unternehmen? 90 Prozent gehören mir. Das macht es auch einfacher, weil sich Sitzungen mit anderen Verwaltungsräten erübrigen. Die anderen Anteile habe ich meinen Ex-Männern überschrieben. Es ist ein Familienunternehmen. Arbeiten Sie selber jetzt mehr als vor der Krise? Und eher im Homeoffice? Während des Lockdowns habe ich mir einen Camper-Van gekauft und bin drei Tage damit wild campieren gegangen. Es war eine stressige Zeit, ich wusste nicht, ob die Auslastung auf null fällt. Jetzt sehe ich, dass wieder halbwegs Vernunft herrscht und dass wir einen Weg gefunden haben, mit dem Virus zu leben – und unsere Auslastung normalisiert sich wieder. Jetzt überlege ich mir sogar, in einen Konkurrenzbetrieb zu investieren oder ihn gar aufzukaufen. Ich sehe wieder mehr die Opportunitäten – und arbeite darum mehr. Vermieten Sie Ihren Van jetzt auf der Sharing-Plattform My Camper? Dafür war ich bislang etwas zu faul. Aber das sollte ich tun, ich benutze ihn ja kaum noch. Die Frage hat einen Grund: Als Jurorin der «Höhle der Löwen» haben Sie in das Startup My Camper investiert und es als Ihr erfolgreichstes Investment aus der ersten Staffel bezeichnet. My Camper ist eine Internetplattform und darum skalierbar. Da machte mein Investment Sinn. Das Kapital wurde dort auch benötigt, jetzt kann man damit beispielsweise nach Deutschland expandieren oder einen Marketingchef anstellen. My Camper hat eine gute Zukunft, davon bin ich überzeugt. Internetplattformen werden beim Verkauf gut bewertet. Wenn ein Grosser das Gefühl hat, er müsse My Camper kaufen, dann werden am Ende sogar Milliardenbeträge bezahlt … So war es in jüngster Vergangenheit. Ob es so bleibt, ist eine andere Frage. Investitionen in Internetplattformen machen für mich jedenfalls mehr Sinn als beispielsweise in einen Gastrobetrieb. Was macht es aus? Wann wird ein Unternehmen für Sie als Investorin interessant? Es sollte im gleichen Business sein, zum Beispiel eine andere Vermietungsplattform. Es muss nicht gross sein, eine internationale Präsenz ist auch nicht nötig – wenn es dafür in einem Land dominiert. Sie entwickeln Ihre Geschäfte aus der persönlichen Erfahrung heraus. Ihre Geschichte ist ja bekannt: Sie suchten als Modelagentin eine Wohnung für Ihre Models, fanden nichts Richtiges und erkannten da eine Geschäftsgelegenheit. Soll man so vorgehen auf der Suche nach Chancen? Für mich hats funktioniert. Vieles bei Visionapartments hätte ich selber als Kundin auch gewollt: Vor zwanzig Jahren benötigte ich nicht einfach nur ein Zimmer. Sondern ich wollte auch nicht zuerst an eine Rezeption gehen müssen, um den Schlüssel zu holen, und dann in einen anderen Stadtteil zum Zimmer fahren. Ich hätte den Code aufs Handy kriegen wollen. Wer aus den eigenen Wünschen eine Businessidee entwickelt oder startet, besitzt schon mal ein Verständnis des Marktes. Aber vielleicht hat jemand mit einem Hochschulabschluss andere Hebel, die er drücken kann, um ein lukratives Business zu finden. Welche Bedingungen muss ein Startup sonst noch erfüllen, damit Sie investieren? Das Team ist sehr wichtig. Und dass die Firma bereits eine «History» hat. Die Gefahr ist nämlich gross, dass drei Compagnons, die seit drei Monaten am Werk sind, ein Jahr später nicht mehr zusammenpassen. Ich investiere lieber in etwas, das seit drei, vier Jahren besteht. Der zweite wichtige Punkt ist die Führungspersönlichkeit. Aber es können auch zwei Leader sein – jemand, der top ist bei den Finanzen, jemand Gutes im Verkauf. Und ich muss denken: Da ist einer mit Herzblut dabei und zieht das durch. Sie sagen ja von sich selber, Sie seien mehr Visionärin als Managerin. Das stimmt, darum bin ich bei unserer Grösse auch auf Manager angewiesen. Ich habe das Glück, ein funktionierendes Leitungsteam auf die Beine gestellt zu haben. Als Visionärin hat man eine Idee, setzt alle Hebel in Bewegung – und hängt dann in der Luft. Da braucht es Leute, welche die Idee auf eine seriöse Art weiterverfolgen. Sie stiegen als junge Frau ohne Ausbildung ins Unternehmertum ein. Was lernten Sie da, das Sie jetzt einer anderen jungen Frau mitgeben würden, die einsteigen will? Dass man nicht zu lange warten soll. Denn später, mit kleinen Kindern, ist es noch anspruchsvoller, sich auf ein Unternehmen im Aufbau zu konzentrieren. Wenn man nicht früh beginnt, sammeln sich auch sonst – böse gesagt – bald die Hypotheken an: das Auto-Leasing, eine teurere Wohnung und so weiter. Es ist gut, mit wenig Fixkosten und vollem Zeiteinsatz alles in die Firma zu stecken. Mussten Sie den Kurs auch öfters justieren? Ständig. Ich musste einige Male in den sauren Apfel beissen und 150'000 Franken abschreiben – einfach so. Bei solchen Abschreibern sagte ich mir jeweils: Ein anderer hätte mit dem Geld eine Weiterbildung besucht. Meine Weiterbildung ist jetzt dieser Verlust. In solchen Situationen ist es wichtig, nicht vom Ziel abzukommen. Das unterscheidet erfolgreiche Menschen von jenen, die scheitern: Sie haben es einmal mehr probiert. Dieser Artikel wurde das erste Mal publiziert am 2.10.2020.

Visionapartmentsgründerin Anja Graf geriet in Corona-Sturm: Ein Gespräch über Krisen und Chancen

«Jetzt sehe ich, dass wieder halbwegs Vernunft herrscht»

Frau Graf, Hätten Sie als junge Unternehmerin ebenfalls bei einer Sendung wie «Die Höhle der Löwen» mitgepitcht?

Wegen der Erfahrung eines Fernsehauftritts? Oder wegen des Geldes?