SBB: Keine Rabatte trotz Lockdown

Niemand hat vom Bahnfahren abgeraten. Sagt der Verbund Swisspass, der die Halbtax- und das Generalabonnements herausgibt: «Es wird nicht von der Nutzung der öffentlichen Transportmittel abgeraten.» Deshalb schulde die Branche ihren Kunden nichts. Diese Haltung vertreten die im GA-Verbund vereinten 250 Bahn- und Busunternehmen sowie 18 Verkehrsverbünden. Schliesslich gebe es «keine Angebotsreduktionen». Es gebe keine Grund, den GA-Inhabern entgegenzukommen: «Alliance Swisspass wird keine weiteren Kulanzmassnahmen ergreifen», schreibt die Verbund auf Anfrage. Dabei hat der Bundesrat die Homeoffice-Pflicht statuiert. Pendeln ist nur in Ausnahmefällen erlaubt. Dass die Menschen dem Folge leisten, zeigt ein Blick vor Ort: Seit Montag fahren die Fernzüge auf der Strecke St. Gallen-Zürich-Genf fast leer. Nahverkehrs-Züge haben zwar mehr Publikum als der Fernverkehr: Zur Stosszeit sind etwa ein Sitz pro Viererabteil besetzt. Doch dies ist nichts im Vergleich zu den Stosszeiten früher. Bereits vor dem Lockdown waren die SBB-Züge im Fernverkehr halbleer im Vergleich zu 2019. Dies, weil etliche Firmen ihre Belegschaft im Sommer nur zu einem Teil ins Büro liessen. Die anderen mussten zuhause bleiben. Im Regionalverkehr betrug die Auslastung der letzten neun Monate gerade mal 60 Prozent gegenüber Vorjahr. Jetzt ist es noch weniger. ÖV als Ausnahme Skandalisiert über die Haltung der Branche ist der Verein der ÖV-Kunden, Pro Bahn. Präsidentin Karin Blätter sagt: «Praktisch überall kann man nicht genutzte Abmachungen stornieren und erhält das Geld zurück. Auch werden Abonnements, etwa von Fitness-Studios, verlängert. Diesen Ausfall tragen zum Teil die betroffenen Firmen. Weshalb dies nicht für den ÖV gelten soll, ist für uns nicht nachvollziehbar.» Bundesrat und Politik seien gefordert: «Es kann nicht sein, dass die Einnahmenausfälle auf die treue Kundschaft überwälzt werden».Unterauslastung des ÖVs 50 Prozent weniger Kunden hatten die SBB im Fernverkehr Ende Jahr gegenüber 2019. 30 Prozent war der Pendleranteil im ÖV am Montag laut Datenfirma Intervista. 12 Prozent oder 55 000 weniger GA-Abos kauften ÖV-Kunden 2020 (Zeitraum 1.1. bis 31.12). 900 Millionen Franken Corona-Stützzahlungen leistet der Bund für Bahn und Busse. Die Politik hat reagiert. SVP-Verkehrspolitiker Benjamin Giezendanner unterstützt Blättler: «In der jetzigen Situation empfinde ich diese Gesprächsverweigerung der ÖV-Branche als nicht korrekt.» Und FDP-Nationalrat und Verkehrspolitiker Christian Wasserfallen skizziert eine Lösung: «Man müsste einen ‹Time-Stop› machen, so wie es viele Fitness-Center tun.» SBB & Co sollten das Recht auf Hinterlegung der Abos von einem Monat auf zwei Monate verlängern. Offen ist, welche Chance solche Appelle haben. Diese Recherche zeigte, dass sich SBB, Postauto, Alliance Swisspass, die Verkehrsverbunde und das Bundesamt für Verkehr einander den Schwarzen Peter zuschieben. Die SBB sagen, dass Alliance Swisspass für Aborabatte zuständig sei. Diese wiederum sagt, dass der Entscheid, das Fahrplanangebot zu reduzieren, der SBB und Postauto zustehe, dies in der Rolle als sogenannte Systemführer der Schiene und Strasse. Und schliesslich betonen SBB und Postauto, dass das Bundesamt für Verkehr einer Reduktion des Fahrplanangebots zustimmt. Das Amt unter Direktor Peter Füglistaler wiederum betont, dass der Antrag zur Nichtreduktion von den SBB und Postauto ausging. Tatsache ist: Die ÖV-Betreiber hatten sich letzte Woche abgesprochen. Und so beantragten SBB und Postauto dem Bundesamt: «Das fahrplanmässige ÖV-Angebot wird aufrecht erhalten». «Wegen Schulen und Bergbahnen» Das Amt genehmigte es und rechtfertigt seine Zustimmung wie folgt: «Während im Frühjahr ein Lockdown mit der generellen Aufforderung zum Zuhausebleiben erlassen wurde, bleiben diesmal unter anderem Schulen oder Skigebiete offen.» Auch nützlich sei, dass sich Menschen gut auf die Verkehrsmittel verteilen können, was epidemiologisch sinnvoll sei. Anders im Frühjahr. Damals wurde der Fahrplan in vier Schritten ausgedünnt. Gesundheitliche Bedenken nannte damals niemand. Doch was die Branche ärgerte: Sie mussten GA-Inhabern eine Gutschrift von 15 Tagen leisten. Auch Verkehrsverbunde wie ZVV (Zürich), Libero (Bern) und TNW (Nordwestschweiz) taten dies: Inhabern von Monats- oder Jahresabos wurden Gutschriften oder Verlängerung gewährt. Diese kostete die Anbieter rund 100 Millionen Franken. Den Grossteil der Summe erhielten sie vom Parlament erstattet. Doch diesmal will die Branche hart bleiben. Es zirkulieren drei Thesen: Die eine ist, dass der ÖV nur dann seinen Fahrplan reduziert, wenn der Bund die Verluste deckt. Die andere, jene von den Transportanbietern selber: Eine Fahrplanreduktion bringe kaum Einsparungen, weshalb man lieber halb leer weiterfahre. Die dritte These ist politisch brisant: die einer Retourkutsche der ÖV-Branche an den Bundesrat. Dieser hatte es im Frühjahr abgelehnt, das ÖV-Personal über die Kurzarbeit zu entschädigen. Der Grund? Diese Entschädigung ist Privaten vorbehalten, die ein unternehmerisches Risiko tragen. Zuverlässigen ÖV für Pflegepersonal Für ihre harte Haltung können SBB & Co auf den Support der Linken und der CVP zählen. «Alle, die nicht Homeoffice machen können, brauchen einen zuverlässigen ÖV, darunter das Pflegepersonal und Produktionsbetriebe», sagt SP-Verkehrspolitikerin Edith Graf-Litscher. Das Rauf- und Runterfahren des ÖV im Frühjahr habe kostenmässig nichts gebraucht. CVP-Nationalrat Martin Candinas ergänzt dies um den Gesundheitsaspekt. ÖV-Kunden sei es wichtig, dass Züge wegen der Distanzregeln nicht überfüllt sind. Ganz anders sehen es federführende, bürgerlichen Verkehrspolitiker: «Die Frequenz des öffentlichen Verkehrs muss in den kommenden Wochen schnellstmöglich hinterfragt werden», fordert SVP-Nationalrat Giezendanner. «Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wäre es notwendig, dass man die Taktfrequenz während des Lockdown reduziert, damit es nicht wieder Geisterzüge gibt.» Noch härter formuliert es FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen: «Eine drastisch sinkende ÖV-Belegung ist wirtschaftlich nicht haltbar». Jeder, auch die SBB, Postauto, müssten den Coronaschaden reduzieren. «Alle sind am Sparen. Der ÖV muss seinen Beitrag leisten.»

SBB: Keine Rabatte trotz Lockdown

Warum die SBB trotz Lockdown keine Rabatte gewähren